Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - Vorzüge der neuen Rechtschreibung
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Vorzüge der neuen Rechtschreibung
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Thomas Paulwitz
01.10.2001 09.50
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Re: Nein

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Wenn ein wirklicher Bedarf besteht, wird er gedeckt, auch und gerade ohne den Staat.

So eine Feststellung stellt – sofern sie Allgemeingültigkeit beansprucht – zum Beispiel den Sozialstaat in Frage. Aber die Entwicklung geht ja im Zug der Zeit auch (noch) in diese Richtung: z.B. Kürzung der Rente ohne Senkung der Rentenbeiträge; der dadurch entstehende Bedarf soll durch private Versicherungen gedeckt werden. Diese haben an oberster Stelle nicht das Gemeinwohl, sondern den möglichst hohen Gewinn im Sinn.

Vergleiche mit der Liberalisierung (Kapitalisierung) der deutschen Sprache drängen sich auf (die deutsche Sprache wird Großverlagen und Großmedien anvertraut).

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Thomas Paulwitz
01.10.2001 09.39
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Ist die RSR eine Modeerscheinung, wie andere zuvor versuchte Einflußnahmen (z.B. Kleinschreibung)? Ich glaube eher nicht. Eher hat die RSR mit der Krise der Demokratie zu tun. Deswegen hält sie sich länger als Modeerscheinungen.

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Theodor Ickler
01.10.2001 07.38
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Nein

Das ist offensichtlich nicht richtig. Gewaltsame Änderungen gegen den Willen der Bevölkerung bedürfen natürlich der Gewalt, und das geht am schnellsten duch die Staatsmacht. In der Vergangenheit sind aber alle wesentlichen Züge der Orthographie ohne Staatseinwirkung zustande gekommen, zum Beispiel die Substantivgroßschreibung, mit der sich noch Grimm nicht anfreunden wollte. Ebenso die Fremdworteindeutschung, der Schwund des th in deutschen Wörtern (wie Duden schon 1876 feststellte), die Wiederkleinschreibung der substantivierten Adjektive („im allgemeinen“).
Vor dreißig Jahren war es schick, die Substantive klein zu schreiben. Eine Germanistenzeitschrift tat das sowieso, aber nun kamen die GEW und andere Linke dazu. Wo sind sie geblieben? Niemand hindert sie, die mit geradezu religiöser Inbrunst propagierte Kleinschreibung, die damals als gesellschaftsverändernde Aktion angesehen wurde, weiterhin zu üben, aber sie haben es wieder aufgegeben und verehren nun sogar die vermehrte Großschreibung. Manche trauern noch heute, weil das dumme Pöbelvolk den Weg zum Rechtschreibglück nicht mitgehen wollte.
Wenn ein wirklicher Bedarf besteht, wird er gedeckt, auch und gerade ohne den Staat. Aber die bisherige Rechtschreibung war und ist gut, bloß ihre Darstellung im Duden war mängelbehaftet und unnötig kompliziert. Darum weg mit dem Duden und her mit der bewährten Rechtschreibung!
__________________
Th. Ickler

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uwe
01.10.2001 07.03
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Re: Vorstaatlich

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Sowohl der Bundestag als auch – auf eine allerdings ziemlich unbeholfene Art – die Bundesverfassungsrichter haben eigentlich sagen wollen, daß Sprache in den vorstaatlichen Bereich gehört, etwa wie die menschlichen Sitten und Umgangsformen.

Was Sprache anbelangt, ist das sicher zutreffend. Dann verbietet sich aber auch ein Sprachschutzgesetz.

Was Rechtschreibregeln anbelangt, würde ich das etwas differenzierter betrachten. Die Fortschreibung und Anpassung von Rechtschreibregeln an den Sprach-/Schreibgebrauch kann sicherlich außerhalb jeglicher staatlicher Regelung von Wörterbuchverlagen vollzogen werden. Grundlegende Änderungen von Rechtschreibregeln (z. B. ss statt ß) – wenn man sie denn will – bedürfen jedoch staatlicher Normen.

UWE

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uwe
01.10.2001 06.34
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Re: Verwässerung... nein, Unterspülung der Demokratie

Lieber Christian Melsa,

deine Fragen beantwortest du im Grunde genommen selbst:

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christian Melsa
Die totale Demokratie ist zwar eine Utopie, da das Volk die Summe vieler Individuen ist, deren Willen sich natürlich niemals voll decken können, daher muß die bestmögliche Lösung gefunden werden, eine demokratische Ordnung zu realisieren.

