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Wo stehen wir? Wie gehts weiter? Zukunftsszenarien
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Michael Krutzke
05.09.2003 06.47
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ss und ß ...

Der Geschichte des ß hat auch Walter Lachenmann – „Büchermacher“ und ebenfalls sehr schriftgelehrt – vor kurzem einen Beitrag gewidmet. Hier ist er ...

Daß das ß „nicht wirklich“ existiert, vermag ich als Nicht-Schriftgelehrter nicht zu erkennen. Es gibt einige, die es nie gebrauchten und immer das Doppel-S benutzten, dagegen spricht ja nichts. Damit muß man nicht automatisch die „neue Regelung“ begrüßen, als deren Markenzeichen die „ss“-Schreibung mittlerweile gelten kann. (Obwohl ihr Gebrauch bei vielen Schreibern weniger einem tieferen Verständnis der Regeln folgt als einem noch tieferen Unverständnis und lediglich signalisieren soll, daß man auch „reformiert“ schreiben möchte. Manche wiederum, die vom Arbeitgeber zur Reformschreibung verpflichtet wurden, richten sich nur nach der „ss“-Regel und bleiben ansonsten bei bewährter Qualitätsschreibung.)

Aber diese Diskussion gehört besser in den Strang „ss vs. ß" wo auch Herrn Lachenmanns Beitrag steht. Hier sollte sinnvollerweise an das angeknüpft werden, was Prof. Jochems als „Zwischenbilanz zum Weiterdenken“ formuliert und Herr Wrase bezüglich der „differenzierenden Obligatorik“ interpretiert hat. Vielleicht lassen sich als Ergebnis dieses Weiterdenkens dann Antworten auf die Fragen finden, nach denen dieser Strang benannt ist. Dazu ist auch unsere neue Forumsteilnehmerin herzlich eingeladen.

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Michael Krutzke

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Reinhard Markner
04.09.2003 15.54
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»Genaugenommen kann man also sagen, dass das ß nicht wirklich existiert.«

Seltsamer Begriff von Genauigkeit.
Die Reform hat eben ihre Kollateralwirkungen.

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Nerling
04.09.2003 15.07
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Maßimo geht eßen

Nachdem ich mich schon (Ketzerin!) an die neuen Regelungen zum Doppel-S gewöhnt habe – aber nicht zum Dreifach-S! Und das werde ich auch nicht! – muss doch mal kurz beleuchtet werden, woher dieser Buchstabe kommt, der offenbar neuerdings auch in Versaltexten vorkommen darf! Heinrich, mir gräut vor Dir!
Es ist bekanntlich eine Ligatur, eine Verschmelzung zweier Buchstaben aus der Zeit des langen „s“, die Beherrscher des Sütterlin und die aufmerksamen Leser der Frakturschriften kennen es noch. Es tauchte in der karolingischen Minuskel auf und war ein durch die Rustica hoch und schmal gewordenes lateinisches S. Es behauptete sich durch das Mittelalter und überlebte in der Renaissance in Italien, wo die damals ausgesprochen fein empfindenden Schriftdesigner die Ligatur des Doppel-s erfanden: das lange S im Rücken des kurzen. Ich habe in einem Text von ca. 1500 diese Kombination entdeckt: Maßimo e serenißimo. Es war die ästhetische Entscheidung gegen das „ss“.
Die Kombination mit einem kleinen Zeichen, das für eine Art Schluss-S stand, wurde zum scharfen S in Frakturtexten. Ich nehme an (schaue mal nach), so gelangte es in die Schreibschrift, die die Grundlage der Sütterlin wurde.
Da dieses mittelalterliche Schluss-S so sehr einem „z“ ähnelte, wurde das Sütterlin'sche scharfe S aus einem langen S und einem Z zusammengesetzt. Doch ist dies nicht die ursprüngliche Form.
Genaugenommen kann man also sagen, dass das ß nicht wirklich existiert. Historisch gesehen kann man es überall schadlos durch ein Doppel-S ersetzen, was vor allem in Versalientexten unbedingt geschehen sollte! Es gibt keine Versalie ß. Es gibt kein GROßES Lexikon des guten Tons, nur ein GROBES. Zwar weiß ich das ß zu schätzen, wenn es gilt, ein Gewand nach meinen Maßen zu schneidern. Und um ein Dreifach-S zu verhindern, ist es probat. Es darf also nicht ganz verschwinden.
Sofern ich in meiner Betrachtung Fehler gemacht habe, bitte ich darum, mich eines besseren zu belehren!
Mit einem dreifachen S verabschiede ich mich von allen Schriftgelehrten.

