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Theodor Ickler
07.04.2001 22.00
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Feinheiten

Wenn man über den ersten Anfang hinausgelangt ist, möchte man sich mit den Feinheiten der deutschen Orthographie vertraut machen. Dann muß man natürlich die Lösungen kennen, die die Sprachgemeinschaft im Laufe vieler Jahre für bestimmte Aufgaben gefunden hat. Neben dem Wörterverzeichnis gibt es Regeln: das sind Versuche, die Aufgaben und die Lösungen auf Begriffe zu bringen. Zum Beispiel scheint es mir (und anderen) so zu sein, daß Zusammensetzungen mit „halb-“ auf eine gewisse Terminologisierung hindeuten, wie das entsprechende griechische und lateinische „hemi-“ bzw. „semi-“. In meinem Wörterbuch steht deshalb: „betontes Erstglied in zusammengesetzten, meist klassifizierenden Adjektiven: halbamtlich usw., aber halb ámtlich (und halb privat). Usw. Damit ist der Gegensatz zwischen klassifizierend und bloß beschreibend vorläufig gekennzeichnet, für die meisten Zwecke wohl ausreichend. Dasselbe Erklärungsschema trifft noch an anderen Stellen der Sprache zu, es ist ein universelles Gesetz; man denke an die „festen Begriffe“, die ja von der Neuregelung besonders kraß vernachlässigt werden, weil die zuständigen Herren so sehr auf ihren beschränkten „Eigennamen“-Begriff fixiert waren und die Großschreibung grundsätzlich darauf beschränken wollten („schneller Brüter“, „erste Hilfe“ usw.). Damit liegen sie völlig daneben.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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RenateMariaMenges
07.04.2001 22.00
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Lateinisches

a.)Dieses Beispiel gefällt mir sehr, Herr Ickler. Kaum ist Latein im Gespräch kann ich auch etwas damit anfangen :
Halbamtlich und halb amtlich sind in der Betonung und im Begriff unterschiedlich und damit ist dieses Beispiel verständlich.

b.)Aber was hat das mit halbfertig zu tun. Beide Gerichte sind eben halb fertig und es gibt für mich keine Unterschiede. Damit sind wir bei der Bezeichnung der Ausnahmen. Was nicht fertig ist, ist eben halb fertig oder nicht gar.

Fazit:
Es sollte eine Rechtschreibung in der Vereinfachung ohne Ausnahmen geben. Das wird leider nie der Fall sein. Es wäre aber bitter und dringend nötig. Entweder bleiben diese Wörter in der Zusammenschreibung oder man schreibt sie auseinander. Dieses Problem impliziert eine Reihe anderer Wörter und anderer Probleme. Ich sehe sehr wohl die Differenzierung, Herr Ickler, und ich verstehe sie. Ich bin aber anderer Meinung; gerade für Ausländer wird dadurch die Deutsche Sprache erschwert.

Und über Schönheit und Ästhetik haben wir uns grundlegend auseinandergesetzt, Herr Melsa. Die kann jeder so sehen, wie er möchte, denn darüber kann man sowenig streiten wie über seinen Glauben! Aber da gehen Sie auf die Befürworter überhaupt nicht zu!



RenateMariaMenges

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Theodor Ickler
07.04.2001 22.00
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halbfertig

Ich würde zum Beispiel sagen: Mit dem neuen Buch bin ich schon halb fertig. Dagegen würde man von ausgesprochenen Halbfertigprodukten sagen, daß sie halbfertig seien: halbfertige Bauteile usw. Wenn Sie, verehrte Frau Menges, immer getrennt schreiben wollen, können Sie das natürlich tun, aber die genannten, von Ihnen ja auch grundsätzlich gutgeheißene Unterscheidung entgeht Ihnen dann. Wie gesagt, es sind Feinheiten, für die Schule sicher ein bißchen zu viel.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Theodor Ickler
07.04.2001 22.00
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Nachtrag

