Frage der Gewichtung
Sehr geehrter Herr Professor Ickler,
wir reden unnötig aneinander vorbei. Ich habe nichts dagegen, daß der Sinn der sog. Substantivgroßschreibung im Regelteil erklärt wird das ist sehr gut und nützlich. Er dient zur Erklärung der formalen Ausnahmen von der Substantivgroßschreibung. Aber Sie nennen doch das Ganze Hauptregeln der Rechtschreibung, und da sollte man zunächst nicht den Sinn einer Regel so formulieren, als ob dies die Regel selbst sei. Es ist hier nämlich so, daß die groß geschriebenen Substantive zwar einen sehr guten Überblick darüber verschaffen, wovon in dem Text die Rede ist; aber einerseits werden Substantive bei der Großschreibung mit hervorgehoben, die auch nicht mehr ausdrücken als z. B. ein schlichtes Adverb (in Kürze = bald), und andererseits verbirgt sich noch ein guter Teil ebenso wesentlicher Information in anderen, klein geschriebenen Wörtern.
Das heißt, die regelförmige Formulierung Groß schreibt man, wovon die Rede ist ist (auf semantisch unwesentliche Substantive bezogen) überzogen, zu stark verallgemeinert; und andererseits greift sie zu kurz, weil semantisch Wertvolles der Formulierung geopfert wird, nur weil es nicht als Substantiv auftritt. Ich bleibe hier bei einer semantisch orientierten Perspektive: Wer sagt Peter kommt bald, sagt dasselbe wie derjenige, der formuliert: Peter wird in Kürze eintreffen. Der eine wie der andere reden, semantisch gesehen, über die Kürze der Zeit bis zum Eintreffen, oder aber sie reden nicht darüber, wenn man sich auf das Wichtigste konzentriert. Das Mädchen liebt Blumen ist das eine Geschichte über ein Mädchen, über ein Mädchen und Blumen oder über ein Mädchen, Blumen und die Liebe? Oder ist es vielleicht einfach eine Geschichte über die Liebe?
Der Sinn der Großschreibung von Substantiven bleibt auch dann bestehen, wenn unwesentliche Substantive ebenfalls groß geschrieben werden, und auch, obwohl das Verb und andere Wörter ebenfalls viel darüber zu sagen haben, wovon der Text handelt. Daß die Substantive als Wortart am geeignetsten sind, liegt vielleicht an einer Eigenschaft, die hier mit Dinglichkeit, was es gibt versucht wurde zu beschreiben: die Akteure, die miteinander in Interaktion treten oder über die etwas gesagt wird, das sagt schon eine ganze Menge aus.
Ich sehe jedenfalls nicht, wenn wir von Ihrer Definition ausgehen, was der Unterschied zwischen im allgemeinen und in Kürze sein soll. Die Rechtschreibung möglichst verständlich zu beschreiben würde hier doch ganz gut gelingen, wenn wir zunächst einmal davon ausgehen, daß Substantive groß geschrieben werden; dann den Sinn dieser Großschreibung anfügen (ich redete im letzten Beitrag darüber, wie man diesen Regelteil beginnt, nicht darüber, was er enthalten soll), um die Erscheinungen im allgemeinen und ähnliche plausibel zu machen. Aber auch hier meine ich, daß eine grammatische Kategorie nützlich wäre, eben wegen der Gleichartigkeit des Ausdrucks in Kürze aus semantischer Sicht. (Es ist ja sogar so, daß in Kürze keinen Artikel enthält, wohl aber im allgemeinen.)
Sie sagten selbst, Sie wollten der üblichen Darstellung einen Aspekt, eine Tendenz, eine Begründung hinzufügen. Gerne! Ich finde nur die Gewichtung (die Reihenfolge, die Hierarchie) problematisch und, wie ausgeführt, mißverständlich. Das letztere die Verständlichkeit war der zweite Grund, warum ich dafür bin, die Rede vom Gegenstand der Rede etwas herabzustufen; und andererseits die gut verständlichen grammatischen Kategorien Substantiv vs. substantivierte andere Wortarten nicht außen vor zu lassen.
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