Ich finde, wir haben die bestmögliche Lösung, um eine demokratische Ordnung zu realisieren.

Es werden viele (ich finde zu viele) Gesetze erlassen. Hinzu kommt ein untergesetzliches Regelwerk (Verordnungen, Erlasse etc.), das kein Mensch mehr überblicken kann. In allen Fällen das Volk entscheiden zu lassen, wäre unmöglich. Wir wären von morgens bis abends mit der Teilnahme an Volksentscheiden beschäftigt. Daher ist es doch sinnvoll, die Regelungsgewalt gewählten Volksvertretern zu überlassen. Da auch diese damit überfordert wären, alle staatlichen Entscheidungen selbst zu treffen, gibt es eine Regierung (bestehend aus Ministern), die staatliche Regelungen vollzieht und in bestimmten Grenzen selbst staatliche Regelungen (Verordnungen etc.) trifft.

Wenn nun ein Kultusministerium einen Erlass herausgibt ist der demokratisch legitimierte Minister dafür verantwortlich, egal welcher seiner Beamten diesen Erlass verzapft hat. Daher kann es überhaupt keine Zweifel daran geben, dass der Erlass zur Einführung der RSR demokratisch legitim ist. Die Kultusministerkonferenz selbst hat keine Rechtschreibreform erlassen. Es ist aber sinnvoll, dass sich die Kultusminister der Länder auf eine gemeinsame Vorgehensweise geeinigt haben.

Nun, ich will das nicht weiter fortführen, da ein eingefleischter Reformgegner sich in dieser Hinsicht wohl nicht überzeugen lässt.

Zugeben muss ich allerdings, dass dies eine sehr formale Betrachtung ist. Natürlich müssen gewählte Volksvertreter und auch Minister bestrebt sein, die Mehrheitmeinung der Bevölkerung umzusetzen, schon um ihrer eigenen Wiederwahl willen. Andererseits werden regelmäßig auch unpopuläre Entscheidungen (z. B. Steuererhöhungen) getroffen, die gewiss nicht dem Mehrheitswillen der Bevölkerung entsprehen.

Also, man kann über den Sinn oder Unsinn einer Rechtschreibreform streiten, aber man sollte nicht die Legitimation des Staates anzweifeln, per Erlass, Rechtschreibregeln für den Schulbetrieb zu normieren.

UWE




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Theodor Ickler
01.10.2001 02.47
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Vorstaatlich

Sowohl der Bundestag als auch – auf eine allerdings ziemlich unbeholfene Art – die Bundesverfassungsrichter haben eigentlich sagen wollen, daß Sprache in den vorstaatlichen Bereich gehört, etwa wie die menschlichen Sitten und Umgangsformen. In Karlsruhe hat man sich dann freilich noch eine fehlerhafte Ansicht von Normen und „korrekturbedürftigen Fehlentwicklungen“ aufschwätzen lassen, aber darauf will ich nicht nochmal eingehen.
Es gab mal eine radikal-„demokratische“ Zeit, als junge Leute überhaupt keinen Bereich mehr anerkennen wollten, der von Mehrheitsbeschlüssen ausgenommen sein könnte. Wenn die Mehrheit beschließt, daß wir uns durch Zupfen am linken Ohrläppchen begrüßen und mit den Fingern essen sollen, dann hat das zu geschehen, denn die Mehrheit will es so.
Das war die Zeit, als die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nichts mehr galt. Ich denke, das ist heute nicht mehr auf der Tagesordnung.

Im übrigen, lieber Herr Paulwitz, glaube ich mit meinem Verfahren schon auf der Linie des Bundestagsbeschlusses zu liegen, obwohl ich darauf eigentlich keinen Wert lege. Es ging damals ja um einen Appell an die Bundesregierung bzgl. der deutschen Amtssprache. Aber es ist doch unverkennbar, daß der Bundestag sich im großen und ganzen jener liberalen Linie anschloß, die den Staat hier heraushalten und seine Zuständigkeit auf das Unterrichtswesen beschränken möchte.
__________________
Th. Ickler

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Christian Melsa
30.09.2001 19.38
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Verwässerung... nein, Unterspülung der Demokratie

Uwe, Du schreibst: „Die Regierung (also auch der einzelne Minister) wird vom Parlament gewählt und ist somit ebenfalls demokratisch legitimiert, um Angelegenheiten im Namen des Volkes zu regeln. Ein Erlass zur Einführung neuer Rechtschreibregeln an Schulen kann hiervon nicht ausgenommen sein.“ Meine Antwort lautet: Doch! Warum, das werde ich jetzt noch einmal haargenau begründen.

