Ergänzung zu meinem letzten Beitrag:
Ich kann Michael Jansens Gedankengang insofern nachvollziehen, als daß die Reformer ihre anfängliche Wörterliste ja selber verworfen haben, wie sich an den Angleichungen der neuen Wörterbücher zeigt. Damit haben sie allerdings gleichzeitig auch die ganze Grundkonzeption der Neuregelung verworfen, da die Regeln immer noch dieselben sind, aber immer mehr an Gültigkeit verlieren, sofern man sich an den Einzelschreibweisen orientiert was einem aber auch gar nicht anders übrigbleibt. Dies zumindest in Grenzfällen, in denen die Regeln zu schwammig formuliert sind, wie etwa die typische Floskel dies gilt für Wörter wie:, in denen ein paar Beispiele genannt werden, jedoch ziemlich unklar bleibt, wie diese Reihe nun im genauen fortzusetzen sein soll. Ein ähnlicher Fall ist das Steiger- und Erweiterbarkeitskriterium in der GZS. Man könnte einerseits davon ausgehen, daß es sich letztendlich auf die Möglichkeit der Steiger- und Erweiterbarkeit im Kontext des Gesamtgebildes beziehen soll, andererseits wäre es auch gut so zu verstehen, daß nur der erste Bestandteil für sich gemeint ist. Für beides gibt es entsprechende Beispiele sowohl in der ursprünglichen Wörterliste wie auch dem aktuellen Zustand der offiziellen Auslegung der Regeln durch die Kommission. Davon unabhängig ist natürlich immer noch anzumerken, daß das ganze Kriterium nicht sehr brauchbar ist, da es in keinem Fall das tatsächliche Sprachphänomen abbildet, sondern eine künstliche Behelfskonstruktion ist.
Entweder man hält die Interpretierbarkeit der Neuregelung für so biegsam, daß man sich fragen muß, wozu man sie überhaupt kreiert hat, denn in Wahrheit handelt es sich ja vielfach nicht wirklich um Ausnutzung von Freiräumen (die dann immer noch den Vorwurf der Einebnung von sprachlichen Differenzierungen gestatten würden), sondern um schlichtes Ignorieren ihrer Zwänge doch das hätte man dann auch in bezug auf die alten Regeln so machen können, ohne den Aufwand, der für die Entwicklung der Neuregelung betrieben wurde. Das wäre sogar noch viel eher denkbar gewesen, da die alten Regeln, zumal im Bereich GZS, ohnehin nicht so präzise und allgemeingültig waren, wie es die Neuregelung beansprucht (genau das wurde ja gerade als gewünschter Fortschritt durch eine Reform angepriesen). Oder man anerkennt gewissermaßen die tatsächlichen Umstände, hält die neuen Regeln gleich für unwichtig und klammert sich allein an die (jeweils gerade aktuellen) Einzelwortfestlegungen der Reformer bzw. der Rechtschreibkommission, was aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in letzterer keinen besonderen Unterschied ausmacht. Zwar hat man die Kommission nun mit dem Lendenschurz des Beirats bemäntelt, mit dem sich nun unter reduziertem Gesichtsverlust die Revisionen begründen lassen, an denen ohnehin schon seit Jahren gewerkelt wird. Das Grundproblem der Rechtschreibreform, ihre fehlende Legitimation, bleibt damit allerdings erhalten, und ein Haupthindernis zur besseren Lernbarkeit, die vergrößerte Verwirrung wegen immer neuer Schreibweisen, sowieso. Dies um so mehr, da vom Beirat sich ja nur die deutschen Mitglieder der zwischenstaatlichen Kommission reinreden lassen wollen. Ein weiterer Schritt zurück in die Zustände vor 1901.
Dazu ist noch anzumerken, daß natürlich die Gefahr besteht, daß nach Verkündung der vorgenommenen Änderungen am Regelwerk die Reformbetreiber den Gegnern entgegenschleudern werden, sie seien doch so milde gewesen, sich auf einen Kompromiß einzulassen (obwohl ja das ursprüngliche Regelwerk schon als solches bezeichnet wurde, als bescheiden, behutsam und so weiter). Gerade die besonders hartnäckig verdrängenden Medien, wie z.B. der Springer-Verlag, werden dieses Argument fleißig unter die Leute zu bringen versuchen.
Solange man in bestimmten Bereichen aber nicht vernünftigerweise gleich auf die Linie der alten Regeln zurückkehrt, wäre das Grundproblem wie gesagt nicht gelöst. Ließen sie sich konsequent auf diese Kritik ein, wird es den Reformbetreibern jedoch niemals möglich sein können, sich für eine Reform, die diesen Namen auch verdient, auf die Schulter klopfen zu können. Es ist ein ähnliches Phänomen wie mit Bushs Lieblingskind NMD. Auch wenn dieses System niemals erfolgreich wird funktionieren können, da es mit simplen Tricks zu umgehen ist, denen man aus naturgesetzlichen Zwängen durch die Methode einer solchen Raketenbekämpfung im Weltall nun einmal nicht beikommen kann, sieht es so aus, als ob die amerikanische Regierung sich fest dazu entschlossen hat, es dickköpfig durchzudrücken (im militärischen Bereich kann man immerhin problemlos mit dem Ausweichargument der strikten Geheimhaltung von Details operieren, während die Geheimhaltungspraxis der Rechtschreibkommission ihrerseits geheimgehalten werden muß). Auch hier gibt es natürlich Leute wie Michael Jansen, Daniela Kopsch und Co bezüglich RSR, die nicht glauben wollen, daß solche Vorgänge sich nur ereignen, weil sie durch schlichten Lobbyismus mächtiger Wirtschaftszweige gedeckt sind und Politiker äußerst ungern zugeben, sich geirrt bzw. einer Illusion angehangen zu haben.
Christian Melsa 22149 Hamburg
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