Hi litebloo,
gleich zu Deinem ersten Satz: Ich habe gar nicht gedacht, daß Du über alle Zusammenhänge und Hintergründe Bescheid wüßtest, das tun schließlich auch nicht besonders viele. Deswegen habe ich ja versucht, Dir in ein paar Sätzen einiges Wesentliches zusammenzufassen. Übrigens sehr aufschlußreich, was Du so aus der Schule erzählst: Dein Lehrer weiß nicht richtig, was ein Partizip ist, Du bist die einzige in der Klasse, die das Wort Rechtschreibreform ohne Fehler schreiben kann... Vielleicht etwas überspitzt dargestellt, aber sicherlich nicht ohne Grund. Die Idee der Kultusminister scheint also nicht gerade in strahlenden Erfolg zu münden. Immerhin gibt es zwischendrin noch ein paar sensiblere Gemüter wie Dich, die solche Verschandelung der Rechtschreibung nicht befürworten möchte.
Deine Forderungen sind auch klar und nachvollziehbar: Eine bessere Rechtschreibung, die leichter zu verstehen ist. Nun gut, das ist die alte. Daß das neue Regelwerk bedeutend umfangreicher ist und auch mehr Komplexität aufweist, kann ja wohl kaum die Aussage zulassen, es sei einfacher als das vorige. Einzelschreibweisen einfach auswendig zu lernen ist natürlich logischerweise nach der Reform auch nicht schwerer oder einfacher als vorher. Das reformierte Regelwerk weist die höhere Komplexität auf, ohne damit im Gegenzug sprachlichen Gewinn herzustellen. Ganz im Gegenteil: die Differenzierungsfähigkeit der Schriftsprache wird stark beschnitten, wo überhaupt etwas verändert wurde.
Deine Einschätzung, der unlogische Teil sei bei der neuen Rechtschreibung viel kleiner, kommt mir etwas vorschnell vor. Es ist zwar richtig, daß in dem Bereich der Getrennt-/Zusammenschreibung mit der Reform eine konsequentere Regulierung vorgenommen wurde, allerdings sind diese Regeln in ihrer Kompliziertheit geradezu absurd. Sie haben auch keine sprachliche Funktion, sie regeln einfach nur, um zu regeln. Bisher hat ein gut entwickeltes Sprachgefühl ausgereicht, um mit der Angelegenheit zufriedenstellend klarzukommen, nun muß man einen Regelkomplex beherrschen, den man kaum durchschaut, selbst wenn er direkt vor einem liegt. Ihn beim Schreiben intuitiv anzuwenden ist völlig abwegig, eher merkt man sich einfach die Wörter, wie sie im Wörterbuch stehen (was man immer schon machen konnte). Man kann außerdem nicht unbedingt immer nachvollziehen, wie die resultierenden Schreibweisen sich aus diesen Regeln ergeben haben sollen, selbst die Wörterbuchredaktionen, also die absoluten Experten auf diesem Gebiet, sind an einer einheitlichen Auslegung dieser Regeln gescheitert, wie die zahlreichen Abweichungen der frühen Auflagen nach der Reform zeigen. Es gibt also eine Menge Beweise dafür, daß die Rechtschreibung durch die Reform keinesfalls einfacher oder gar insgesamt (auch für den Leser) besser geworden ist. Das wird besonders von denen aber trotzdem unermüdlich schlicht behauptet, die entweder wirtschaftlich von der Reform profitieren oder sich dazu politisch gezwungen sehen, da sie sonst befürchten, ihr Gesicht zu verlieren. Und natürlich unverbesserliche Ideologen, denen man mit logischen Beweisführungen einfach nicht beikommen kann.
Du gibst ja zu: Ob ich die alte Reform damals in der ersten und zweiten Klasse verstanden habe weiß ich nicht mehr (nach dem habe müßte übrigens ein Komma stehen, nur als Hinweis). Tja, so ist es natürlich etwas schwer, die beiden Rechtschreibungen qualitativ miteinander zu vergleichen. Aber Du stößt ja auf die alte Rechtschreibung in allerlei Büchern, spätestens, wenn Du meinen Lektüreempfehlungen nachgehst (gibt´s garantiert auch in der Bücherhalle, schont das Taschengeld). Ohne diese Möglichkeit des eigenen analytischen Vergleichs ist man natürlich im großen und ganzen darauf angewiesen, zu glauben, was andere einem erzählen. Ich halte mich selbst allerdings für einen ziemlich vertrauenswürdigen Menschen in dieser Angelegenheit, schließlich verdiene ich nichts an einer Verhinderung der Reform, mir geht es einfach nur um Schutz und Pflege der Sprache, redliche und gute Schulbildung sowie um moralischen Anstand in der Politik (ich weiß, der ist dort nicht besonders tief verwurzelt, aber erwarten, fordern und überwachen muß man das gerade deswegen besonders).