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Wolfgang Wrase
04.09.2003 05.41
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Gute Idee

Der Beitrag von Professor Jochems wurde auf der Nachrichtenseite kritisiert und als „Schwachsinn“ eingeschätzt. Ich habe darauf unter dem Stichwort „Mißverständnis“ folgendes geantwortet:

Was Professor Jochems zu bedenken gibt, ist kein Schwachsinn. Da ist etwas dran. Er hat nicht von „verschiedenen Schreibungen“ für verschiedene Gruppen gesprochen (obwohl es auch das sowieso gibt, zum Beispiel bei unterschiedlich starken Eindeutschungen, bei mehr oder weniger viel Abkürzung oder bei den Gepflogenheiten der Fachsprachen, vgl. z. B. Fruktose/Fructose). Sondern von einer „differenzierenden Obligatorik“. Gemeint ist damit im Prinzip nichts anderes als die Selbstverständlichkeit: Was ein Schüler der zweiten Klasse wissen oder beherrschen soll, das muß ein Schüler der ersten Klasse noch nicht unbedingt wissen. Und so weiter – bis zum Schulabschluß. Und – darauf kommt es hier an – auch darüber hinaus! Die Grundidee der Reformer war ja: Die Regeln der Rechtschreibung, wie im Duden von 1991 im Regelteil festgehalten, sind insgesamt zu schwierig für ein normales Schulpensum – das läßt sich gar nicht innerhalb einer gesamten Schulperiode lernen und dauerhaft behalten. Lösung A: Rechtschreibreform. (Die Regeln werden reduziert.) Lösung B: Man gliedert die Regeln in einen Teil, der am Ende der Schulzeit beherrscht werden soll, und einen weiteren Teil von Regeln (zu gewissen Ausnahmen und Feinheiten), der erst für die professionelle Textarbeit relevant sein soll. Das wäre doch hundertmal einfacher gewesen, oder? (Daß Lösung A von inkompetenten Personen formuliert wurde, die genau das Gegenteil des Erstrebten erreicht haben, kommt hinzu, aber es spielt für diese Überlegung keine Rolle.)

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Michael Krutzke
03.09.2003 13.08
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Zwischenbilanz ...

Prof. Jochems' Kommentar zur Serie der Syker Kreiszeitung zum fünfjährigen Bestehen der Rechtschreibreform verdient es, wahrgenommen und diskutiert zu werden. Deshalb habe ich den Text aus dem Zeitungs-/Nachrichtenarchiv hier eingestellt.



30.8.2003     Helmut Jochems     KOMMENTAR

zur kommentierten Meldung

Zwischenbilanz zum Weiterdenken

Manfred Riebes Lob für Johannes Bruggaiers Artikelserie zum Jahrestag der Rechtschreibreform ist eher zu verhalten ausgefallen. Was die Zeitungsleser in der Grafschaft Hoya über das gegenwärtige Dilemma erfuhren, hätte wirklich weiteste Verbreitung verdient. Die vier meisterhaft gestalteten Skizzen vermitteln nicht nur ein plastisches Bild der widerstreitenden Argumente, sondern machen auch deutlich, daß die Auseinandersetzung über die Sache hinaus ein Konflikt zwischen eigenwilligen Persönlichkeiten ist. Mitten unter ihnen steht Bruggaier selbst: Er versteckt seinen unabhängigen Standpunkt keineswegs.

Diese Zwischenbilanz regt zum Weiterdenken an, und die sollte von einem Faktum ausgehen, das auch im achten Jahr der Rechtschreibreform von beiden Seiten ignoriert wird. Immerhin schrieb schon im April 1997 Frau Böhrs vom Kieler Kultusministerium:

Was in der öffentlichen Diskussion leider übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Perspektiven, unter denen man das System der deutschen Orthographie betrachten kann, zu verschiedenen Schlussfolgerungen führen müssen. Eindeutigkeit, Einfachheit und Widerspruchslosigkeit im wissenschaftlichen Sinne waren und sind schon deshalb nicht erreichbar, weil die Perspektive des Schreibens und die Perspektive des Lesens im Prinzip nicht kompatibel sind.