Mit Ausnahmen hat das alles gar nichts zu tun. Ausnahmen sind unmotiviert, Unterscheidungen sind gerade das Gegenteil. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, erstens die Gründe möglichst gut zu erklären und zweitens für die Anfänger eine Auswahl zu treffen und in eine gescheite Progression zu bringen.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Theodor Ickler
07.04.2001 22.00
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Partizip

Hier ist noch etwas für Frau Menges:

In der heutigen Zeitung steht ein dpa-Bericht über die wirklich sehr aufregenden Saurier-Funde in Patagonien. Ich lese:

„Zwei Pflanzen fressende und ein Fleisch fressender Dinosaurier ...“

Hier spürt wohl jeder, daß die neue Getrenntschreibung eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Schreibweise darstellt. Wer sich mit der Grammatik und Geschichte des ersten Partizips auskennt, weiß auch, warum das so ist. Das erweiterte Partizip I ist im gesprochenen Deutsch selten und in den Dialekten unbekannt, es ist eine Nachbildung lateinischer Humanistenprosa. Dagegen kann das zusammengesetzte Adjektiv „fleischfressend“ usw. ohne weiteres wie ein einfaches aus einem Partizip stammendes (!) Adjektiv („entzückend“, „reizend“) verwendet werden.
Zweitens erweckt die Konstruktion den Eindruck, daß die Saurier gerade mal eben Pflanzen fressen, während es sich in Wirklichkeit um eine klassifizierende Zuschreibung handelt; auch das spricht für Zusammenschreibung.
Drittens verstößt die Konstruktion gegen das Gebot der Höflichkeit gegenüber dem Leser, der nicht in die Irre geführt werden soll. Man fängt an „zwei Pflanzen“ ... und stutzt.

Abschließend sei noch einmal an den Denkfehler der Reformer erinnert, der dazu führte, daß „Blut bildend“, aber „blutstillend“, „Kosten sparend“, aber „kostensenkend“ zu schreiben ist – weil in einem Fall jeweils etwas weggefallen zu sein scheint (nämlich der Artikel: „senkt DIE Kosten“, aber „spart Kosten“ usw.). In Wirklichkeit hat aber die Bildung solcher Komposita überhaupt nichts mit den Gründen der Artikelsetzung bzw. -nichtsetzung zu tun. Dies hat die Kommission inzwischen eingesehen und den beiden Wörterbuchredaktionen, mit denen sie in geschäftlichen Beziehungen steht, entsprechende Änderungen nahegelegt. Der Hauptfehler ist aber noch nicht getilgt. Demnächst werden auch „pflanzenfressend“ und „eisenverarbeitend“ (und natürlich auch „sogenannt“) wiederhergestellt werden. Die Zeitung von heute wird dann ein Zeugnis aus jener wirren Zeit sein, an die sich    die folgsamen Deutschen mit Kopfschütteln erinnern werden: Was für verrückte Kerle wir doch damals waren!

Übrigens schreibt der neueste FOCUS der KMK-Vorsitzenden Schavan die Äußerung „nicht sehr Erfolg versprechend“ zu. Geschieht ihr recht! Wenn die Deutschen schon das einzige Volk sind, das von Amts wegen seine Muttersprache nicht beherrscht, dann muß die oberste Kultusministerin, die das ganze Unternehmen mitverantwortet, ebenfalls bloßgestellt werden.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Gast
07.04.2001 22.00
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Kästchen “halb³

