Punktgenau
Natürlich ist es ein ziemlicher Fake, wenn Rudolf Hoberg den Sprachverfall mit der Anzahl der geschriebenen Wörter in einem Text widerlegen will. Meiner Ansicht nach gilt immer noch der Grundsatz »Klasse statt Masse«. Ob der »reichere Wortschatz« auch Anglizismen miteinbezieht, geht aus dem Text allerdings nicht klar hervor.
Ich behaupte, eine Sprache, in der man sich nicht mehr präzise ausdrücken kann, hat keine echte Überlebenschance!
Otto Schumann führt aus:
»Freilich, um ausdrücken zu können, was Sie innerlich bewegt, müssen Sie über die entsprechenden, ich wiederhole: die entsprechenden Worte verfügen, das will sagen, diejenigen Sprachwendungen, die dem von Ihnen Erschauten, Erdachten, Durchdachten, Erlebten, Verarbeiteten in jeder noch so winzigen Einzelheit so nahekommen wie nur irgend möglich. Wenn Sie nur ungefähr das sagen, was Sie bewegt, was das Geschehen verlangt, was die Umwelt erfordert, was die Personen kennzeichnet, dann gleichen Sie einem Übersetzer, dem die erforderliche Kenntnis der Sprache und sogar ein gutes Wörterbuch abgehen.« (SCHUMANN, O. [Hrsg.] (1995): Grundlagen und Techniken der Schreibkunst. Wilhelmshaven: Noetzel, S. 31 f.)
WORD! So ist es. Der Mann hat recht!
Welchen sittlichen Nährwert hat eine Reform, die es dem oder der Schreibenden UNTERSAGT (!), sich in dieser Sprache präzise auszudrücken? Wenn der Vorgesetzte sagt: »Sie müssen das aber nach den neuen Regeln verfassen«, dann steht man vor dem Problem, daß man zwar noch weiß, wie man sich präzise ausdrücken KANN, es aber aufgrund des Erlasses nicht mehr DARF! Irgendwann wird die präzise Ausdrucksweise verlernt, wenn man es versäumt, die richtigen Schreibweisen zu kultivieren, und dann stehen wir alle vor dem Dilemma, aus Dummheit und Kurzsichtigkeit einiger Zeitbürger das bereits erwähnte Skalpell gegen besagte Keule eingetauscht zu haben. Wenn ich mich im Englischen präziser ausdrücken kann als im Deutschen, dann werde das definitiv tun, anstatt den potentiellen Leser mit Wahrscheinlichkeiten (»Wie hat er das gemeint?«) operieren zu lassen, die insbesondere durch die neuartige Getrenntschreibung mancher Wörter etabliert werden.
Ich bin ebenfalls dafür, daß man sich in seiner Sprache auch ohne Fremdbegrifflichkeiten ausdrücken können sollte, aber wenn man auch diese beherrscht, steht es einem frei, virtuos auf der Sprachklaviatur zu improvisieren, so es einem selbst und dem Publikum gefällt. Hauptsache, das, was man sagen will, kommt punktgenau rüber! Meine Meinung.
Thomas Rhaire Hamburg
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