Lieber Uwe,
ich wüßte schon gerne, wer der normalschreibende Bürger ist? Und worum es sich bei den paar Gebildeten handelt, die angeblich die einzigen waren, die vor der RSR richtig schreiben konnten.
Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, kann ich mich gut an meinen Wunsch erinnern, man möge doch zumindest bestimmte Teilbereiche der Mathematik, wie z.B. Algebra, aus dem Lehrplan entfernen oder wenigstens vereinfachen. Leider hat man mir den Gefallen nicht getan und ich mußte weiterhin bei den Algebra-und Trigonometrie-Lektionen den Spott des Lehrers und sehr schlechte Noten erdulden, die ich nur durch meine besseren Noten in den Sprachen kompensieren konnte.
Ich zog daraus aber nicht die Schlußfolgerung, man müßte eine Mathematikkommission einsetzen. Meine Entscheidung war hingegen, daß für mich eher ein Sprachstudium als ein Studium der Mathematik geeignet wäre. Ich sah daran auch keine große Katastrophe oder Ungerechtigkeit, sondern war einfach der Meinung, daß Begabungen nun einmal ungleich verteilt sind. Manche können eben schlecht rechnen und andere wiederum schlecht schreiben. Daß man nun letzteren den Gefallen tun wollte, das Schreiben zu erleichtern, halte ich angesichts meiner Erfahrungen aber doch für ziemlich ungerecht. Es hat ja auch nicht geklappt, wie aus allen Zeitungen und Werbeschriften überaus deutlich hervorgeht.
Als im übrigen ganz normaler Bürger habe ich nun einen Beruf ergriffen, in dem ich viel schreiben muß. Ich kann daran nichts Ehrenrühriges sehen; auch nicht daran, daß ich mich um guten Stil und richtige Grammatik bemühe.
Und nun zurück zu meiner anfänglichen Frage: Wie viel schreibt Ihrer Meinung nach ein normalschreibender Bürger 1 Seite am Tag, 2 Seiten oder 10 Seiten und vor allem, was schreibt er? Einkaufszettel, Liebesbriefe, Forumbeiträge oder Zeitungsartikel, Bücher, Gebrauchstexte? Kann es wirklich sein, daß ein paar Gebildete das gesamte Schriftaufkommen in der Bundesrepublik bewältigen?
Und ist es nicht völlig absurd, eine Rechtschreibung zu entwerfen, die möglicherweise zur Abfassung eines Einkaufszettels genügt, aber viele differenzierenden Ausdrucksmöglichkeiten nicht mehr zuläßt und Leute, die viel schreiben, ständig irritiert? Oder um es anders auszudrücken, wäre es nicht viel besser, eine Rechtschreibung für Leute zu haben, die 10 Seiten am Tage schreiben müssen als für diejenigen, die gelegentlich mal einen Brief verfassen?
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