Das Kästchen zu „halb“ (die GZS    betreffend) zeigt beispielhaft die ganze Misere der absurden neuen Kriterien. Sie sind zu schwammig, zu vage und verlangen einen äußerst komplizierten Denkvorgang, der oft in der Aporie endet.
Die Folge: Für den Schreiber (den Schüler gar) wird die Sache viel schwieriger als früher (man vergleiche die gute alte Regel R 209 und die dazugehörigen Punkte im Duden von 1989). Der Leser bekommt keine Information mehr zur Betonung (und es wäre doch so einfach, sie zu geben! Denn in fast allen Fällen – bei Wörtern mit halb, wohl, hoch usw. – bedeutet Zusammenschreibung Betonung des ersten Bestandteils. Fehler sind da nicht möglich! Und der Leser weiß dann, welche Aussprache dem Schreiber vorschwebt), und Wörter werden aus dem Lexikon gestrichen.
Das ist ungefähr so, wie wenn man eine moderne Elektrolok durch eine uralte Dampfmaschine ersetzt. Nur Nachteile! Ein Rückschritt in jeder Beziehung!
Was soll die Unterscheidung zwischen „halb als Gegensatz zu ganz“ und „halb als bedeutungsabschwächender Zusatz“? Da läßt sich fast in jedem Einzelfall streiten. Denn bei halb denkt man mit Recht    i m m e r    an ganz!     Und abschwächend ist es irgendwie natürlich auch in sehr vielen Fällen!    „halb verhungert“ – warum hier nicht abschwächend? „halbhoch“ – warum darf ich hier nicht an die ganze Höhe eines hohen Zauns denken; warum darf ich nicht daran denken, daß dieser Zaun nur die halbe Höhe hat? Nur abschwächend??? Warum darf ich nicht daran denken, daß bei „halbbitter“ eine Mitte gemeint ist in der Skala der Bitterkeit? (ganz bitter, halb bitter, überhaupt nicht bitter..) Also eine wirkliche Hälfte? Nicht bloß abschwächend! Warum schreibt der neue Duden „halbseiden“ zusammen? Herr Jansen! Denn hier steht doch halb ziemlich eindeutig im Gegensatz zu ganz: nicht ganz, nur zur Hälfte aus Seide, sonst aus Wolle! Bedeutungsabschwächender Zusatz????
Zur Wortvernichtung: halboffen und halbfertig beispielsweise stehen als eigene Wörter in meinem Wahrig (1994).
Noch vier Bemerkungen an Herrn Jansen:
1) Aus derselben Betonung bei Auto fahren (entsprechend: Fahrrad fahren, Ski fahren, Fleisch kaufen, Wurst kaufen...) darf man nicht schließen, daß Zusammenschreibung bei Wörtern wie hálboffen usw. nicht gerechtfertigt sei, weil oben ja auch nicht zusammengeschrieben werde. Die Verbindung bei Wörtern mit halb, wohl, hoch usw. ist (wenn vorne betont) viel enger und ganz anders als bei den oben zitierten Ausdrücken!
2) Der erste Bestandteil von wohlbekannt (wohl = Adverb zu gut) kann natürlich gesteigert werden, und das Wort ist deshalb nach dem Unsinnskriterium der neuen GZS getrennt zu schreiben: besser bekannt, bestens bekannt.
3) Der neue Duden ist eine Schande für die deutsche Sprachwissenschaft. Sind Sie da meiner Meinung, Herr Jansen? Sie haben meine dudenkritischen Fragen leider (fast) nicht beantwortet. Da werden Hunderte von Wörtern als Einheit gekennzeichnet (durch das Betonungszeichen) und gleichzeitig getrennt geschrieben! Was soll das?
4) Nochmals: Warum soll dem Schreiber bei Verbindungen mit halb, hoch, wohl, neu, voll...in Zukunft verboten sein (weil Betonung nur ein ganz nebensächliches Kriterium sein darf), dem Leser eine erwünschte kleine Hilfe zu geben? Nur Nutzen! Kein Schaden! Wenn ich mir vorstelle „halb náckt“ oder „hálb náckt“, dann schreibe ich „halb nackt“, und wenn ich mir vorstelle „hálb nackt“, dann schreibe ich „halbnackt“! Warum soll so etwas Einfaches, Hilfreiches, Vernünftiges keine allgemeine Regel sein? Ich möchte einen wirklichen Grund wissen. Die bloße Behauptung, die neuen Kriterien seien besser, hilft mir nicht weiter. Ich brauche überzeugende Beweise. Und der Beweis kann nur so aussehen: leichter für den Schreibenden (unwichtig!), besser für den Leser, keine Wortbeseitigung.
Die Tatsachen sprechen klar für das Gegenteil: schwerer für den Schreibenden, weniger Information für den Leser, Wortzerstörung.