Gemeint ist folgendes: Je mehr Differenzierungen eine Rechtschreibung ermöglicht, um so leichter hat es der Leser. Für den Schreiber jedoch trifft eher das Gegenteil zu. Täuschen wir uns nicht: Die traditionelle deutsche Orthographie war und ist für „normale“ Schreiber zu schwer, was in der Vergangenheit keineswegs nur an ihrer unzulänglichen Darstellung im Duden lag. Charakteristischerweise befinden sich die Probleme fast ausschließlich in den beiden Bereichen, in denen sich unsere Rechtschreibung von den Gepflogenheiten in den Nachbarsprachen abhebt (Groß-/Kleinschreibung, Getrennt-/Zusammenschreibung).

Hier drängt sich die Möglichkeit einer differenzierenden Obligatorik geradezu auf. Ich bin der festen Überzeugung, daß es ohne die Anerkennung einer gestuften Orthographie zu keiner Überwindung des jetzigen Wirrwarrs kommen wird. Mit dieser Ansicht stehe ich keineswegs isoliert da. Kürzlich schrieb J.-M. Wagner auf diesen Seiten:

Wichtig ist dabei aber, daß allein der Unterschied zwischen einer Schulorthographie und einem darüber hinausgehenden Standard im Buchdruck nichts Negatives zu sein braucht; dies entspricht ja dem Zustand vor der Zusammenlegung des Volks- und des Buchdruckerdudens 1915. Das heutige Problem besteht darin, daß eben nicht einfach eine Untermenge der bestehenden Regeln zur Schulorthographie erklärt wurde, sondern daß durch die Neuregelung die Orthographie im Schulbereich allein im Hinblick auf die Schüler geändert wurde und daß dabei Fehler gemacht wurden, die zu unbrauchbaren Schreibungen führen.

„Schrittweise kleine Verbesserungen“ (Scholze-Stubenrecht), „damit es niemand merkt“ (Munske), werden nach 2005 nicht weiterhelfen. Jetzt gilt es einen mutigen Schritt zu tun – auf beiden Seiten des Streits.





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Michael Krutzke

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Christoph Kukulies
19.01.2003 15.42
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Autonome

In welchen Strang stell' ich das nur? Versuchen wir's mal mit diesem hier. Leider im folgenden Beitrag kein Wort über die RS„R“, aber vielleicht ein Ansatzpunkt, gesetzesbrecherisch tätig zu werden und wieder zur Normalschreibung zurückzukehren:
http://www.zeit.de/2003/04/B-Autonome_Schule

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Christoph Kukulies

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Michael Krutzke
15.08.2001 13.39
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Hallo Herr Metes,

die Zweiteilung war auch ein „Vorschlag“ Arno Schmidts. Der entsprechende Text wurde von Richard Dronskowski im Leitthema „Großschreibung und Rechtschreibung bei Arno Schmidt“ veröffentlicht. Allerdings herrscht wohl noch keine Klarheit über die Ernsthaftigkeit dieses „Vorschlags“.

Ansonsten stimme ich Ihrer Einschätzung weitgehend zu, bin mir aber über die Rolle der „Intelligenz“ nicht ganz im klaren.

