Vom Regen in die Traufe
Was soll man von der Feststellung halten: Meiner Ansicht nach ist aber auch nichts gegen die verbreitete Praxis einzuwenden (...) alle Bindestriche wegzulassen und nach englischem Vorbild zu schreiben: Emil von Behring Gymnasium. Ganz besonders für Schilder usw. empfiehlt sich diese unpedantische Schreibweise.
Soll die Anglifizierung auch auf anderen Gebieten gefördert werden? Wer möchte schon als pedantisch gelten? Soll somit jemand als pedantisch gelten, der weiterhin mit Bindestrich schreibt? Soll man nun abwechselnd mit Bindestrich und ohne Bindestrich schreiben?
Wer so fragt, kriegt wahrscheinlich zur Antwort: Das ist die neue Rechtschreibung. Das ist der von Matthias Dräger so genannte Uwe-Effekt und zum Teil auch der Effekt der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bzw. kürzer: der Akademie-Effekt:
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Ich, Uwe Cassens, schreibe nach der neuen ß/ss-Regel. Das ist nämlich die neue Rechtschreibung, jedenfalls nicht die alte. Und da keiner so richtig weiß, was die neue Rechtschreibung eigentlich ist, mache ich auch praktisch keine Fehler mehr. Ich genieße Narrenfreiheit!
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Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, stellte fest, daß das ss das deutlichste Zeichen der Unterwerfung unter den Willen der Kultusminister ist (Theodor Ickler: REGELUNGSGEWALT Hintergründe der Rechtschreibreform, St. Goar: Leibniz-Verlag, 2001, S. 246). Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung will den Streit um die neue Rechtschreibung mit einem Kompromißvorschlag beilegen. Die Akademie akzeptiert mit Rücksicht auf die Schulbuchverlage das Herzstück der Reform, die ss-Schreibung, die 90 Prozent der Reform umfaßt (Hans Krieger: Ein Kniefall vor der Macht. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gibt Opposition gegen Rechtschreibreform auf. In: Nürnberger Nachrichten 15.03.99, S. 32). Erarbeiter des Akademie-Vorschlages ist das ehemalige Mitglied der Rechtschreibkommission Professor Peter Eisenberg. Aber gerade durch die neue ss-Schreibung steigt die Zahl der Rechtschreibfehler.
Die Reformer fordern eine einheitliche Rechtschreibung, aber führen viele Ausnahmen und Varianten ein, so daß eine Beliebigkeitsschreibung entstanden ist. Die von Konrad Duden herbeigeführte Einheitlichkeit scheint nicht mehr in zu sein. Soll als modern und progressiv künftig eine immer größere Beliebigkeit gelten?
A&S (Gerhard Augst und Burkhard Schaeder, MR) begrüßen zunächst die zu erwartende Vielfalt der nebeneinander bestehenden Rechtschreibungen. Die Schüler könnten daran lernen, daß Rechtschreibung nichts Unveränderliches sei. Die pädagogische Bewertung dieses Lobes der Vielfalt überlasse ich anderen. Der Glaube an die heilsame Kraft des Chaos wird sicher nicht von jedermann geteilt. Bisher galt die Einheitlichkeit der Rechtschreibung als hoher Wert und die Beseitigung von Varianten geradezu als Gütesiegel. Sie war der eigentliche Inhalt der sogenannten Reform zu Beginn des Jahrhunderts (die eben deshalb auch keine wirkliche Reform war). (Ickler: REGELUNGSGEWALT, S. 119 f.)
Der staatlich geförderte Trend lautet: Von der Einheitsorthographie Konrad Dudens zur modernen Beliebigkeitsschreibung Gerhard Augsts oder: vom Regen in die Traufe.
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