Wolfgang Illauer
Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß

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Wolfgang Wrase
07.04.2001 22.00
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Wie kann man nur??

Wie kann man nur die Rechtschreibreform gut finden? Es ist meines Erachtens völlig eindeutig, daß diese Reform in jeder Hinsicht eine Verschlechterung darstellt. Die neuen Regeln sind (insgesamt jedenfalls) komplizierter, schwieriger zu lernen und vor allem schwieriger anzuwenden. Sie führen nicht zu einer neuen Einheitsschreibung, sondern zu einer auf sehr lange Zeit gespaltenen, zerstückelten Rechtschreibung. Millionen von Schreibern werden ihrer bisherigen Kompetenz im Umfang der Reform beraubt, werden in Verwirrung und Frustration gestürzt. Auch „die Kinder“ lernen nicht einfach die neue Rechtschreibung (wer das behauptet, überschätzt die langfristige Wirkung des Schulunterrichts in grotesker Weise), sondern müssen mit zwei oder noch mehr „Rechtschreibungen“ leben und zwischen ihnen bewußt unterscheiden können, wenn sie vermeiden wollen, die Schreibweisen hilflos zu vermischen. Darüber hinaus ist die Reform maximal undemokratisch. Wenn nicht einmal ein Volksentscheid von den „Volksvertretern“ anerkannt, sondern einstimmig abgeschafft wird (ein Novum der deutschen „Demokratie“ nach 1945) – wozu sollte man bitte schön noch wählen gehen? Und nicht zuletzt die Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe ...

Die Art, wie Michael Jansen in den Reformregeln interpretierend umherstreift, ist gemessen am Sinn und Zweck von Rechtschreibung ziemlich absurd. Was nützt es, wenn einigen Leuten die Regeln „logischer“ vorkommen, wenn sie in der Praxis schwieriger anzuwenden sind, so daß mehr Fehler entstehen, wie man überall feststellen kann? Was nützt es, wenn die neue Rechtschreibung in einer aktuellen amtlichen Fassung „einheitlich“ in der Schule verwendet wird, „einheitlich“ in einer anderen amtlichen Fassung wenige Jahre später, in einer wieder anderen Fassung „einheitlich“ in vielen Zeitungen, in jeweils noch einer anderen Fassung in der „Zeit“ und in der Neuen Zürcher Zeitung, in einer ganz abgemagerten Form von Universitätsdozenten, unwilligen oder schlecht trainierten Beamten umgesetzt – was nützen alle diese partikularen „Einheitlichkeiten“, privaten Schreibsysteme und so weiter, wo es doch bei der Rechtschreibung um nichts anderes geht als darum, daß eine ganze Sprachgemeinschaft sich über räumliche, zeitliche und berufliche Grenzen hinweg so einig wie möglich ist, wie man schreibt; und der Schulunterricht genau dazu da sein sollte, den Kindern diese von der Sprachgemeinschaft akzeptierte und gemeinsam gepflegte Schriftnorm beizubringen, wobei sie dieselben Schreibweisen, die sie im Unterricht kennenlernen, sowohl in zuvor verfaßten Texten, insbesondere der deutschen Schriftsteller, als auch in ihrer beruflichen und privaten Zukunft wiederfinden und wiederverwenden sollen??