In meinem beruflichen und geschäftlichen Umfeld habe ich es oft mit Leuten zu tun, denen die Sprache und ihr schriftlicher Ausdruck einfach nicht wichtig sind. Mißverständliche – oder eben keine – Kommasetzungen werden mit dem Kommentar, man wisse doch, was gemeint sei, gerechtfertigt. Vieles an derartigen Oberflächlichkeiten hängt mit dem zusammen, was Sie „mediale Beschleunigung“ nennen. Ich übertrage diesen Begriff einmal auf die Entwicklung der Bürokommunikation: Mit dem Beginn der Verbreitung von PCs in den Büros, der – zunächst „lokalen“ – Vernetzung und schließlich der sich rasant entwickelnden E-Mail-Nutzung wurde immer mehr Schreibarbeit auf den Einzelnen verlagert. Texte mußten (und müssen) sehr schnell erstellt und an die Adressaten gesandt werden. Eine korrigierende Instanz – etwa in Gestalt einer tüchtigen Sekretärin, die Rechtschreibung und Kommasetzung weitgehend beherrschte und auch in Stilfragen sicher war – fehlt in den meisten Fällen. Korrekturlesen entfällt meist aus Zeitmangel, und Korrekturprogramme erkennen ohnehin nur die gröbsten Schnitzer. Ob sich jemand verständlich und der Sache angemessen ausdrückt, ist davon gar nicht berührt. Selbst in Fachzeitschriften (bspw. zur Bürokommunikation) finden sich häufig sehr wortreiche Darstellungen, die aber viel zu oft aus gedrechseltem Wortmüll bestehen, mit dem das Nichtssagende in eine scheinbar vielsagende Form gebracht werden soll. „Moderner“, sprachlicher Unsinn durchzieht dann die Beiträge, und niemand geht einmal einzelnen Begriffen auf den Grund. Was sich allein um den Begriff „Downsizing“, einem 90er-Jahre Modewort aus der EDV-Branche, an „tief schürfenden“ Betrachtungen gerankt hat, war enorm. (Die tiefen, ökonomischen Schürfwunden blieben natürlich nicht aus. Schließlich kam dann jemand noch mit „Rightsizing“ und verkündete damit eine Sensation. Als wäre es nicht schon immer ein lohnendes Ziel gewesen, etwas Richtiges zu tun.) Interessant und erschütternd: Diese „Autoren“ bzw. Sprachnutzer werden eher zur gesellschaftlichen Elite gezählt, sind sehr oft Akademiker und haben nicht selten einen Doktortitel. Auch da liegt ein guter Nährboden zur Durchsetzung einer Rechtschreib-„Reform“. Wer allen möglichen sprachlichen Unsinn kritiklos mitmacht, wird sich der einfacheren Beliebigkeitsschreibung kaum widersetzen. Sprachliche Feinheiten, die zu verschwinden drohen, werden gern einem vermeintlichen Fortschritt (gesellschaftlich, wirtschaftlich und eben auch sprachlich) geopfert.

Trotz alledem. Starke Bewegungen erzeugen – naturgesetzlich – immer auch starke Gegenbewegungen. Vielleicht wird sich ja gerade wegen der amtlich verordneten und mit Gesetzesgewalt durchgedrückten „Reform“ ein stärkeres Interesse an Rechtschreibung entwickeln. Und an deren vielfältigen Beziehungen zu einer reichen Sprache. In diesem Sinne ist all denen zu danken, die – wie hier im Forum – als Sachkundige (Lehrer, Sprachwissenschaftler, Autoren ...) Zusammenhänge erklären, wovon dann nicht so Kundige (dazu gehöre ich) eine Menge lernen können.

Zur Frage, wie es weitergehen kann. Herr Ickler hat – wenn ich es recht erinnere – den Nachweis des Rückbaus der Reform als Schwerpunkt der Auseinandersetzung bezeichnet. Dem stimme ich zu. Denn es ist gerade für jemanden wie mich sehr interessant, welche Verschiebungen sich da inzwischen ergeben haben. Ich selbst wäre leider nicht so ohne weiteres in der Lage, all das nachzuvollziehen. Ansonsten finde ich Frau Salber-Buchmüllers Anregung aus dem Gästebuch vom (12.8.01) sehr gut, anhand vieler Beispiele die Lächerlichkeit dieses großen Reformwerks (und damit auch seiner unkritischen Befürworter) aufzuzeigen.

Abschließend an Jan. Gut, daß Sie dieses Leitthema angefangen haben. Allerdings stört auch mich Ihre Anonymität ein wenig. Ich unterstelle da keine finsteren Absichten, vielleicht gibt es ja gute Gründe dafür. Aber ein Name, eventuell ergänzt durch Beruf und Alter, vereinfachen für mich die Auseinandersetzung mit meinem Gegenüber immer erheblich. Na ja – machen Sie das wie Sie es für richtig halten; da war doch mal was mit Fasson und Seligkeit ...

