Obrigkeitsstaat
So ein richtiger Obrigkeitsstaat sind wir nicht, das meint weder der sich in mildem Spott ergehende Herr Jansen noch sonst ein Besucher dieser Seite so ein Staat würde ganz andere Machtmittel einsetzen. Wir haben aber eine bemerkenswerte obrigkeitsstaatliche Tradition (cuius regio eius religio = der Landesherr legt die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen fest: Das muß man sich einmal so richtig vorzustellen versuchen!) und die wirkt wahrscheinlich noch lange nach. Der quantitativ vorherrschende Eingriff der Rechtschreibreform ist der in die ß/ss-Regel. Nun haben Ickler u.v.a. dargestellt, emprisch untersucht und den Nachweis erbracht, daß die Neuregelung ohne erkennbaren Sinn ist. Man hätte vielleicht das ß (kein Buchstabe, eine typographische Variante zu ss, klar) ganz streichen können oder zulassen können (aus Nachsicht für verzeihliche Konzentrationsschwäche?), daß Schüler es nicht als Fehler angerechnet bekommen, wenn sie das anstelle von daß/dass schreiben (oder vielleicht auch mal umgekehrt?) Beides (vor allem wohl das letztere) hätte die Fehlerzahl in Schüleraufsätzen reduziert. Ich bitte um Verzeihung, dies hier zu wiederholen, aber m.E. wurde FÜR die Neuregelung in diesem Bereich noch nie ein stichhaltiges Argument vorgebracht. (Im Gegenteil spricht fast alles, was man finden kann, dagegen: Bertelsmann pendelt in seiner Homepage zwischen Genussschein und Genußschein was erkennt man leichter? Herrn Peil verdanken wir die Beispiele Kongresssaal, Schussserie und Basssänger, die Neuregelung ist auch ahistorisch, weil sie den gewachsenen Sinn des ß diese beiden s dürfen oder können nicht getrennt werden, deshalb sind sie zu EINEM typographischen Zeichen verschmolzen offenkundig verkennt.) Auch das sogenannte Stammprinzip wird doch kaum jemand ernsthaft vorzubringen wagen (schießen/Schuss???). Der einzige Vorteil der Neuregelung scheint zu sein, daß man sie sich leicht merken kann so führt sie dann vom Verständniss zum Ärgerniss. Nun einmal angenommen, wir wären nicht mehr obrigkeitsstaatlich geprägt, sondern Mitglieder einer offenen Gesellschaft, würde dann einer einen solchen Regelungsvorschlag übernehmen? Vielleicht der eine oder andere, der darin doch einen Sinn zu sehen vermöchte, aber ich würde ihn wahrscheinlich um eine Erläuterung bitten. Wenn er diese nicht geben könnte, warum schriebe er dann dennoch brav zwar fließen aber Fluss? Konkret, Herr Jansen, fühlen Sie sich als Bürger einer freien Gesellschaft? Dann wären Sie doch auch frei, zum ß zurückzukehren, wie es sich im Deutschen nun einmal bewährt hat (und zumindest hier in Heidelberg, die Plakate weiter dominiert), u.a. auch, weil es lesefreundlicher ist (s.o.). Wenn Sie keine überzeugenden Argumente im Köcher hätten, aber weiter bei dass usw. blieben dann müßte ich noch einmal nachdenken, wie ich Sie einstufen sollte. Professor Ickler hat dieses ss gelegentlich als Unterwerfungsgeste interpretiert so wird es auch hier an der Heidelberger Universität oft verstanden. Bitte, Herr Jansen, verstehen Sie dies nicht als persönlichen Angriff ich bin völlig offen für jede Erwiderung. Allerdings, wenn Sie das dass tatsächlich wieder aufgeben würden (weil es z.B. der hinreichenden Begründung ermangelte), dann könnte die weitere Diskussionen weiter nur noch darum gehen, was besonders sinnvoll, treffend (und natürlich zuvörderst auch empirisch nachweisbar!) ist. So wohlwollend, wie Sie oft die neuen Regeln im Sinne der deutschen Sprache zu interpretieren versuchen, kämen wir dann einer einheitlicheren Rechtschreibung leichter wieder näher.
Dr. Wolfgang Scheuermann Heidelberg
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