Die private Zustimmung einzelner Personen oder von einer Minderheit innerhalb der Gesellschaft zur Rechtschreibreform ist in diesem ganz selbstverständlichen Zusammenhang der Rechtschreibung schlicht uninteressant. Fast genauso uninteressant ist es, wie sinnvoll oder einfach eine Regel klingt oder erzählt werden kann – nach dem Maßstab der Reform selbst („das Schreiben erleichtern“) käme es bei weitem überwiegend darauf an, wie einfach die Regel anzuwenden ist.

Dazu nur ein Beispiel: die neue ss/ß-Regel. In der üblichen Formulierung könnte man sie für einfacher halten, sie ist es aber in der Praxis nicht, aus zwei Gründen. Zum einen hatten wir am Silben- und Wortende (sowie wenn noch ein t am Wortende folgt) bisher zwei Möglichkeiten: s und ß. Jetzt haben wir drei: s, ss und ß. Es ist völlig unstrittig, daß dies zu mehr Verwechslungen führt. Das könnte nur dann anders sein, wenn das Kriterium „vorher kurzer oder langer Vokal“ einfacher und intuitiver anzwenden wäre als das Kriterium „am Silbenende“, also „hinten“. Das ist aber nicht der Fall, weil es jede Menge Ausnahmen von dieser Zuordnung „Länge des Vokals entscheidet über Verdoppelung“ gibt. Das sieht man auch bei anderen Konsonanten, wo nach kurzem, betontem Vokal oft eben nicht der Konsonant verdoppelt wird und wo oft genug die Länge des Vokals nicht in der Schreibung ausgedrückt wird (vgl. Mond/Mund). Kann ja sein, daß das nicht jedem einleuchtet, es ist aber so. Das zeigt auch die mittlerweile umfangreiche Erfahrung mit Texten in alter und neuer Rechtschreibung: viel mehr ss/ß-Fehler als früher. Auch in den Texten von Herrn Jansen finden sich mit typscher Regelmäßigkeit ss/ß-Fehler („ließt“, Verwechslung von „dass“ und „das“), die man zuvor bei einem Schreiber seiner Fähigkeit nur als seltene Ausnahme kannte.

Ich wähle noch einmal den Vergleich mit dem Sozialismus (Enteignung der privilegierten Klasse, brüderliche Gütergemeinschaft der Arbeiter und Bauern inklusive Planwirtschaft), der eine schöne Theorie ist oder als solche empfunden werden kann. Wer sich nur in dieser Theorie bewegt und vor der Realität die Augen verschließt, der wird auch den Sozialismus in der DDR, in der Sowjetunion, auf Kuba oder sonstwo anpreisen können, auch nachdem beispielsweise in China zehn Millionen Menschen verhungert sind oder in der Sowjetunion die Intelligenz in Schauprozessen liquidiert worden ist. Ich mache da nicht mit, sondern schaue mir an, welche Früchte das System in der Praxis hervorbringt. Dann muß man sagen: Die Marktwirtschaft ist auch nicht ideal, aber sie ist in jeder Hinsicht für die Menschen besser (Wohlstand, Bürgerrechte, persönliche Freiheiten). Denn sie geht einfach von einem realistischeren, besser funktionierenden Weltbild aus.

Im Prinzip genauso ist es mit der schönen Idee, den Kindern das Schreiben zu erleichtern, indem der Staat der Gesellschaft eine Rechtschreibreform aufzwingt. Das Ergebnis wird stets schlechter sein als zuvor, das kann man mit Gewißheit voraussagen, schon allein weil die kompetentesten Schreiber diesem Experiment feindlich und verachtungsvoll gegenüberstehen und weil nur die allerwenigsten Erwachsenen in der Lage sind, sich die Regeln einigermaßen vollständig anzueignen und sich beim Schreiben nach ihnen zu richten. Die große Mehrheit kümmert sich nicht darum oder pfuscht hilflos assoziierend zwischen neu, alt und „doppelt falsch“ hin und her. Deshalb interessiert mich die theoretische Erörterung des Regelwerks, die Herrn Jansens Lieblingsbeschäftigung zu sein scheint, nur am Rande. Wenn ich täglich sehe, wie meine Mitmenschen mit der Reform zurechtkommen, nämlich erwartungsgemäß sehr viel schlechter als mit der bisherigen Rechtschreibung, drängt sich mir bei der Lektüre der Beiträge von Herrn Jansen immer wieder der Kommentar auf: „Thema verfehlt.“