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Jörg Metes
15.08.2001 10.03
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Getrenntschreibung und Zweiteilung

Lieber Jan,

ich bin auf Reisen und daher im Surfen etwas eingeschränkt. Ich kann jetzt nicht die entsprechende Passage heraussuchen, in der Theodor Ickler auf die natürliche Sprachentwicklung verweist, die – was die Getrenntschreibung angeht – eine Tendenz ja genau in die andere Richtung besaß und besitzt: hin zur vermehrten Zusammenschreibung nämlich. Ich gründe meine Zuversicht unter anderem auch auf diese Tendenz, die letztlich stärker sein dürfte als die Macht, mit der sich die Reformer ihr entgegenstemmen. Und ich gründe meine Zuversicht wie gesagt auf die Entwicklung, die ich bei der dpa oder auch bei der „Süddeutschen Zeitung“ beobachte (weg von der Getrenntschreibung, hin zur Koppelung mit Bindestrich). Es ist natürlich gut möglich, daß diese Entwicklung in den Medien, die Sie beobachten, noch nicht so sichtbar eingesetzt hat. In der „Stuttgarter Zeitung“ von heute etwa (sitzen Sie nicht in Stuttgart?) stoße ich in der Tat auf eine Schreibung wie „eben so“ („Eben so halbherzig unterstützt Russland...“ / S.6). Aber ich glaube fest, daß die Tendenz zur Zusammenschreibung sich früher oder später überall wieder bemerkbar machen und auch durchsetzen wird. Die Getrenntschreibung ist das schlimmste an der Reform. „Ebenso“ liest und betont man eben anders als „eben so“.

Die Überlegung, daß neue Schreibweisen von Teilen der Bevölkerung einfach nur aufgefaßt werden als Modeerscheinung, gefällt mir. Wieder erinnere ich mich auch an die große deutsche Apostrophwelle Anfang/Mitte der 90er Jahre, die uns auf Ladenschildern, Speisekarten und Zigarettenautomaten Schreibweisen brachte wie „Silvie's Salon“, „Rund um's Rind“ oder „stet's zu Diensten“. Es wurden diese Millionen von Apostrophen seinerzeit alle von Leuten gesetzt, die in der Schule noch die herkömmliche Rechtschreibung gelernt hatten. Beziehungsweise: sie offenbar eben nicht gelernt hatten, obwohl sie in ihr unterrichtet worden waren. Im Gegensatz zu Manfred Riebe glaube ich, daß es eine zweigeteilte Rechtschreibung schon vor der Reform gegeben hat. Es war nur – anders als heute – keine forcierte Spaltung, sondern eine Zweiteilung, die sich natürlich ergeben hatte. Sie war noch nicht sichtbar. Die Verwendung von Rechtschreibprogrammen in Zeitungsredaktionen, Behörden und Betrieben hat sie zugedeckt, die Umstellung der Rechtschreibprogramme hat sie dann an den Tag gebracht. Die Umstellung hat auch an den Tag gebracht, daß die Trennlinie zwischen denen, die die deutsche Sprache so beherrschen, wie wir es uns wünschen, und denen, die sie für unsere Begriffe nur ungenügend beherrschen, woanders verläuft, als wir das früher dachten. Wir dachten, daß beispielsweise Journalisten des Deutschen im allgemeinen mächtig seien – wir sehen nun, daß sie es im strengeren Sinne nicht sind (oder sein wollen). Andererseits ist das nun wieder eine Erkenntnis, die Karl Kraus seit über hundert Jahren predigt.

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Manfred Riebe
14.08.2001 21.22
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Spaltung in mehrere Rechtschreiblager

Jörg Metes fragte: „Ich meine, daß diese Zweiteilung von irgendwem ohnehin schon angesprochen wurde – irgendwo hier, in einem unserer Leitfäden. Aber in welchem? Und von wem?“ Hier ist die Antwort:
Auszug aus: Manfred Riebe, 25.07.2001 20:06, Zerstörung der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit der Rechtschreibung. In: Rechtschreibforum „Umfrage: Die 3 wichtigsten Gründe gegen/für eine Reform“

