Ist die RS„R“ ein Gesetz?
>>Eine Hand macht Unsinn zum Gesetz
Rechtschreibreform: dem belesenen Bürger dreht sich der Magen um
Von Jürgen Langhans
Vielerorts ist nun zum Gesetz erhoben, was grammatikalisch falsch ist. Wer hätte geglaubt, daß im so gerne zitierten Land der Dichter und Denker ein derartiger Irrsinn möglich ist? Gräulich (grau) kann man nicht mehr von greulich (Grauen) unterscheiden, einen Tipfehler nicht mehr von einem Tippfehler.
Auch die als unumstritten suggerierte ss- Regelung ist weder schlüssig noch leicht erlernbar; es gibt sie nämlich gar nicht: Die ss-Schreibung reiht sich ein in die allgemeingeltende Regel zur Verdopplung von Konsonanten nach kurzem Vokal, und es gelten diverse Ausnahmefallgruppen, nach denen man eben nicht ss, sondern s schreiben muß, beispielsweise bei das, was, Ergebnis. Wem diese Ausnahmefallgruppen nicht bekannt sind, der darf also in Zukunft Orgassmuss schreiben. Warum wird ausgerechnet der Tollpatsch reformiert, warum jedoch wird der Kakadu nicht zum Kackadu? Woher soll man wissen, welches Wort man in Zukunft lieber nachschlagen sollte und welches nicht? Im Chaos besteht faktisch immer ein enormes Wissensdefizit. Damit nun der Missstand nicht so komisch aussieht, wird verallgemeinert Miss-Stand empfohlen.
Dem belesenen Bürger dreht sich der Magen um, wenn er mit dem Neuschrieb konfrontiert wird; Recht haben ist nun mal etwas anderes als recht haben, ein Schwarzes Brett ist nicht unbedingt ein schwarzes Brett. Kennenlernen ist ein eigenständiges Verb und gehört zusammen geschrieben; man kann das Kennen nämlich nicht lernen (vgl. schwimmen lernen). Belemmert hat nichts mit dem Lamm zu tun und das Quentchen nichts mit dem Quantum.
Zum 1. August sind bereits viele Neuregelungen wieder zurückgenommen worden. Statt dessen gelten aus gutem Grunde die herkömmlichen Regeln. So genannt darf wieder sogenannt geschrieben werden, und die Kommas müssen gefälligst dort gesetzt werden, wo sie der Neuschrieb weghaben wollte. Der Rat für Rechtschreibung hat angekündigt, in den kommenden Monaten weitere Vorschläge für einen Rückbau der Reform zu formulieren. Die Lesbarkeit solle wieder im Vordergrund stehen. Mittelfristig wolle man sich auch von solchen Ungereimtheiten wie mithilfe (mit Hilfe), einem Konstrukt, das sogar die Sprechweise beeinflußt, wieder verabschieden. Auch die neuen, absurden Trennungsregeln stehen im Rat noch zur Diskussion. Folgerichtig wird es auch bald wieder neue Nachschlagewerke geben. Den aktuellen Stand kann derzeit kein einziges Wörterbuch für sich beanspruchen.
Leid Tragende (in korrekter Schreibweise: Leidtragende) sind nicht nur die Schüler, sondern alle Angehörigen der deutschen Sprachgemeinschaft. Es ist beileibe frustrierend, sich von Leuten, die selber nicht wissen, wann das und wann daß" geschrieben werden muß, und die meinen, mit ss werde nun alles einfacher, kraft ihrer Wassersuppe falsches Schreiben anweisen lassen zu müssen. Ausgerechnet eine Hand voll Kultusminister, deren primäres Interesse doch die Wahrung unserer Schreibkultur sein sollte, macht Unsinn zum Gesetz. Nanu, diesen Satz darf man ja gar nicht mehr vernünftig schreiben. Die Aussage lautet nämlich verkürzt: Eine Hand ..., deren Interesse es sein sollte, ..., macht Unsinn zum Gesetz. Es ist widerlich, daß ein derartiger Schwachsinn in deutschen [Schulen und Universitäten] gelehrt wird (Hinweis: korrekt wäre handvoll und machen Unsinn; Kultusminister wäre dann wie gewünscht das Subjekt, und die Aussage stimmte).
Vom Autor erschienen: Jürgen Langhans: Wir schreiben für die, die lesen Ein satirisch-kritischer Aufsatz zur Rechtschreibreform. BoD 2000.(ISBN 3831107351)<<
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Lieber Herr Langhans,
nein, entgegen Massenmeinung ist die RS„R“ ist immer noch nicht Gesetz – sie ist auf dem kalten Verordnungswege erlassen worden. Und daß sie noch „gültig“ ist, liegt nur daran, daß von den betroffenen Schüler, Lehrer und Beamten noch niemand ausreichend Rückgrat gezeigt hat, um offen den mit der „Reform“ einhergehenden Wörterverboten zu trotzen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendein Verfassungsrichter es wagen wird, die Wörterverbote zu verteidigen.
>>So genannt darf wieder sogenannt geschrieben werden<<
Drücken Sie es doch bitte gerechter aus: Das Wort „sogenannte“ ist jetzt, seit Duden _23, n i c h t m e h r v e r b o t e n . Verboten sind aber immer noch kennenlernen, allgemeingültig und viele mehr. Wer sie benutzt, bekommt viel rote Tinte, Fehler, Minuspunkte, Mecker, Ächtung, Nichtbeförderung und so weiter in dieser Aalglattengesellschaft.
Verboten ist auch nach wie vor der Schulunterricht für genau die Kommasetzung, die nach wie vor in allen(!) deutschen Zeitungen benötigt wird. Die Chefredakteure haben es möglicherweise noch nicht gemerkt, daß der Redakteurenachwuchs keine Zeichensetzung mehr kann.
Das Weglassen der wichtigsten Kommata (zwischen den mit und verbundenen Hauptsätzen und zur Kennzeichnung der Grundform mit zu) ist vor allem für Schulbücher vorgesehen. Wenn jemand das merkt?!
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Detlef Lindenthal
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