Du gibst zwar kund, nicht mehr weiter aufs Stichwort Demokratie eingehen zu wollen, aber da Du selber in dem betreffenden Beitrag genau dieses Thema ansprichst, wirst Du nicht umhin kommen, dennoch zu akzeptieren, wenn ich darauf eingehe. Es sei denn, Du weigerst Dich einfach, an dieser Stelle folgerichtig weiterzudenken und gibst Dich damit zufrieden, daher mit billigen Ausweichmanövern zu operieren. Mir scheint auch immer wieder, Dir sind einige für die Beurteilung sehr wichtige Tatsachen entweder nicht bekannt oder nicht bewußt. Daher mein Aufklärungsbedürfnis.

Noch einmal schnell vorausgeschickt: Wie bereits erwähnt, ist die Staatsmacht in diesem Land kraft Verfassung das Volk. Und zwar das gesamte Volk, nicht etwa „die Politiker“ o.ä. Um zu handeln, müssen Entscheidungen getroffen werden. Das wird durch die Volksvertreter organisiert, die im Parlament erörtern, was anliegt, und dann per Mehrheitsbeschluß Handlungsanweisungen installieren. Das ist im normalen Betrieb praktikabler (weil weniger umständlich), als jedesmal das ganze Volk direkt entscheiden zu lassen.

Demokratisch legitime Entscheidungen können nur solche sein, deren Inhalt den Willen des Volkes repräsentiert. Ganz klar, sonst würde es sich um keine Demokratie handeln. Eine Binsenweisheit. Kann bei den für die Rechtschreibreform Verantwortlichen eine hinreichende Repräsentativität, allein von ihrer Position innerhalb der gegebenen Entscheidungsfindungsstruktur her, als auch nur annähernd gesichert gelten? Werfen wir einmal einen Blick darauf, durch wieviele Schichten (grob zusammengefaßt) der Volkswille dringen müßte, um dort anzukommen:


1. Der einzelne Bürger hat normalerweise alle 4 Jahre (pro Parlament) die Wahl. Er kann bei diesem Akt allerdings nicht seinen tatsächlichen Willen differenziert artikulieren, sondern muß sich für eine seinen Wünschen möglichst nahe Partei entscheiden. Sehr wahrscheinlich existiert eine Partei, die seinen Vorstellungen genau entspricht, jedoch überhaupt nicht. Einer Partei (bzw. bei der Bundestagswahl ihrem Ortskandidaten) kann er nur entweder 100% oder 0% seiner Stimme geben. Ob die von ihr im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen in die Tat umgesetzt werden, dafür gibt es nicht die geringste Garantie.

2. Nach der Wahl muß im Parlament eine Regierung gebildet werden. Koalitionsverträge werden abgeschlossen, bei denen der Bürger gar nicht mehr erst gefragt wird. Er hat ja auch keine Möglichkeit, per Stimmzettel seinen Koalitionswunsch zum Ausdruck zu bringen. Aus den Koalitionen ergeben sich neue Kompromisse: Was noch im Wahlkampf dem Bürger als Grundlage für seine Stimmentscheidung diente, kann auf einmal völlig in den Hintergrund gedrängt, weil bei den Koalitionsverhandlungen aufgegeben bzw. stark zurückgeschraubt worden sein. Ein Kabinett entsteht. Sofern es sich um eine Landtagswahl handelte, bestimmt der Wahlausgang auch die Besetzung des Kultusministerpostens.

