Reformer auf Abwegen
Die Erfinder der Rechtschreibreform waren offenbar sehr zufrieden, als sie ein rein formales Kriterium der Getrennt- und Zusammenschreibung entdeckt hatten: Erweiter- oder Steigerbarkeit des ersten Bestandteils. Dabei war ihnen allerdings entgangen, welche fatalen Folgen das für die Grammatik hat. Neben der Steigerbarkeit des Ganzen (Aufsehen erregendste) gibt es ja noch weitere Gründe, die in vielen Fällen gegen die Getrenntschreibung sprechen, so daß im Zuge der Revision nun auch die Zusammenschreibung wieder zugelassen werden mußte wie bereits anläßlich der Mannheimer Anhörung vorgeschlagen. Dieser klägliche Rückzug darf aber nicht den viel tiefer sitzenden Irrtum überdecken: Ob bei einer solchen Fügung der Artikel gesetzt wird oder nicht, hat mit der Getrennt- und Zusammenschreibung überhaupt nichts zu tun. Wir haben seit je insektenfressend ebenso gebildet wie eisenverarbeitend, schweißtreibend, blutreinigend, aufsehenerregend und menschenverachtend. Bei eisenverarbeitend steht in der entsprechenden Wortgruppe (die es ja nach wie vor auch noch gibt) kein Artikel, weil Eisen ein kontinuatives Stoffsubstantiv ist. Bei insektenfressend wegen des Plurals (Nullartikel sagen manche auch es ist sozusagen die Pluralform des unbestimmten Artikels). Bei blutreinigend deutet der bestimmte Artikel (reinigt das Blut) Zugehörigkeit an, vgl. diese Maschine reinigt Blut also Blut jedweder Art, nicht bloß das in Frage stehende Blut des Patienten). Also: Die Reformer haben zwar ein formales Kriterium gefunden, aber es ist vollkommen unangemessen, hat mit der Sache nichts zu tun und führt daher auf Abwege, von denen man jetzt mühsam und in kleinen Schritten wieder herunterzukommen versucht. Zum Beispiel ist um auf Hern Illauers Beispiel zu kommen notleidend zwar wiederhergestellt, aber nur fachspr.: notleidende Kredite. Aus der Diskussion mit Klaus Heller weiß ich noch, daß er diesen Ausdruck aus dem Finanzwesen ursprünglich gar nicht kannte, was man ihm als ehemaligem DDR-Insassen gewiß nicht vorwerfen kann. Aber solche Ad-hoc-Reparaturen machen die Sache natürlich nicht besser und vor allem nicht einfacher. Mit dem Vermerk fachspr. versuchen die Reformer das Gesicht zu wahren, denn die Fachsprachen sollen ja von der Reform nicht betroffen sein was allerdings nicht stimmt, und an anderen Stellen pfuschen die Reformer kräftig in die Fachsprachen hinein, so daß jetzt zum Beispiel in den Biologiebüchern alle Stengel und insektenfressenden, freilebenden Tiere geändert werden. An dieser Front wird noch lange gekämpft werden, jeweils mit schlimmen Folgen für die gerade erst geänderten Bücher.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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