4. Verstoß gegen pädagogische Grundsätze

Aus den oben genannten Gründen kann die sog. Rechtschreibreform inhaltlich nicht vermittelt werden. Die Lehrer wären gezwungen, die Schüler Unrichtiges zu lehren, also dem Sinn ihres Berufes entgegenzuhandeln. Es ist im Gegenteil die Aufgabe der Lehrer, in vernetzter Denkweise auf die kontraproduktiven, fachübergreifenden Wirkungen der sog. Rechtschreibreform hinzuweisen. Außerdem sind die Rechtschreibänderungen den Schülern auch deshalb schwer zu vermitteln, weil nun zwei Rechtschreibungen nebeneinander existieren, die zu Interferenzen führen und außerdem die Gesellschaft unnötigerweise in zwei Rechtschreiblager spalten.
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Eine Spaltung in weitere Rechtschreiblager zeigt sich leider auch hier in der Gruppe der Reformkritiker: Zum einen jene Reformgegner, die konsequent die vollständige Rücknahme der Reform fordern und zum anderen die Kompromißler, die mit ihren faulen Kompromißvorschlägen die Front der konsequenten Reformgegner aufweichen wollen und sich aus diesem Grunde unter dem Deckmantel der Anonymität verbergen.

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Jan
14.08.2001 14.55
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Hundemeute

Hallo Herr Metes,
danke für Ihre Prognose. Ich wünschte, der von Ihnen beispielhaft erwähnte Trend zur Wieder-Zusammenschreibung würde so langsam auch in mein schriftsprachliches Umfeld durchsickern. Ich merkte davon bisher nichts, im Gegenteil: Der Getrenntschreibungs-Wahn greift um sich wie eine wütende Hundemeute, die beim Zerfleischen der Wörter immer blutrünstiger wird. Aber glauben Sie nicht, mein Lese-Konsum beschränkt sich auf die BLÖD-Zeitung. Er stellt eher einen Querschnitt von Werbesprüchen bis hin zu wissenschaftlichen Texten dar.

Wenn Sie schreiben, daß es relativ egal ist, ob Pro7-Text, BLÖD, BRAVO-Girl u.s.w. bewährt oder reformiert schreiben, haben Sie recht, nur: ALLE Heranwachsenden werden gezwungen, die minderwertigere Schriftsprache zu lernen bzw. Lehrmaterialien in minderwertiger Schriftsprache zu verwenden. Im Zusammenhang mit der „Zweiteilung der Schriftsprache“ sinkt damit die gesamte Lerneffizienz im „Bildundsland Deutschland“.

Für einen Teil der Bevölkerung ist das „dass“ und das „kennen lernen“ eine Art Modeerscheinung. Diese Leute machen sich keinerlei Gedanken über Sinn oder Unsinn, es ist lediglich „in“, „trendy“ und auf der Höhe der Zeit. Somit rücken die pseudo-logischen Elemente der RSR für das „Pöbelvolk“ in die Nähe der Plateauschuhe, Skater-Hosen, Wackel-Elvis... nur werden letztere Dinge an keiner Schule gelehrt. Der bisherige Gipfel des RSR-Modewahns in der Bevölkerung war für mich die Meldung, daß Eltern beim Kinderbuch-Kauf bewußt auf „neue“ Rechtschreibung achten.

Ich bin mittlerweile so verzweifelt, daß ich das „Schloss“ und das „Quäntchen“ als tragbaren Kompromiß ansehen würde, wenn im Gegenzug SOFORT die restliche RSR verschwinden würde. Was nützt uns eine Schreibweise auf dem Niveau der bewährten Rechtschreibung, wenn sie uns erst in 50 Jahren zuteil wird?


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mfg
Jan
mehl-mir-mal@spray.net

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Jörg Metes
14.08.2001 12.44
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Meine Prognose

