Meine Botschaft an Uwe
Es hat zwar auch die Lesbarkeit für sich allein schon durch die Reform keineswegs gewonnen. Wörter wie Schlussstrich verwirren, es ist nicht mehr optisch komfortabel, wie bei Schlußstrich, die Wortfuge erkennbar. Ein anderes Beispiel wären die neuen Regeln für Worttrennung am Zeilenende. Viel schwerer als die Lesbarkeit hat aber die Verständlichkeit gelitten, was zudem auch viel schwerer wiegt, gemäß dem von Uwe selbst erwähnten Grundsatz: Auf den Inhalt kommt es an. Das heißt nicht, daß Texte in neuer Rechtschreibung nun etwa wegen ihrer Schriftnorm völlig unverständlich seien, es ist aber in vielen Fällen mehr Mühe aufzuwenden, bis man den Sinn von Wörtern und Sätzen als Leser durchschaut. In den meisten Einzelfällen handelt es sich nur um leichte Erschwernisse, die aber in der Summe dann doch wieder recht verdrießlich sind.
Nach allen objektiven Kriterien fundierter Sprachwissenschaft, die man zur Bewertung der Güte einer Orthographienorm anführen kann, ist die neue Rechtschreibung der alten unterlegen. Sie bringt weder verbesserte Lesbarkeit, noch bessere Verständlichkeit, noch bessere Instrumente des präzisen, semantisch pointierten Ausdrucks, und zu allem Überfluß ist sie bei alledem nicht einmal einfacher lernbar! Warum ausgerechnet für eine (wenn auch auf den ersten Blick nur schwache) Verschlechterung einer Sprachtechnik die Demokratie aufs arroganteste vergewaltigt werden muß, ist mir unbegreiflich. Solche Tatsachen deuten nicht gerade auf verantwortungsvolle Ausübung anvertrauter Ämter durch ihre Besitzer hin, und genau diese Folgerung läßt mir die Rechtschreibreform in so fatalem Licht erglühen. Wenn man sich ans Dritte Reich erinnert fühlt, dann deshalb, weil in der dortigen Propaganda auf ähnliche Weise absurde Ideologien ins Volk gestreut wurden, deren Behauptungen keiner genaueren Analyse standhalten konnten, oberflächlich aber im Kontext des aktuellen Zeitgeistes stimmig erschienen und von vielen mit Genugtuung bejaht wurden. Kritiker wurden, gelinde gesagt, als Spielverderber betrachtet. Heute befinden wir uns zwar in der glücklichen Lage, ohne Angst vor Verfolgung Lügengebäude bekämpfen zu können, doch muß man schon mit Besorgnis erkennen, daß weite Teile der Presse, der sogenannten Vierten Gewalt, offenbar die Parole ausgerufen haben, Reformgegner der durch diese Presse rezipierenden Öffentlichkeit als lächerliche Windmühlenbekämpfer, fortschrittsfeindliche Ewiggestrige, muffige Bequemlichkeitskonservative, lernunfähige Querulanten darzubieten. Wie lässig dabei mit Kategorien wie Wahrheit, Investigativität, Aufklärungsethos umgesprungen wird, ist bei vielen dieser Presseorgane, deren Ruf eigentlich anderes erwarten lassen sollte, nicht nur enttäuschend, sondern geradezu beschämend. Wenn auf diese Weise faule Ideologien überleben und sich in der allgemeinen Praxis verankern können, die einer aufgeklärten, offenen Argumentation kaum standhalten würden, dann ist das einfach eine beängstigende Entwicklung (für die die Rechtschreibreform leider nur ein Beispiel unter vielen, jedoch ein sehr extremes ist).
Abschließend: Mag sein, daß Rechtschreibung aus bestimmten Blickwinkeln als Nebensächlichkeit anzusehen ist. Zunächst ist aber eine Nebensache immer noch alles andere als völlig egal. Und weiters darf man nicht vergessen, daß Rechtschreibung ein nicht unwesentlicher Aspekt einer kultivierten Schriftsprache ist, wenn nicht gar dessen vollendende Komponente (nicht nur im Sinne von Ästhetik, die ja Geschmackssache sein kann, sondern auch kommunikativer Funktionalität, der Optimierung dessen, wozu Sprache überaupt existiert). Nicht jeder muß diese Kunst beherrschen, genau wie nicht jedes Inviduum einer kultivierten Gemeinschaft ein perfekter Bildhauer sein muß. Sobald aber sich eine Staatsinstanz anmaßt, die Maßstäbe solcher Kultur bzw. Kulturtechniken, gar altbewährte Konventionen tragender Kommunikationstechniken gegen das Volk umnormieren zu wollen, ist Wachsamkeit geboten, gegebenenfalls auch Widerstand. Und dies ganz besonders, wenn Objekt der Manipulation etwas für den menschlichen Geist derart zentral Bedeutendes wie die differenzierte Sprache ist.
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