3. Schulwesen ist Ländersache, die Kultusminister sind vom Bund unabhängig. Zur bundesweiten Koordination wurde nichtsdestotrotz die Kultusministerkonferenz geschaffen, keine ordentliche Behörde, sondern formal gesehen nicht mehr als ein Verein. Hier werden Maßnahmen erarbeitet, die der Zustimmung aller Kultusminister der Bundesrepublik bedürfen, um als beschlossen und damit auch ebenso für alle Kultusminister bindend zu gelten. Das Einstimmigkeitsprinzip ist natürlich nicht gerade der Flexibilität zuträglich. Im Ergebnis ist es zudem eigentlich grundgesetzwidrig.

4. Wie das auch bei anderen Ministern der Fall ist, befassen sich natürlich auch die Kultusminister nicht persönlich mit jeder Einzelheit jeder Angelegenheit, über die sie entscheiden. Allein schon deswegen, weil sie schwerlich in allen Sachgebieten die erforderliche Kompetenz werden aufweisen können (fürs Ministeramt gibt es keine festgeschriebenen Ausbildungsanforderungen!). Sie müssen für die Bewertung zu einem großen Teil den zuständigen Beamten ihres Ministeriums vertrauen. Diese Beamten sind allerdings in keinster Weise vom Volk gewählt, sie sind dem Volk normalerweise nicht einmal überhaupt bekannt.

5. Die Ministerialbeamten delegieren oft ihrerseits die Untersuchung der Angelegenheiten an passende Institute. Auf wen die Wahl dabei fällt, ist letztendlich ihrer Willkür unterworfen.

6. Im Falle der Rechtschreibreform ging die Initiative zur Forderung der Maßnahme sogar im wesentlichen von genau denjenigen aus, die schließlich auch mit ihrer Erarbeitung beauftragt wurden. Der Auftrag dazu kam nicht unerwartet, sondern man hat ihn sich „geholt“.


Mit jeder dieser 6 Stufen geht mehr vom eigentlichen Staatsbürgerwillen verloren, bis am Ende nicht nur gar nichts mehr davon übrig ist, sondern sogar etwas völlig Gegenteiliges herauskommen kann. Was die Rechtschreibreform betrifft, könnte man sogar noch eine 7. und 8. Stufe hinzufügen, in der es um Kompromisse der Reformer untereinander sowie um jene zwischen ihnen und wiederum den Ministerialbeamten geht. Zum Abschluß darf man dann noch darüber nachdenken, inwieweit die Rechtschreibreform tatsächlich korrekt und erfolgreich an den Schulen unterrichtet wird (wenn sogar viele Deutschlehrer das echte Regelwerk kaum kennen und allein schon angesichts der ziemlich konfusen Umsetzung in den Wörterbüchern) und daß viele Reformbereiche wegen der abweichenden Pressorthographien (die ebenfalls eingeführt wurden, ohne nach dem Willen der Leser zu fragen) nicht die geringste Aussicht auf Erfolg haben. Die ganze Verfahrenshierarchie enthält derartig viele Verzerrer, daß das Ergebnis schließlich alles mögliche ist, nur nicht der mehrheitliche Bürgerwille. Die Rechtschreibreform ist ein Krebsgeschwür unseres Gesellschaftssystems.

Und man sollte bei dieser Betrachtung vielleicht noch erneut darauf aufmerksam machen, daß die wichtigste Entscheidungsinstanz in der deutschen Kultuspolitik, die KMK (s. Stufe 3), demokratischer Kontrolle bereits so gut wie völlig entzogen ist. Sie gehört genaugenommen ja nicht einmal richtig zum Staat, befindet sich irgendwo unangreifbar im Niemandsland.

Die Kultusministerien ziehen sich aus der Verantwortung, indem jedem Protest gegen die Reform mit der Aufforderung begegnet wird, sich doch bitte an die nunmehr zuständige Rechtschreibkommission in Mannheim zu wenden. Auf die mehr als dürftige Volksnähe dieser Kommission ist ja Herr Ickler gerade erst wieder eingegangen.

Die totale Demokratie ist zwar eine Utopie, da das Volk die Summe vieler Individuen ist, deren Willen sich natürlich niemals voll decken können, daher muß die bestmögliche Lösung gefunden werden, eine demokratische Ordnung zu realisieren. Daß Vorgänge wie die Rechtschreibreform jedoch dem absoluten demokratischen Ideal nicht entsprechen, liegt nicht an den Zugeständnissen, die man an die Realität machen muß, sondern schlicht und einfach daran, daß die Reformakteure in der entscheidenden Phase jeder Demokratie aus dem Wege gingen, die Demokratie gezielt unterlaufen wurde.

