Zur Erinnerung
Für Neuankömmlinge auf diesen Seiten ist es vielleicht nicht unnütz, den folgenden Text noch einmal anzuführen, den ich im vorigen Herbst aus akutellem Anlaß geschrieben habe. Im übrigen sei an das Vorwort zum Rechtschreibwörterbuch erinnert, wo ausdrücklich davon die Rede ist, daß eine neue Fassung der Regeln zur Diskussion gestellt wird und daß das ganze Werk ein Vorschlag zum sprachgerechten und vor allem leserfreundlichen Schreiben sei. Die abschließende Einladung an die benutzt, an der weiteren Verbesserung mitzuarbeiten, ist gut aufgenommen worden. Dies alles ist offensichtlich ziemlich weit von den Mutmaßungen des Herrn Jansen entfernt. Nun der besagte Text:
Wie man schreibt
(Antwort auf Wilfried Kürschner, Vechta)
Das Rechtschreibwörterbuch, das ich im Sommer 2000 veröffentlicht habe, ist grundsätzlich deskriptiv angelegt, d. h. es stellt die bis zur sogenannten Rechtschreibreform übliche Schreibweise des Deutschen dar. Wegen ihrer besonderen Bedeutung und Verbreitung sind hauptsächlich Zeitungstexte zugrunde gelegt, vor allem die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung auf Jahrgangs-CD-ROMs, daneben aber auch andere Texte unterschiedlicher Art. Bei der Untersuchung hat sich bestätigt, daß der alte Duden im Laufe der Zeit mit Einzelfestlegungen überfrachtet worden war, die wohl auf unzählige Anfragen von Sekretärinnen und Lehrern zurückgehen. Solche professionell mit Schreiben und Korrigieren befaßten Personen sind an eindeutigen Regelungen interessiert. Diesem Bedürfnis kommt der Duden entgegen, allerdings um einen hohen Preis. Denn wenn die Zahl der zwar eindeutigen, aber kaum vorhersehbaren Einzelfestlegungen steigt, wächst das Lernpensum ins Unermeßliche. Das gilt besonders dann, wenn die vorgeschriebenen Schreibweisen gegen die Intuitionen der Sprachgemeinschaft verstoßen oder wenn sie einen Bereich betreffen, der zur Zeit überhaupt nicht festlegbar ist. Nehmen wir einige konkrete Fälle. Wie in mehreren Untersuchungen nachgewiesen wurde, ist die Neigung, Nominationsstereotype (feste Begriffe) wie Erste Hilfe und Schneller Brüter groß zu schreiben, weit verbreiteter, als der alten Duden anzuerkennen bereit war. Die Erste Hilfe schrieb er vor, den Schnellen Brüter verbot er. Die Neuregelung will hier bekanntlich überhaupt keine Großschreibung mehr zulassen außer auf dem Gebiet der biologischen Nomenklaturen (so restriktiv legen Kommission und Wörterbuchverfasser jedenfalls die neue Regel aus). Mein Rechtschreibwörterbuch erkennt die Schreibwirklichkeit mit ihren durchaus nachvollziehbaren Großschreibungen an. Ein anderes Beispiel aus dem Vorwort ist das Adverb nochmal. Der alte Duden untersagte die Zusammenschreibung, die Neuregelung schreibt sie vor. Die Schreibwirklichkeit kennt beides (zum Beispiel in der SZ von 1998: 474 Fälle von Zusammenschreibung) und muß hingenommen werden. Der alte Duden schreibt Zusammenschreibung von verlorengehen vor, die Neuregelung untersagt sie. Im Jahrgang 1998 der SZ finden wir 38mal verlorengeht und 33mal verloren geht, 179mal verlorengegangen und 63mal verloren gegangen. Im selben Jahrgang steht hundertmal zugrundeliegen bzw. -legen und hundertmal zugrunde liegen bzw. legen. Kein Leser dürfte hier etwas bemerkt haben; auch die Reformer Augst und Schaeder haben die freilich etwas seltsam klingende Beobachtung gemacht, daß die Deutschen in diesem Bereich ständig Fehler machen, ohne daß es überhaupt bemerkt wird! Wenn man sich einmal von der Vorstellung befreit hat, daß der Duden per definitionem mit der richtigen Schreibung identisch ist, dann kann man hier natürlich überhaupt nicht mehr von Fehlern sprechen, sondern nur noch von natürlicher Varianz. Das Rechtschreibwörterbuch wird dem gerecht, indem es dort, wo Varianzen dieser Art in nennenswertem Maße zu beobachten sind, beide Schreibweisen freigibt, d. h. dem Schreibenden anheimstellt. Natürlich trifft das Wörterbuch dabei eine vernünftige Auswahl, verzeichnet also keineswegs alles, was irgendwann einmal geschrieben wurde. Zum Beispiel wird bei zartfühlend keine Getrenntschreibung angegeben, weil diese, mag sie auch irgendwo vorkommen, weder häufig genug noch besonders sinnvoll ist. Auch zu Grunde ist so selten, d. h. veraltet, daß es nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nicht wiedereingeführt zu werden braucht. Und wenn jemand doch so schreibt? Dann schreibt er nach der von mir vertretenen Grundauffassung nicht falsch, sondern unüblich, und genau dies teilt ihm das Wörterbuch mit. Denn rechtschreiben heißt: schreiben wie die anderen; schreiben, wie es üblich ist. Natürlich erkläre ich manches für richtig, was bisher als falsch galt. Das liegt an meinem veränderten Maßstab: Was üblich ist, kann nicht falsch sein. Das müßten eigentlich gerade diejenigen anerkennen, die den konventionellen Charakter der Orthographie so sehr hervorkehren. Aus dieser neuartigen, eigentlich aber auf die ursprüngliche Konzeption des Dudenschen Werks zurückgehende Anlage des Rechtschreibwörterbuchs folgt, daß jemand, der sich danach richtet, genau solche Texte hervorbringt, wie sie in Millionen deutscher Druckwerke und nun auch wieder in der FAZ zu finden sind, also orthographisch vollkommen unauffällige Texte. Gleichzeitig ist aber der orthographische Lernstoff gegenüber dem Duden erheblich reduziert. Die Rechtschreibregelung ist also wesentlich leichter geworden, ohne daß sich an der Regelungsmaterie das Geringste geändert hätte. Man kann die Probe darauf machen. Wenn dieses Ergebnis das Werk eines verkappten Radikalreformers ist, will ich mir diese Kennzeichnung gern als Ehrentitel zu eigen machen.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
|