Von der neuen Nichtsnutzigkeit
Das h am Känguruh ist wirklich nicht das Problem eines siebenjährigen Schülers. Es zu streichen zeugt eher von einer Art Putzfimmel der Reformer.
Ab und zu spielen meine siebenjährige und meine fünfzehnjährige Tochter Schule. Englisch: die Große hat Comics gezeichnet und die Kleine (2. Klasse) konjugiert und schreibt in die Sprechblasen nach Situation „I am silly, you are silly ... – fehlerfrei. Die englische Orthographie macht ihr keine Schwierigkeit – sie lernt sie spielerisch. Nun kommen die „fortschrittlichen diplomierten und promovierten Pädagoginnen und Pädagogen und behaupten, unsere soviel einfachere Rechtschreibung sei zu schwer für die Kinder und wir müßten „für einen weiteren vereinfachten Schriftspracherwerb für unsere Nachkommenschaft sorgen: mit der modernen „Scheiß/Stuss-Formel und ergänztem Pipifax würden 50 Prozent der üblichen Fehler vermieden. Welch eine Verblendung!
Wenn Kinder nach Gehör schreiben, kommen sie auch im Deutschen nie auf irgendeine der jetzigen und zukünftigen „reformierten Orthographien. Es muß immer gelernt werden.
Bei meiner Siebenjährigen sah also der „Vokabeltest am 19.03.01 so aus:
crazy – ferückt; silly – dumm; teacher – Lererin; pupil – Schühler ...
Die englische Orthographie, die heute mehr denn je gelernt werden muß, wird niemals reformiert werden – zum Glück, denn sonst könnten die Nachfolgegenerationen die wichtige weltweite belletristische und wissenschaftliche Literatur der vergangenen Jahrhunderte seit Shakespeare kaum noch lesen. Wenn sie es könnte, wäre die „Reform nicht durchgreifend genug gewesen und bald darauf wieder reformreif. Eine schädliche Verwirrung wäre die Folge.
Die deutsche, vergleichsweise einfache Schreibung immer wieder reformieren zu wollen, obwohl sich die hochdeutsche Aussprache in den letzten hundert Jahren nicht verändert hat, ist ein verderblicher Aktionismus, der die guten Bücher des vergangenen Jahrhunderts alt aussehen läßt. Außer ideologischer Dummheit kann nur noch die Raffgier interessierter Kreise derartiges herbeiführen wollen. (In der ersten Fibel meiner Tochter stand ein einzelnes unmotiviertes „muss, wohl nur als Nachweis, daß sie in „reformierter Rechtschreibung verfaßt ist, um die kultusministerielle Zulassung zu erlangen.)
Gerade kann ich an meiner kleinen Tochter wieder den Prozeß des Schreiben- und Lesenlernens verfolgen. Der ganze Aufstand z.B. um das „leseerleichternde Doppel-s ist Unsinn, denn zuerst wird immer der lange Vokal ausprobiert. Wenn dann das Wort als eines der im kindlichen Wortschatz vorhandenen Wörter erkannt wird, ist es völlig gleichgültig, wie es geschrieben wird. Es geht nach einiger Zeit als Bildzeichen in das Langzeitgedächtnis über und buchstabiert wird nur noch, wenn ein unbekanntes Wort auftaucht.
Die „Reformer heben nun als weiteren besonderen Vorzug der ss-Schreibung hervor, daß jetzt deutsche wie englische Wörter mit ss enden können. Meinem kleinen Jungen (12) wurde dazu in einem Rechtschreib-Kreuzworträtsel das unheimlich wichtige deutsche Lösungswort „Cleverness beigebracht.
In den Internet-Foren finde ich dazu jetzt massenweise Schreibungen „Ergebniss, Ereigniss, Erlebniss, Erkenntniss, Finsterniss.... Neulich flog mir ein Zettel in Neuschreib auf den Tisch, den meine Tochter wegen Fahrens ohne Fahrschein (neudeutsch: Ticket) im Bus erhalten hat: Ein „Straf- und Bussgeldverfahren wird angedroht.
Nie hat es mit dem englischen „Tip Probleme gegeben. STOP steht immer noch auf den Verkehrsschildern und „Shop auf den Ladenschildern. Aber kaum war in Deutschland die reformbedingte Tipp-Seuche ausgebrochen, da wurde meine Tochter zu einem „tipp in der Englischarbeit inspiriert und erhielt prompt einen Fehler angestrichen.
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Sigmar Salzburg
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