Rechtschreibwirklichkeit an den Schulen
Liebe Frau Menges!
Die Schüler schreiben selbstverständlich in der neuen Rechtschreibung, die sich allerdings beschränkt auf das ss und einige Kleinigkeiten. Ich selber schreibe meine Rand- und Schlußbemerkungen mit dem neuen ss (korrigiere das auch in die Aufsätze hinein), ansonsten bleibe ich (mit kleinen Korrekturen) bei der alten Schreibung. Selbstverständlich werden Verstöße gegen die von der Reform betroffenen Fälle von GZS und von Groß- und Kleinschreibung nicht als Fehler bewertet. Diese Fälle kommen pro Aufsatz ganz selten vor! Manchmal gar nicht, manchmal nur ein- oder zweimal. Ich erlaube mir allerdings, Exzesse der neuen Schreibung zu verbessern: Hand voll... Ich rechne das selbstverständlich nicht als Fehler, merke aber an, daß die alte Schreibung hier besser war.
99 Prozent aller Deutschlehrer halten die Reform für mißlungen. Aber da die Reform (ohnehin keine Fehler!) keine Rolle spielt für die Benotung (siehe auch Anmerkung 2), ist sie unter Deutschlehrern kein Gesprächsthema. Zwei Anmerkungen: 1) Die Fehlerzahl ist leicht gestiegen. Ein gewisses Wuchern falscher Getrenntschreibungen und noch schlechtere Kommasetzung als früher (schuld sind die Bücher in Reformschreibung und die Zeitungen), ein gewisses Wuchern von falschem ss. 2) Die Reform ist unter den Lehrern vor allem deshalb kein Thema, weil 99 Prozent der Rechtschreibfehler, die wir früher als schlimme Rechtschreibfehler anstreichen mußten und die dann die Aufsatznote beeinflußten, von der Reform nicht betroffen sind. Da hat sich nichts geändert! Da gibt es keine Fehlervermeidung! Wir Deutschlehrer haben andere Rechtschreibsorgen als Fälle von Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, über die sich Wissenschaftler streiten. Daß die Kultusminister von der Rechtschreibwirklichkeit an unseren Schulen, von unseren wirklichen Problemen nicht die geringste Ahnung hatten (und wohl auch noch haben), dafür ist das unsägliche Geschwätz der Minister, die Fehlerzahlen würden nach Einführung der Reform um 50 Prozent zurückgehen, der beste Beweis. Oder haben sie bewußt gelogen? Das könnte natürlich auch sein. Oder hatten sie nicht die geringste Ahnung von der neuen Schreibung und glaubten tatsächlich an die große Erleichterung? Das könnte auch sein. Mit welchen Fehlern haben wir Lehrer in der Unterstufe eines Gymnasiums zu kämpfen? Lesen Sie bitte, Frau Menges, die Fehlerlisten, die im Forum zu finden sind (unter wissenschaftliche Untersuchungen). Wenn Sie diese Listen studiert haben, werden Sie erkennen: Die Reform hat für die Schule keine Bedeutung. Das ändert leider nichts daran, daß die Schreibung der Zeitungen deutlich schlechter geworden ist und daß vor allem die neue GuZ ein Schildbürgerstreich allerersten Ranges ist und den Dienst am Leser gewaltig einschränkt. Noch ein Nachtrag: Auch ab dem Jahr 2005 (bis dahin wird die Reform hoffentlich fast verschwunden sein) werden nur Sadisten und krankhafte Pedanten Fehler gegen schwierigere Fälle der GuZ und der GruKl (häßliche Abkürzungen!) als Fehler bewerten. Das war natürlich auch früher so. Keine einzige Spitzfindigkeit der alten Schreibung wurde von einem psychisch gesunden Deutschlehrer bei der Aufsatzkorrektur als Fehler bewertet, der auf die Note Einfluß hat! Ich will ganz ehrlich sein: Ich selbst hätte bei einem schwierigen Diktat viele Fehler gemacht. Und man könnte natürlich Diktate zusammenstellen (in neuer Schreibung!), bei denen jeder Kultusminister die Note 6 bekäme.
Wolfgang Illauer Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß
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