Legitimiert
So fragwürdig ich selbst es finde, Vergleiche mit dem Nationalsozialismus zur RSR zu ziehen: Was heißt legitimiert? Auch Hitler wurde von einem demokratischen Parlament legitimiert. Wie Legitimationen in einer Demokratie zustande kommen, läßt einen manchmal daran zweifeln, ob Demokratie so eine großartige Staatsform ist.
Der Vergleich mit der Steuerreform ist mir auch schon oft gekommen. Wenn Steuern erhöht werden, was wahrscheinlich sachlich begründbar ist in der Regel, gibt es ein Gezeter in allen Bevölkerungskreisen, die Opposition prangert an, alles regt sich auf, obwohl keiner wirklich Bescheid weiß.
Bei der Rechtschreibreform, die in vielen Lebensbereichen große Kosten verursacht, protestieren nur die Sprachsensiblen (die dennoch in den Verdacht geraten können, dies nur aus Profitgier zu machen, für viele offenbar die einzige vorstellbare Motivationsart, im Leben überhaupt irgend etwas zu tun), keine Geschäftsleute, keine Demokraten protestieren (jedenfalls nicht die, die etwas bewirken könnten) obwohl der staatliche Über- und Fehlgriff auf der Hand liegt.
Und die Steuern auch wenn man dagegen ist man muß sie schließlich zahlen. Aber die neuen Regeln müßte außer den Schülern und den Beamten keiner anwenden (auch die könnten sich bockig stellen), und besonders die Privatwirtschaft könnte viel Geld und Arbeitskraft sparen, wenn sie den Unfug schlichtweg ignorieren würde. Aber eilfertigst gehorcht dem Staat und bereitwilligst selbst Uwe, ein irgendwie kritischer und nicht gerade von Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten gekennzeichneter Geist. Die Respektierung einer staatlich beanspruchten Autorität hat bei ihm aber Vorrang vor dem Respekt einer Autorität in der Sache, in der Sachkompetenz. Seine Kommentare zur Rechtschreibung erinnern in ihrer mangelhaften Sachkenntnis und nebulösen Allgemeinfaselei an das, was ich etwa zur Steuerpolitik zu sagen hätte, von der ich eben auch nur verstehe, daß sie vom Staat geregelt wird und ich schließlich tun muß, was der anordnet.
Erstaunlicherweise wird in der Frage der Rechtschreibung dem Staat, dem sonst in allen Bereichen von seinen Untertanen gerne am Zeug geflickt wird, angefangen eben von den Steuern bis hin zur von den jeweils aktiven Regierungen praktizierten Politik überhaupt, wo jeder Biertischexperte ihm gerne die völlige Inkompetenz in allen Belangen bescheinigt (die Regierung, ja sogar Schröder ganz persönlich ist am Sinken der Börsenkurse schuld, Fischer wollte Krieg auf dem Balkan führen...) eine Kompetenz attestiert, wo dafür nicht der geringste Anhaltspunkt gegeben ist und wo das Ergebnis das Gegenteil beweist. Völlig seltsam ist das, erklärbar nur dadurch, daß viele die Reform tatsächlich für etwas Innovatives und toll Modernes halten, das beeindruckt immer (man trägt ja auch die scheußlichen roten, gelben oder grünen Jacken, wenn das grade angesagt ist oder die häßlichen teuren Brillen, an denen man früher den mittellosen Kassenpatienten erkennen konnte, oder man humpelt auf Plateausohlen durch die Gegend oder man durchbohrt sich den Körper an den blödesten Stellen) oder man kann es sich so erklären, daß ihnen das Ganze schlicht wurscht ist.
Eine befreiende Wirkung scheint die Reform auf diejenigen auszuüben, die glauben, damit sei den »Gebildeten« ein Hoheitsgebiet geraubt und der Allgemeinheit geöffnet worden, so wie einst die Schloßparks, in denen jetzt jeder rumlaufen darf, wogegen wenig zu sagen ist, denn was dort niedergetrampelt wird, kann wieder nachwachsen. Auch hier wieder die Analogie zur Mentalität der Nationalsozialisten mit ihrem Haß auf alles »Gebildete«.
»Telligent wollt ihr sein, ihr Professorenbande«, brüllt der Nazifeldwebel die zum Kloputzen angetretenen Männlein an, »wißt ihr, was ihr wirklich seid? In-telligent seid ihr, jawoll!«
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Walter Lachenmann
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