Daß eine nicht unbeachtliche Menge auch unter Schülern die Reform scheiße findet, habe ich auch schon gelegentlich feststellen können. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß kaum einer unter ihnen allzu stichhaltige Argumente vorbringen kann, immerhin müßte man dazu über einige Hintergründe informiert sein, und als Schüler hat man für ausgiebige eigene Nachforschungen wohl kaum genug Zeit (oder auch nur Lust, neben der Schule noch extra). Vielleicht sollte man mal eine Informationskampagne für Schüler starten, die sind schließlich die eigentlichen Leidtragenden, da sie seit 5 Jahren Dinge lernen, die unter Garantie in Kürze wieder überholt sein werden, selbst wenn die Reform nicht zurückgenommen wird. Denn an den Regeln wird immer noch gebastelt. Punktuell, in Form von Schreibweisen einzelner Wörter, wurde die Reform in der letzten Zeit bereits stark zurückgebaut, wie man in den neuesten Wörterbüchern leicht nachprüfen kann. Man weiß nur noch nicht genau, wie das zu den Regeln passen soll, die eigentlich oft eindeutig ganz anderes vorschreiben. Das Regelwerk wird also zwangsläufig angepaßt werden müssen, und die Vorbereitungen dazu laufen bereits seit einer Weile.
André Minninger ist einer der 4 Autoren, die derzeit die ???-Bücher schreiben. Seine Kollegen sind Ben Nevis, Katharina Fischer und eben André Marx. Der Band, von dem Du redest, ist offensichtlich Vampir im Internet, der aber auch nicht gerade ein Glanzstück der Reihe ist. Die Erzählweise ist zwar meist gar nicht so übel, nur die Handlung selbst ist a) mit dem ganzen Internet- und Computerspielbezug unangemessen trendanbiederisch für die drei ???, b) kaum als Krimi zu bezeichnen, der findet nur so nebenher statt. Ich habe auch mit André Minninger über dieses Buch persönlich gesprochen, er ist anscheinend selber nicht so besonders stolz darauf (eher auf seine Hörspielumsetzung, die auch wesentlich gelungener ausgefallen ist; er ist außerdem auch Hörspielskriptschreiber und Tonmeister bei Europa) und hat sich ständig damit verteidigt, der Verlag hätte halt gern mal was zum Thema Internet usw. gehabt, wäre eben gerade angesagt. Mit dem wirklich unglaublich dämlichen Fehler, einen Briefkasten zu lehren und der grundsätzlich ungekannt miserablen Korrekturarbeit an den seit einiger Zeit auch in Reformschreibung erscheinenden ???-Büchern habe ich ihn ebenfalls konfrontiert. Er war darüber auch nicht glücklich. Das Niveau hat eben nachgelassen. Schade eigentlich. (Wahrscheinlich steigen die Korrektoren selber noch nicht so ganz bei den neuen Regeln durch; in der rote Rächer, dem letzten Buch von Katharina Fischer, war eine ganze Seite lang das anredende Personalpronomen Sie klein geschrieben, wohl eine falsche Folgerung aus der Tatsache, daß die Reform in Briefen nun auch die Kleinschreibung von Du, Dein usw. fordert. Später wurde es dann wieder korrekt groß geschrieben.)
Mit den schädlichen Auswirkungen der Reform meine ich außer der Kommasetzung vor allem die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Groß- und Kleinschreibung. Hier (allerdings auch woanders) sind wirkliche linguistische Fehler im Regelwerk vorhanden, die resultierende Schriftsprache ist undifferenzierter, ein scharfes Werkzeug wird unnötig abgestumpft. Dies sind die Bereiche, die vor allem für den Leser ärgerlich sind. Aus Sicht des Schreibenden kommt da noch im wesentlichen das angeblich neuerdings so transparente Stammprinzip hinzu, nach dem nun z.B. Gräuel, Gämse oder aufwändig geschrieben werden soll. Trotzdem sind z.B. stähen, dänken, Träue und vieles mehr aber immer noch Rechtschreibfehler, obwohl der Bezug zu Stand, Gedanke und Vertrauen deutlich auf der Hand liegt. Man muß also genau wissen, bei welchen Wörtern diese Stammorientierung erlaubt ist und wo nicht. Mit demselben Aufwand könnte man aber jede beliebige andere Schreibweise dieser Wörter lernen, also auch die bisherige, die in allen vor 1996 gedruckten Büchern vorkommt und auch in den seitdem erschienenen in der großen Mehrzahl praktisch alle bekannten Schriftsteller verweigern sich ja der Reform, sicherlich nicht aus reinem Starrsinn, sondern mit Grund. Eine Lernerleichterung existiert nicht, im Prinzip sind die neuen Schreibweisen genauso einfach oder schwierig aus der Gewöhnung lernbar wie zuvor, allerdings hat die Reform ein Durcheinander verschiedener nebeneinander existierender Rechtschreibungen verursacht, mindestens die ganz normale alte Rechtschreibung ist natürlich unvermeidbar immer noch stark präsent und wird es in jedem Fall noch jahrzehntelang bleiben. Die Reform hat genau das Gegenteil von dem bewirkt, wofür sie gedacht war. Wenn man sie immer nur so sieht, wie sie gedacht war, wird sie einem natürlich wunderbar, toll und fortschrittlich vorkommen. Man sollte aber die wirklichen, greifbaren Fakten in die Bewertung einbeziehen, nur fällt das Urteil dann eben wenig schmeichelhaft aus. So ist es nun mal.
Übrigens, wenn ich Dich schon litebloo nenne, kannst Du mich genausogut auch sire nennen, das ist schon seit Ewigkeiten ein bekanntes Pseudonym von mir.
Netten Gruß
– geändert durch Christian Melsa am 22.04.2001, 05:47 –
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