Lieber Herr Seifried,
danke für Ihre ausführlichen Zeilen. Mittlerweile habe ich mich hier in der Höhle des Löwen angemeldet :-), so dass ich Ihnen direkt antworten kann.
Sie sind also ein Parteigänger der Orthografie in der jeweils geltenden Form.
Ich bin kein Parteigänger, sondern würde mich als kritischen Anwender bezeichnen. Ich bin weit davon entfernt, alles gutzuheißen, was im Namen der Reform mit der deutschen Rechtschreibung geschieht. Z.B. werden solch scheußliche Trennungen wie O-fen usw. nie meine Zustimmung finden. Aber ich muss der Reform zugestehen, dass sie manche Fehlerquellen beseitigt hat, z.B. bei der s-t-Trennung und bei der ss/ß-Schreibung.
Bisher wurde deskriptiv das Gebräuchliche als geltende Rechtschreibung bezeichnet. Mit der Rechtschreibreform wird jedoch von oben diktiert, was geltend zu sein hat.
Immerhin ist dieses Oben nicht mehr ein kommerzieller Verlag (Duden), sondern eine länderübergreifende Kommission. Das letzte amtliche Regelwerk stammte von 1901 (auch von oben diktiert), so dass mir schon einleuchtet, dass eine Aktualisierung, die u.a. durch zwei Kriege verhindert wurde, notwendig erschien. Mir persönlich geht die Reform sogar nicht weit genug, ich hätte mir eher zwei wahlweise zulässige Varianten (bewährt vs. reformiert) gewünscht (also eine Art norwegische Lösung), wobei die reformierte Variante u.a. noch stärker als in der vorliegenden Form eine phonetische Schreibung (Filosofie, Ortografie...) hätte erlauben sollen. Didaktisch erscheint mir ein Nebeneinander dieser beiden Varianten nicht allzu problematisch, siehe Britisches/Amerikanisches Englisch im Unterricht. das derzeitige Reförmchen ist mit seinen vielen Zugeständnissen leider eine eher unglückliche Lösung, man hätte mehr daraus machen können und müssen. Insofern bin ich gar nicht der glühende Verfechter der Reformorthografie in ihrer gegenwärtigen Form, als den mich viele hier darstellen wollen.
Sie geben es ja selbst zu. Vorher war es einfacher. Sie beherrschen inzwischen auch die neue Rechtschreibung, jedoch mit dem Nachteil, daß Sie jetzt öfters im Duden nachschauen müssen. Das gibt doch Zweifel auf, ob die neue Rechtschreibung wirklich lern- und beherrschbar ist.
Da hinkt aber Ihre Argumentation. Wenn ich eine Fremdsprache lerne, beherrsche ich sie auch nicht gleich nach den ersten Lektionen. Schließlich hatte ich über 30 Jahre Zeit, die alte Schreibung zu erlernen, aber nur 4 Jahre für die neue, in denen von mir zudem eine gewisse Arbeitsleistung abverlangt wird. Ähnlich wird es einem Techniker ergehen, dessen Normen sich auf Grund irgendeiner neuen ISO-Verordnung geändert haben. Der wird die erste Zeit auch öfter in seinem Tabellenbuch nachschlagen müssen als zuvor. Ich bin mir sicher, dass ich in den kommenden Jahren zunehmend routinierter mit den neuen Schreibungen umgehen werde.
Und die Rechtschreibreform soll jetzt den entscheidenden Beitrag dazu geleistet haben, der unzureichenden Beherrschung des Deutschen Abhilfe zu schaffen? Leider wird sie genau das Gegenteil leisten.
Das lässt sich so noch nicht sagen, dazu ist die Reform zu neu. Wir sind ja alle mit der alten Schreibung aufgewachsen, es ist naturgemäß schwerer, sich umzustellen, als etwas von Anfang an neu zu lernen. Ich denke, den Schulkindern wird es am wenigsten Probleme bereiten.
Diese Toleranz der Rechtschreibreformer hätte ich mir auch gewünscht. Die Realität sieht leider anders aus.
Leider, ja. Genauso, wie es falsch ist, die Anwender der alten Schreibung als halsstarrig und verbohrt und ewiggestrig zu bezeichnen, ist es verfehlt, Reformschreibende als ungebildet zu titulieren, wie es aus den Werken von Prof. Ickler anklingt.
Vielleicht können wir uns darüber einig sein, dass wir uns nicht einig sind eben weil uns unsere Sprache nicht gleichgültig ist, egal, welche Schreibung wir bevorzugen.
Mit freundlichen Grüßen,
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Norbert Volz
Ludwigshafen
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