Die Angst, sich zu exponieren
Über Effektivität und Effizienz des Kampfes gegen die Rechtschreibreform, d.h. die Wirksamkeit bzw. Durchschlagskraft, ließe sich sehr viel sagen, auch Nachdenkenswertes wie: Wer nichts macht, macht nichts falsch! oder Es ist nicht schwer, das Gute zu erkennen, aber wohl, es in die Tat umzusetzen: (Konfuzius, Schu-king, 3, 8, 2, 11).
Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist wie Volksbegehren und repräsentative Umfragen es zeigen aus verschiedensten Gründen gegen die Rechtschreibreform. Deshalb wird meist privat über die Rechtschreibreform geschimpft. Aber die Bereitschaft, sich öffentlich gegen die Rechtschreibreform zur Wehr zu setzen, ist gering. Dieses unzureichende politische Engagement zeigt ganz allgemein, daß es in unserer streitbaren Demokratie noch zu wenig mündige Staatsbürger gibt, die bereit sind, demokratische und kulturelle Werte unter Aufopferung privater Interessen und Vorteile zu verteidigen. Erich Kästner sagt: An allem Unfug, der passiert, sind nicht nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.
Warum beteiligen sich hier nicht mehr Lehrer, Hochschullehrer und andere beruflich Betroffene? In allen Berufsgruppen regiert hinsichtlich des Kampfes gegen die Kultusministererlasse und die Anordnungen der Innenminister die Angst davor, sich weithin sichtbar zu exponieren und damit anzuecken. Die meisten Berufstätigen bis hinauf zu den Germanisten haben Angst, weil sie in einem öffentlichen Dienstverhältnis oder privaten Arbeitsverhältnis stehen und damit von ihrem Dienstherrn oder Arbeitgeber abhängig sind. Ähnlich wie in der ehemaligen DDR befürchtet man berufliche und damit finanzielle Nachteile, z.B. durch Disziplinarmaßnahmen bis hin zu Mobbing, durch eine schlechte dienstliche Beurteilung, durch Nichtberücksichtigung beim beruflichen Aufstieg, usw. Die Öffentlichkeit merkt kaum, welchen Pressionen die Reformkritiker ausgesetzt sind und daß es einiger Zivilcourage bedarf, trotzdem etwas gegen die Verschandelung der Schriftsprache und den Verfassungsbruch der Kultusminister zu unternehmen.
Hinsichtlich mancher unnötiger Streiterei hat Dr. med. Wolfgang Scheuermann recht. Streitereien kommen aber auch in den besten Familien vor. Sie kosten aber oft unnötig Zeit und Kraft. Auf dieser Netzseite äußern sich einerseits hochqualifizierte Germanisten, aber andererseits auch Lehrer und Nichtgermanisten als einfache Sprachbenutzer und Sprachpraktiker. Deshalb können Meinungsverschiedenheiten nicht ausbleiben. Aber man sollte sie objektiv als verkleinertes Abbild des Marktgeschehens oder hin und wieder auch als wissenschaftlichen Streit betrachten und tolerieren und nicht subjektiv als persönliche Herabsetzung der Gegenseite werten und deshalb der Gegenseite keine Vorwürfe machen.
Wer kämpft, kann verlieren! Wer nicht kämpft, hat schon verloren! (Bertolt Brecht). Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Von wem stammt dieser Spruch?) Das aber können einzelne Bürger, die ihr eigenes Interesse nur privat verfolgen, nicht bewirken. Einzelkämpfer haben nicht das nötige Gewicht. Es genügt auch nicht, von Bürgern Unterschriften einzuholen oder Dichter und Denker zum Jagen zu tragen, die ansonsten nur zugeschaut und privat geschimpft hätten; denn das persönliche Engagement läßt sich nicht ersetzen. Um die größtmögliche politische Schlagkraft zu erzielen, bedarf es zuerst einmal einer Solidarisierung vieler Bürger in einer organisierten Interessengruppe. Deshalb lädt der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V. (VRS) als Initiative gegen die Rechtschreibreform dazu ein, Mitglied im VRS zu werden. Das wäre der erste Schritt zur gewünschten größeren Effektivität und Effizienz.
Manfred Riebe
|