Fundamentale Unterschiede
Herr Jansen hat, wie so oft, auf einer rein formalen Ebene recht, wenn man großzügig sein will; aber wenn man etwas genauer hinsieht (ich möchte bei seinen Texten regelmäßig sagen: wenn er ehrlicher wäre), erweist sich das Argument als eben nur formal richtig. Was der Duden ursprünglich wollte und leider nur mangelhaft vollzogen hat, war, den Schriftgebrauch aufzuzeichnen und (anschließend) in Regeln zu fassen. Insbesondere die Regeln sind eigentlich recht liberal, was man an häufigen Formulierungen sieht wie wird in der Regel so geschrieben, meist, gewöhnlich, in den meisten Fällen. Darin spiegelt sich noch die ursprünglich deskriptive Absicht; übrigens hat der Duden selbst seine Regeln vorsichtiger als Richtlinien bezeichnet. Unter dem Dauerfeuer der Anfragen von Ratsuchenden, die immer wissen wollten, welche von mehreren Möglichkeiten sie denn nun wählen sollten, welche besser sei, oft gestellt in der Form Was ist denn jetzt richtig? (das heißt: Es kann doch nicht beides richtig/gleich richtig sein!), kam die Redaktion jedoch auf den Irrweg der Einzelfallfestlegung, die den Schreibgebrauch nicht darstellt, sondern verdunkelt; damit verbunden war auch eine teilweise Umkehr des Prinzips Regeln aus Schreibweisen ableiten zugunsten von Schreibweisen aus Regeln ableiten. Wer nun die traditionelle Rechtschreibung verteidigt, der meint damit die Schreibweisen und das, was der Duden hätte tun sollen bzw. wobei er hätte bleiben sollen: Schreibweisen realistisch verzeichnen und aus ihnen die Regeln ableiten (natürlich mit einer Auswahl auch nach systematischen und qualitativen Aspekten; es geht hier aber ums Prinzip, so daß diese Qualifizierung des deskriptiven Prinzips hier keine Rolle spielt).
Bei der Rechtschreibreform ist es nun genau andersherum: Schreibweisen sollen einzig und allein aus den Regeln hervorgehen, also Regeln vor Schreibweisen (vielleicht sogar: Keine Schreibweise ohne Regel); was bisher geschrieben wurde, spielt insofern grundsätzlich keine Rolle. Zwar wurde natürlich nicht alles von Grund auf neu erfunden, aber gerade dort, wo reformiert wird, wo sich etwas ändert, sieht man eindeutig, was hier gemeint ist. Es wird nicht mehr beschrieben, daß sich die Sprachgemeinschaft über Schiffahrt, Gemse, Schluß, sogenannt usw. einig war (weitestgehend jedenfalls), sondern die Regeln wurden geändert, und was ihnen nicht entspricht, soll fürderhin als falsch gelten. Haben Sie den Unterschied jetzt kapiert, Herr Jansen?
Daraus folgt: Erst ein reformerisches Mißverständnis des Duden, daß die Regeln vor den Schreibweisen stünden und die Wörterbucheinträge richtiger seien als der Schreibgebrauch, übrigens auch das Mißverständnis, daß erst die Privilegierung des Duden durch die Kultusministerkonferenz diesem Wörterbuch seine Autorität verschafft habe, erst diese dummdeutsche Auffassung von Rechtschreibung ermöglicht die scheinbar plausible Gleichsetzung von altem Duden und dem Regelwerk der Rechtschreibreform samt deren staatlichem Anspruch.