Nun, Uwe, man sollte also nicht gerade ganz selbstverständlich davon ausgehen, daß der demokratische Charakter von Erlässen durch die Struktur des Staates in jedem Fall gewahrt ist. Zur Rechtschreibreform gibt es unzählige Belege dafür, daß diese von einer großen Mehrheit des Volkes abgelehnt wird. Hinzu kommt der von Herrn Ickler vorhin noch einmal erwähnte Bundestagsbeschluß. Sofern Du also Entscheidungen von Parlamenten für demokratisch respektierbar hältst, kannst Du unmöglich gleichzeitig die Einführungsweise der Rechtschreibreform befürworten – die ja von keinem einzigen Parlament beschlossen wurde. Wir haben es hier auf ganzer Linie mit einer totalen Umkehrung der Gewaltenschichtung zu tun: Der Schwanz wedelt mit dem Hund.

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Thomas Paulwitz
30.09.2001 18.26
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Re: Wohl nicht

„Der Staat ist darauf beschränkt, Verfahren zur Feststellung der tatsächlich verwendeten Sprache festzulegen.“ Der Bundestag sieht offensichtlich einen Bedarf zur Normierung. Wie kommt er darauf? Wie stellt er sich das vor? Wie soll so ein Verfahren aussehen?

Bisher kenne ich nur das Dudensische und das Icklerische Verfahren. Sowohl Duden als auch Ickler müssen wohl ihre Gründe haben, warum sie ein bestimmtes Verfahren gewählt haben, um die tatsächlich verwendete Sprache zu ermitteln. Sie haben sich nicht um den Beschluß des Bundestages geschert.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der Bedarf kann auch ein eingebildeter und eingeredeter sein, und irgendwer profitiert ja auch davon. Augst hat das selbst mal nachgezeichnet (wie der Duden amtlich wurde). Man sollte es mal ohne solche staatliche Einmischung versuchen. Daß Lehrer sich nicht zutrauen, aus ihrer eigenen Kompetenz – wozu bilden wir sie denn jahrelang aus? – zu entscheiden, was bessere und schlechtere Schreibweisen sind, das ist ein Armutszeugnis. Aber ich stelle immer wieder fest, daß die erlernte Hilflosigkeit es bei Lehrern wirklich so weit gebracht hat; sie können sich gar nicht vorstellen, daß es auch ohne staatlich approbiertes Regelwerk und Wörterbuch gehen könnte. Wer viel liest, hat doch eine gewisse Übersicht, und wenn er sie mal nicht hat, kann er in einem Wörterbuch nachschlagen, das sie hat (zum Beispiel in meinem). Wo ist denn da ein Bedarf an staatlicher Hilfe?

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Theodor Ickler
30.09.2001 18.09
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Wohl nicht

Der Bedarf kann auch ein eingebildeter und eingeredeter sein, und irgendwer profitiert ja auch davon. Augst hat das selbst mal nachgezeichnet (wie der Duden amtlich wurde). Man sollte es mal ohne solche staatliche Einmischung versuchen. Daß Lehrer sich nicht zutrauen, aus ihrer eigenen Kompetenz – wozu bilden wir sie denn jahrelang aus? – zu entscheiden, was bessere und schlechtere Schreibweisen sind, das ist ein Armutszeugnis. Aber ich stelle immer wieder fest, daß die erlernte Hilflosigkeit es bei Lehrern wirklich so weit gebracht hat; sie können sich gar nicht vorstellen, daß es auch ohne staatlich approbiertes Regelwerk und Wörterbuch gehen könnte. Wer viel liest, hat doch eine gewisse Übersicht, und wenn er sie mal nicht hat, kann er in einem Wörterbuch nachschlagen, das sie hat (zum Beispiel in meinem). Wo ist denn da ein Bedarf an staatlicher Hilfe?
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Th. Ickler

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Thomas Paulwitz
30.09.2001 16.11
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Die ersehnte Norm könnte zum Beispiel vorschreiben, daß eine Kommission (z.B. Dudenredaktion) nicht im geschlossenen Kämmerlein zu arbeiten habe.