Wolfgang Wrase
München

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Helmut Eberwein
07.04.2001 22.00
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Meinungen

- Herr Wrase, ich kann Ihren letztmaligen Eintrag nur voll und ganz
unterstützen. Sie haben noch mal anschaulich zum Ausdruck gebracht,
warum dieser Käse de facto gar nichts nützt.

- Liebe Frau Menges, Danke für den Smiley, ich wollte lediglich
aufzeigen, daß Sie mit Ihrer Wortwahl etwas implizieren möchten, daß
de facto nicht richtig ist. Wer dies nicht verstanden hat, der möge
doch bitte nochmal meinen Eintrag lesen.

Nun gut, es muß ja nicht jeder alles verstehen:-)

P.S.: Es tut mir leid für die zwei „factos“, aber es paßte so gut...



Helmut Eberwein

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Reinhard Markner
07.04.2001 22.00
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Wie man kann

Auf Herrn Wrases verzweifelte Frage gibt es für meine Begriffe nur eine plausible Antwort : Man kann nur für die Reform sein, wenn man sie tatsächlich für eine hält, wenn man also dem naiven Glauben anhängt, sie sei fortschrittlich. Diese grundlegende Überzeugung ist entscheidend, alle weiteren Bemühungen, wie man sie etwa bei Herrn Jansen beobachten kann, sind Versuche, Gründe für diese Überzeugung zu finden.



Reinhard Markner

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Christian Melsa
07.04.2001 22.00
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Betonung und Betonköpfe

Es ist wohl so, daß in der üblichen Rechtschreibung oft Zusammenschreibung von Wörtern zu beobachten ist, die ein bestimmtes Betonungsschema aufweisen. Das heißt aber nicht, daß durch die Zusammenschreibung direkt die akustische Betonung verzeichnet wird. Vielmehr handelt es sich wiederum um bedeutungsabhängige Markierungen, die im einen Fall eben akustisch, im anderen optisch realisiert werden. Man sollte die „eigentliche“ Sprache nicht immer nur in der Rede sehen, sondern eher ihr vorgelagert im Sprachzentrum des Hirns, wo sie in Wirklichkeit entsteht. Von dort aus kann sie per Zunge, per Morsetaste oder eben auch per Füller oder Computertastatur kommuniziert werden.

Man stelle sich nun vor, die Kinder würden nicht erst das Lesen und Schreiben, sondern bereits das Sprechen an der Schule lernen. Unsere Kultusminister hätten das artikulierte Reden wahrscheinlich auch für eine viel zu hohe Kunst gehalten, um es den kleinen schwachen Kinderchen zumuten zu können. Differenzierende Betonungen beim Sprechen werden den Sprößlingen an der Schule abgewöhnt, der Sinn wird schon aus dem Kontext hervorgehen. Immerhin müssen sich die Kinder dann später bei einer derart nivellierten gesellschaftlichen Fertigkeit in Eloquenz und Rhetorik nicht mehr gegenüber darin besser talentierten Individuen benachteiligt oder gar diskriminiert sehen.

Weil es nicht nur das optimal Gute und Schöne gibt, darf es das Gute und Schöne nicht mehr geben, damit das weniger Gute und Schöne wenigstens auf dem Papier trotzdem so genannt werden darf. Die deutsche Bildungspolitik ist so absurd, daß man schon Angst vor ihr haben müßte.



