Zerstörung der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit der Rechtschreibung
Thomas Paulwitz: Eigentlich wollte i c h ja ursprünglich etwas wissen. Das ist wohl nicht deutlich geworden. Daß Sie etwas wissen wollten, obwohl Sie an den Quellen sitzen, ist erstaunlich. Wenn das so ist, liste ich die Gründe auf:
Argumente gegen die sogenannte Rechtschreibreform
1. Verstoß gegen sprachliche Grundsätze
Die künstlich geschaffenen Regeln entbehren der sprachwissenschaftlichen Grundlage und sind nicht eindeutig, sondern widersprüchlich, so daß selbst professionelle Wörterbuchmacher in zehn Wörterbüchern (z.B. Aldi, Bertelsmann, Bünting, Duden, Eduscho, Österreichisches Wörterbuch, Wahrig usw.) ein Rechtschreib-Chaos angerichtet haben. Dadurch und durch eine Fülle von Ausnahmen und Varianten ist in den auf Neuschrieb umgestellten Zeitungen eine Beliebigkeitsschreibung entstanden, so daß die Einheitlichkeit der Rechtschreibung zerstört wird. Auch sind viele Wörter einfach verschwunden. Wie sollen aber Lehrer und Schüler mit Regelungen fertig werden, die nicht einmal Fachleute bewältigen können? Sprachwissenschaftler (u.a. Eisenberg, Glück, Ickler, Munske, Stetter, Veith) haben festgestellt, daß die neuen Regeln in die Grammatik und Semantik der Schriftsprache eingreifen, dadurch die Vielfalt und Ausdruckskraft unserer Sprache einschränken, den Gesichtspunkt der Leserfreundlichkeit vernachlässigen und damit zu einer Minderung der Qualität der Schriftsprache führen. Auch das Ziel der Vereinfachung der Rechtschreibung wurde nicht erreicht, denn die Schüler machen keineswegs weniger, sondern mehr Rechtschreibfehler, weil neue Fehlerquellen entstanden sind.
2. Verstoß gegen rechtliche und demokratische Grundsätze
Entgegen demokratischer Gepflogenheit und Notwendigkeit wurden die Volksvertretungen von den Kultusministern übergangen. Auch die Lehrer sind nicht in den Entscheidungsprozeß einbezogen worden. Die Sprachbildung ist eine zutiefst demokratische Angelegenheit, eine Form der Willensbildung von unten, bei der es gilt, den Leuten auf's Maul zu schauen, statt die Sprache von oben herab zu reglementieren. Der Protest gegen die Rechtschreibreform sollte als Ausdruck unmittelbarer Demokratie ernstgenommen werden, statt zu versuchen, die Reform mit einem Verbot, mit Behinderung der Volksbegehren oder Aufhebung eines Volksentscheides durchzusetzen.
3. Verstoß gegen haushaltsrechtliche Grundsätze
Es wurde versäumt, die sog. Rechtschreibreform an den Grundsätzen der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu messen. Die Kosten dieser überflüssigen, mangelhaften Reform verschlingen unzweckmäßig Steuergelder und Energien (durch Umstellungen, Umschulungen, berechtigten Widerstand) und werden durch permanente Rechtschreibreformen weiter ansteigen. Die Reform belastet daher weltweit die Staatshaushalte und damit die Steuerzahler unverhältnismäßig.
4. Verstoß gegen pädagogische Grundsätze
Aus den oben genannten Gründen kann die sog. Rechtschreibreform inhaltlich nicht vermittelt werden. Die Lehrer wären gezwungen, die Schüler Unrichtiges zu lehren, also dem Sinn ihres Berufes entgegenzuhandeln. Es ist im Gegenteil die Aufgabe der Lehrer, in vernetzter Denkweise auf die kontraproduktiven, fachübergreifenden Wirkungen der sog. Rechtschreibreform hinzuweisen. Außerdem sind die Rechtschreibänderungen den Schülern auch deshalb schwer zu vermitteln, weil nun zwei Rechtschreibungen nebeneinander existieren, die zu Interferenzen führen und außerdem die Gesellschaft unnötigerweise in zwei Rechtschreiblager spalten.
Es ist nie zu spät, Natur-, Kultur- und Sprachzerstörung, Entdemokratisierung, Korruption und Steuerverschwendung zu stoppen! (VRS)
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