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Thomas Paulwitz
30.09.2001 16.09
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Re: Gute Frage

Offensichtlich besteht doch ein gewisser Bedarf für Normierung; vielleicht nicht gerade in dem Sinne der „Reformer“. – Im Gegenteil, das wäre eher gegen deren Interesse; denn aufgrund dieser „Normierungslücke“ ist den Rechtschreibreformern erst ihr Handeln möglich geworden.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Ich nehme an, daß der Bundestag damals das bisherige Verfahren im Auge hatte, die herkömmliche Rechtschreibung (1901/1902 dargestellt, aber nicht geschaffen) zugrunde zu legen und für Zweifelsfälle die Beobachtung des Sprachgebrauchs an die Dudenredaktion zu delegieren. Mir selbst geht das immer noch zu weit. Ich würde den Rechtschreibunterricht den Deutschlehrern und sonstigen fähigen Erwachsenen überlassen, genau wie den übrigen Sprachgebrauch. Und natürlich dem edlen Wettstreit der Wörterbücher usw.

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Theodor Ickler
30.09.2001 15.36
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Zwischenfrage

Irgendwann wurde von Reformerseite mal behauptet, es sei ein Vorzug der Reform, daß Rechtschreibung nun nicht mehr in Hinterzimmern eines privaten Unternehmens, sondern von einer Kommission geregelt werde, die der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig sei. – Weiß jemand noch, wo das steht?

Mir fällt diese Behauptung immer wieder ein, weil ja das Allererstaunlichste ist, daß die Kommission seit Jahren auf Tauchstation ist, keinerlei Rechenschaft gibt und kein Jota am amtlichen Regelwerk geändert hat/ändern durfte. Die versprochene Offenheit und Öffentlichkeit findet nicht statt.

Also jetzt fällt es mir gerade wieder ein: Als Zimmer seinen freundschaftlichen Artikel über das IDS in der ZEIT (Nr. 46, 1996) veröffentlichte, zitierte er unseren alten Freund Heller:

Heller: „Mir selber paßt an der Reform auch das eine oder andere nicht. Aber es hilft ja nichts. Wenn sich so viele Wissenschaftler und Behörden zusammenraufen müssen, geht es nicht ohne Kompromisse. Besser, als einen Privatverlag stillschweigend Einzelfallentscheidungen treffen zu lassen, ist es allemal, wenn von jetzt an eine der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldende Expertengruppe systematische Lösungen sucht.“

Ist das nicht köstlich – wenn man die ganze Geschichte seither überblickt? „eine der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldende Expertengruppe“!
Warum werden denn nicht einmal die Berichte der Kommisison ins Internet gestellt? Warum erfahren nur Bertelsmann und Duden, die Hausverlage einzelner Kommissionsmitglieder, von den beschlossenen Korrekturen und von der Trennliste?
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
30.09.2001 15.24
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Gute Frage

Ich nehme an, daß der Bundestag damals das bisherige Verfahren im Auge hatte, die herkömmliche Rechtschreibung (1901/1902 dargestellt, aber nicht geschaffen) zugrunde zu legen und für Zweifelsfälle die Beobachtung des Sprachgebrauchs an die Dudenredaktion zu delegieren. Mir selbst geht das immer noch zu weit. Ich würde den Rechtschreibunterricht den Deutschlehrern und sonstigen fähigen Erwachsenen überlassen, genau wie den übrigen Sprachgebrauch. Und natürlich dem edlen Wettstreit der Wörterbücher usw.
__________________
Th. Ickler

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Thomas Paulwitz
30.09.2001 15.16
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Re: Ich bin entsetzt

Welche staatlich anerkannten Verfahren gibt es eigentlich?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
„Der Staat ist darauf beschränkt, Verfahren zur Feststellung der tatsächlich verwendeten Sprache festzulegen.“
(Beschluß vom 26.3.1998)

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Theodor Ickler
30.09.2001 15.08
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Ich bin entsetzt

„Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, daß sich die Sprache im Gebrauch durch die Bürgerinnen und Bürger, die täglich mit ihr und durch sie leben, ständig und behutsam, organisch und schließlich durch gemeinsame Übereinkunft weiterentwickelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem Volk. (...) Der Staat ist darauf beschränkt, Verfahren zur Feststellung der tatsächlich verwendeten Sprache festzulegen.“

(Beschluß vom 26.3.1998)
__________________
Th. Ickler

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