Wo keiner so recht Bescheid weiß (Getrenntschreibung, Groß/Kleinschreibung), wird über kurz oder lang jeder wieder ungefähr so schreiben wie früher. Ich beobachte insbesondere die Entwicklung bei der dpa. Immer seltener findet man in dpa-Meldungen Schreibweisen wie „Kunst liebend“, „Liebe bedürftig“ oder „Achsel zuckend“.; vor einem Jahr las man derartiges eigentlich dauernd. Der Bindestrich ist bei der dpa noch immer sehr en vogue („best-gehütet“, „top-geheim“ und sogar „Fußball-Platz“), aber es könnte ihm ebenso gehen wie dem Apostroph, der seine besten Zeiten (Mitte der 90er?) auch schon wieder hinter sich hat. Was bleiben wird, ist das „dass“; vielleicht ist sogar das "ß" insgesamt bedroht. Überhaupt wird sich die Reformschreibweise dort, wo es nur um einzelne Buchstaben geht, weitgehend durchsetzen. An „Platzieren“, „Potenzial“ (und langfristig dann ebenso „Inizial“, „iniziieren“, „razional“) und „Quäntchen“ wird man sich gewöhnen müssen. Andererseits werden alte Schreibungen vielfach als Lehnwörter aus dem Englischen zurückkehren („tip“) und als solche am Ende womöglich gar die Oberhand behalten, in der Regel dann freilich auch englisch ausgesprochen („Potential“).

Ob Hera Lind, die „Woche“, Franz Beckenbauer oder der PRO7-Videotext sich an die herkömmliche oder an die reformierte Rechtschreibung halten, ist letztlich egal. Die Reform- und Beliebigkeitsschreibung ist auch ein Ergebnis der medialen Beschleunigung. Geschriebene Texte sind immer häufiger nur mitgeschriebenes Geplapper (eben: „chat“) und werden auch als solches konsumiert. Die Reform- und Beliebigkeitsschreibung könnte insofern geradezu nützlich sein als Markierung, anhand derer sich solche Texte unterscheiden lassen von Texten, über die vor der Niederschrift nachgedacht wurde. Voraussetzung dafür aber ist, daß die Intelligenz halbwegs geschlossen bei der herkömmlichen Rechtschreibung bleibt. Die FAZ oder der Suhrkamp Verlag müssen bestärkt werden, Publikationen und Verlage, die sich an die Intelligenz richten, aber zur Reformschreibung übergegangen sind, müssen beschworen und bearbeitet werden, das wieder rückgängig zu machen. Im Idealfall wäre das Ergebnis eine zweigeteilte Schriftsprache. Die herkömmliche Rechtschreibung wäre etwa für wissenschaftliche und literarische Texte da, die Reformschreibung für Texte, bei denen eher der Warencharakter überwiegt.

(Ich meine, daß diese Zweiteilung von irgendwem ohnehin schon angesprochen wurde – irgendwo hier, in einem unserer Leitfäden. Aber in welchem? Und von wem?)

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Jan
11.08.2001 14.59
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Im Leitthema „Kopf hoch! Es geht weiter!“ sollte sicher versucht werden, den einen oder anderen zu ermutigen. Doch die Fakten bleiben wie eine dunkle Wolke über unseren Köpfen, die sich nicht verziehen will:

-Die Presse macht schweigend mit.
-Ein Teil der Bevölkerung schreibt schon brav „dass“.
-Die Kultusministerien verbieten Änderungen.
-Die Propaganda-Maschine der Reformer läuft wie geschmiert.
-Lehrer resignieren.

Verlierer bzw. Versager im „demokratischen Rechtsstaat“ sind
-die Demokratie (Volksentscheid gekippt)
-die Vernunft (BVG-Urteil)
-die Wahrheit (Presse verschweigt und/oder lügt)

Deshalb lade ich Sie mit diesem Leitthema dazu ein, Prognosen zu wagen. Die Meteorologen unter uns sind gefragt.
Werden Kinder in absehbarer Zeit wieder eine vernünftige deutsche Schriftsprache lernen? Wird die Presse für immer schweigen? Ist ein Kippen der Presse überhaupt möglich? Offenbar hat man Angst, durch eine Rückkehr an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Oder sind wirtschaftliche/machtpolitische Verflechtungen Ursache für die Stagnation? Auch das letzte Argument der Reformer „Es gibt kein Zurück mehr. Die Kinder haben schon nach den neuen Regeln gelernt.“ scheint bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.

Vielleicht ist im deutschen Sprachraum nach dem Untergang der „antiken“ Hochkultur des 20. Jahrhunderts jetzt das schriftsprachliche Mittelalter ausgebrochen? Düstere Aussichten...

...als Trost: Nach dem Mittelalter folgten Renaissance, Sturm und Drang, Aufklärung. Alte Schätze aus Kultur und Wissenschaft wurden wiederentdeckt.

__________________
mfg
Jan
mehl-mir-mal@spray.net

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