Christian Melsa
22149 Hamburg

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RenateMariaMenges
07.04.2001 22.00
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Diverse Antworten

Lieber Herr Eberwein,
ich finde Ihre Nachfrage etwas sonderbar.
Ich habe Herrn Illauer gefragt wie er korrigiert und er hat eine gute Antwort gegeben.
Warum Sie sich angesprochen fühlen weiß ich nicht. Ich möchte am liebsten einen Smiley zeichnen, aber wer weiß was sich Herr Eberwein dann wieder denkt.   

Herr Illauer,
ich lese gerade ihre Aussagen zu halb fertig. Mir ist es einfach angenehmer halb fertig zu schreiben, dann weiß ich, dass ich keine Fehler mache. Diese Nuancen halb fertig oder halb fertig
irritieren mich nicht. Ich moderiere ja zum Beispiel beim Vorlesen mit meiner Sprache. Auch der Leser versteht halb fertig. Aber Herr Ickler vertritt ja die Ansicht, dass sich dieses sowieso von alleine regelt, also lohnt es sich der Diksussion nicht mehr.

Nach Ickler müsste man halbfertig schreiben, ist das so richtig? Das alte Wörterbuch will ich mir nun auch wieder nicht mehr kaufen. Da warte ich dann auf das neue. :-)

Immerhin habe ich jetzt schon einige Wörterbücher. So wird es wohl vielen gehen.   



RenateMariaMenges

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Gast
06.04.2001 22.00
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halb fertig

In der Welt am    Sonntag (online) lese ich heute morgen in einem Artikel den Ausdruck „halb fertig“. Ich fühle mich bei solchen Schreibungen als Leser neuerdings immer ganz unsicher. Denn ich weiß nicht, wie ich betonen soll, wenn ich den Text laut vorlesen will: hálbfertig oder halb fértig? Früher war die Sache klar! Schrieb der Verfasser zusammen, stellte er sich hálbfertig vor, schrieb er getrennt, stellte er sich halb fértig vor.   
Das ist das Fürchterlichste an der neuen Getrenntschreibung: Der Leser bekommt weniger Informationen. Er wird oft im unklaren gelassen über die vom Schreiber beabsichtigte Aussprache.
Laut neuestem Duden gibt es nur die Betonung hálbfertig. Man darf getrennt schreiben oder zusammen.
Aber es gibt natürlich auch die Betonung halb fértig! (Er war mit seiner Arbeit erst halb fertig).
Fazit: Die neue Getrenntschreibung bedeutet einen erheblichen Verlust an Lesefreundlichkeit. Es ist eine schlichte Frechheit, dem Leser, vor allem dem ausländischen Leser und den Kindern, ständig die Wahl zu überlassen, wie er betonen soll, ihm dazu keine klare Information mehr zu geben.
Und ich staune wieder über die Zeitungen, die so etwas mitmachen.



Wolfgang Illauer
Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß

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RenateMariaMenges
06.04.2001 22.00
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Osterkorrektur

Lieber Herr Illauer!

Schon lange interessiert es mich, wie Sie Ihre Osterkorrekturen erledigen. Müssen die kids nun in alter Rechtschreibung schreiben oder dürfen Sie in neuer Rechtschreibung schreiben? In welcher Rechtschreibung schreiben Sie Ihre Lernzielkontrollen etc.? Was sagen die Kollegen?



RenateMariaMenges

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Gast
06.04.2001 22.00
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Rechtschreibwirklichkeit an den Schulen

Liebe Frau Menges!

Die Schüler schreiben selbstverständlich in der neuen Rechtschreibung, die sich allerdings beschränkt auf das ss und einige Kleinigkeiten.
Ich selber schreibe meine Rand- und Schlußbemerkungen mit dem neuen ss (korrigiere das auch in die Aufsätze hinein), ansonsten bleibe ich (mit kleinen Korrekturen) bei der alten Schreibung.
Selbstverständlich werden Verstöße gegen die von der Reform betroffenen Fälle von GZS und von Groß- und Kleinschreibung nicht als Fehler bewertet. Diese Fälle kommen pro Aufsatz ganz selten vor! Manchmal gar nicht, manchmal nur ein- oder zweimal.
Ich erlaube mir allerdings, Exzesse der neuen Schreibung zu verbessern: Hand voll... Ich rechne das selbstverständlich nicht als Fehler, merke aber an, daß die alte Schreibung hier besser war.