In Wirklichkeit könnte das Prinzip des alten Duden nicht unterschiedlicher von der Rechtschreibreform sein; anstatt aber zu erkennen, woran die Probleme des alten Duden lagen, nämlich an einer Loslösung der Regeln von der Schreibwirklichkeit und an einer unheilvollen Erhebung des Duden-Inhalts über die Schreibwirklichkeit (Nur das, was im Duden steht, ist richtig: Jansen, Wagner etc.), sehen die Reformfreunde ausgerechnet in dieser Fehlentwicklung den Weg aus allen Problemen. Das ist so, wie wenn man eine Drosselung der Wirtschaft, die auf eine realitätsblinde staatliche Überreglementierung zurückzuführen ist, dadurch zu heilen versucht, indem man die freie Wirtschaft vollends zugunsten einer bürokratischen Planwirtschaft aufgibt. Viel Erfolg!
Der fundamentale Unterschied bei den jeweiligen Abweichungen vom Regelwerk, die Herr Jansen hier in tückischer Absicht gleichzusetzen versucht (Waffengleichheit), zeigt sich auch darin, daß die Abweichungen vom vorreformatorischen Duden, für deren Anerkennung wir Reformgegner sind, von den Schreibern selbst stammen, ja oft deren mehrheitlichen Geschmack und Wunsch darstellen, während die Abweichungen vom amtlichen Regelwerk nur als gültig angesehen werden können, wenn sie mindestens halbamtlich, wahrscheinlicher: wenn sie ganz und gar amtlich beschlossen werden. Anders gesagt: Im einen Fall soll dem Volk auch offiziell zu seinem Recht verholfen werden, im anderen Fall darf das von der Refom betroffene Volk nach wie vor nur das als richtig ansehen, was die Obrigkeit zuläßt. Wie Herr Jansen ja auch betont: Die Kommission sei immerhin staatlich sanktioniert, so fragwürdig diese Aussage auch ist, vgl. die genauere Antwort von Professor Ickler.
Diese Auffassung der Reformer und der Reformfreunde: Rechtschreibung seien Regeln, alle Schreibweisen müßten den Regeln folgen, der Staat sei dafür zuständig; diese Auffassung trifft auf meine tiefste Verachtung, samt der unredlichen Versuche, immer wieder die grundlegenden Unterschiede zu verwischen und die Reform auf einer rhetorischen Ebene zu rechtfertigen. Mir kommt das vor, wie wenn ein Historiker das Dritte Reich zu rechtfertigen versucht, indem er unermüdlich auf Mißstände in der Weimarer Republik hinweist. Meinetwegen soll ein Historiker das Dritte Reich gut finden, wenn das sein persönlicher Geschmack ist was mich noch eher stören würde, wäre die Feigheit, dazu nicht einfach zu stehen, sondern mit allerlei Pseudoargumentation so zu tun, als ob zum Beispiel die Weimarer Republik auch nicht besser gewesen sei. Sollen Herr Jansen und Frau Wagner, Lars Kerner, Frau Menges und wie sie alle heißen von mir aus gerne die Reform lieben, ich habe nichts dagegen. Ich weise nur darauf hin, daß sicher nicht nur ich es ehrlicher fände, wenn man ganz einfach zu dieser persönlicher Vorliebe steht, anstatt so zu tun, als ob die Argumente derart objektiv für die Reform sprächen, daß die Reformgegner nur zu blöd wären, sie zu begreifen.
Eine gewisse Feigheit der Reformbefürworter sehe ich auch darin, nur nebenbei bemerkt, daß sie hier insgesamt eine Größenordnung anonymer auftreten als die Reformbefürworter, die keine Scheu haben, zum Beispiel ihre E-Mail-Adresse anzugeben und für jedermann erreichbar zu sein. Was die Reformgegner noch auszeichnet im Gegensatz zu den Befürwortern, ist, daß sie die Bedürfnisse der Mehrheit ernst nehmen, daß sie Demokraten sind, während die Reformfreunde keine Scheu haben, der Mehrheit die Wünsche einer Minderheit aufzunötigen bzw. dies gut zu finden oder sogar als notwendig zu erachten. Mit anderen Worten: Reformgegner sind Demokraten, Reformfreunde nicht. Aber Herrn Jansen fällt bestimmt wieder eine Formulierung ein, die all das widerlegt: Er ist eben feige.
Wolfgang Wrase München
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