Rechtschreibung in der Schule
Lieber Herr Wrase, man kann sich als Lehrer dem ss in der Schule leider nicht entziehen. Da muß man sich aus verschiedenen Gründen anpassen. Aber unter diesem Deckmantel leiste ich mir natürlich alles, was ich für richtig halte. Im Zeugnis wird selbstverständlich geschrieben: zufriedenstellende Mitarbeit. Heute habe ich mit großem Vergnügen mehrmals plazieren gelesen und das t bei platzieren eingeklammert. So etwas wie der Erfolg versprechendste... würde ich dick anstreichen natürlich nicht als notenrelevanten Fehler. Bei Recht haben, heute Abend usw. schreibe ich, wenn ich viel Zeit habe, hinzu: Neuerdings zwar richtig, aber schlecht. Die Kommata vor und und vor erweitertem Infinitiv füge ich in die Schüleraufsätze ein. Ich erkläre den Schülern den Rückschritt der Reform auf dem Gebiet der Kommasetzung, und nicht nur da. Ich spreche auch beim Elternabend über das Propagandamärchen der Kultusminister, über eine Korruptionserscheinung beim Verfassungsgericht (es hat die Lüge von der Schreiberleichterung übernommen, hat die Minister nicht gerügt wegen dieser haarsträubenden Fehlinformation!) und über den Schildbürgerstreich Reform. Ich sage, daß eigentlich ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden müßte. Noch nie hat mir jemand widersprochen. Mit dem ss habe ich das folgende Problem: ich fürchte, daß es vielleicht als das einzige (Einzige vielleicht doch besser?) der Reform bleiben wird. Wüßte ich mit Sicherheit, daß aus dass wieder daß wird, würde ich an meiner Schule die alte ss/ß Schreibung unterrichten und üben. Ich sage auch den Schülern und Eltern, daß es wichtiger wäre, wenn unsere Kultusminister im Namen aller Eltern und Schüler gegen unser Fernsehen protestierten (Lebenssinn: ich will mehr Sex, Geld, Spaß, Entertainment...) als den Reformunsinn gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Haben die Minister schon einmal gegen das Privatfernsehen protestiert? Ich glaube nicht. Was sind das für Leute!
Wolfgang Illauer Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß
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