99 Prozent aller Deutschlehrer halten die Reform für mißlungen. Aber da die Reform (ohnehin keine Fehler!) keine Rolle spielt für die Benotung (siehe auch Anmerkung 2), ist sie unter Deutschlehrern kein Gesprächsthema.
Zwei Anmerkungen:
1) Die Fehlerzahl ist leicht gestiegen. Ein gewisses Wuchern falscher Getrenntschreibungen und noch schlechtere Kommasetzung als früher (schuld sind die Bücher in Reformschreibung und die Zeitungen), ein gewisses Wuchern von falschem ss.
2) Die Reform ist unter den Lehrern vor allem deshalb kein Thema, weil 99 Prozent der Rechtschreibfehler, die wir früher als schlimme Rechtschreibfehler anstreichen mußten und die dann die Aufsatznote beeinflußten, von der Reform nicht betroffen sind. Da hat sich    nichts geändert! Da gibt es keine Fehlervermeidung! Wir Deutschlehrer haben andere Rechtschreibsorgen als Fälle von Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, über die sich Wissenschaftler streiten.
Daß die Kultusminister von der Rechtschreibwirklichkeit an unseren Schulen, von unseren wirklichen Problemen nicht die geringste Ahnung hatten (und wohl auch noch haben), dafür ist das unsägliche Geschwätz der Minister, die Fehlerzahlen würden nach Einführung der Reform um 50 Prozent zurückgehen, der beste Beweis. Oder haben sie bewußt gelogen? Das könnte natürlich auch sein. Oder hatten sie nicht die geringste Ahnung von der neuen Schreibung und glaubten tatsächlich an die große Erleichterung? Das könnte auch sein.
Mit welchen Fehlern haben wir Lehrer in der Unterstufe eines Gymnasiums zu kämpfen?
Lesen Sie bitte, Frau Menges, die Fehlerlisten, die im Forum zu finden sind (unter „wissenschaftliche Untersuchungen“).
Wenn Sie diese Listen studiert haben, werden Sie erkennen: Die Reform hat für die Schule keine Bedeutung.
Das ändert leider nichts daran, daß die Schreibung der Zeitungen deutlich schlechter geworden ist und daß vor allem die neue GuZ ein Schildbürgerstreich allerersten Ranges ist und den Dienst am Leser gewaltig einschränkt.
Noch ein Nachtrag: Auch ab dem Jahr 2005 (bis dahin wird die Reform hoffentlich fast verschwunden sein) werden nur Sadisten und krankhafte Pedanten Fehler gegen schwierigere Fälle der GuZ und der GruKl (häßliche Abkürzungen!) als Fehler bewerten. Das war natürlich auch früher so. Keine einzige Spitzfindigkeit der alten Schreibung wurde von einem psychisch gesunden Deutschlehrer bei der Aufsatzkorrektur als Fehler bewertet, der auf die Note Einfluß hat!
Ich will ganz ehrlich sein: Ich selbst hätte bei einem schwierigen Diktat viele „Fehler“ gemacht. Und man könnte natürlich Diktate zusammenstellen (in neuer Schreibung!), bei denen jeder Kultusminister die Note 6 bekäme.



Wolfgang Illauer
Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß

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Helmut Eberwein
06.04.2001 22.00
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ß als Fehler?

Sehr geehrter Herr Illauer,

streichen Sie dennn tatsächlich das „ß“ z.B. in „daß“ Ihren Schülern als Fehler an?

Soweit ich informiert bin, ist es bis 2005 für Schüler völlig legitim „daß“ zu schreiben.

Mit der Bitte um eine kurze Auskunft und freundlichen Grüßen



Helmut Eberwein

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