Juhrou und Ssent
Sprach Spiele
Von Helmut Glück
Nun ist er da, der Euro, und weg sind sie, die Mark, der Franc, der Gulden. War das alles?
Nein, nicht ganz. Uns hat außerdem der Pfennig verlassen. Den Österreichern sind die Heller,
den Griechen die Lepta und den Finnen die Penniä abhanden gekommen. Dafür haben wir
alle blanke Münzen bekommen, auf denen Cent steht. Solange man dieses Wort nur lesen
muss, ist das unproblematisch. Doch nun müssen wir es auch aussprechen. Europa, ach
was: die ganze Welt! steht vor der Frage, ob man Ssent, Zent oder Kent sagen soll.
Diese Frage hat bereits viele deutsche Fernseh-Redaktionen beschäftigt und zu
ziemlich unausgegorenen Aussprache-Anweisungen geführt: Die einen müssen
Ssent, die anderen dürfen auch Zent sagen. Kent fand bisher wenig Freunde,
vielleicht wegen der Gefahr der Verwechslung mit einer Zigarettenmarke. Die
einzelnen Varianten sind interpretierbar: Ssent ist die englische Aussprache, Zent
die deutsche, Kent die der protestantischen Lateiner, die Käsar und Kikero statt
Cäsar und Cicero sagen und auch sonst eine kleine Minderheit sind.
Mit langem E gesprochen ergibt sich ein ganz anderes Wort, nämlich Zehnt. Es
bezeichnet den zehnten Teil einer Menge, namentlich im altdeutschen
Steuerrecht den aus heutiger Sicht läppischen Steuersatz von 10 Prozent. Das
Wort zehn ist weder sprachgeschichtlich noch arithmetisch identisch mit dem Wort
hundert, auch wenn das manchem Steuerpolitiker gut in den Kram passen würde.
Worauf stützt sich die Vermutung, Zent wäre deutscher als Ssent?
Viele deutsche Wörter fangen mit zent- an, z. B. Zentner, Zentimeter und
Zentrum. Sie alle kommen aus dem Lateinischen. Zentner und Zentimeter gehen
auf lat. centum zurück, was hundert bedeutet, während Zentrum über lat.
centrum von griech. kéntron abstammt, was Stachel heißt und die Spitze eines
Zirkels meint, die im Mittelpunkt eines Kreises steckt. Cent geht auf centum
zurück und bezeichnet den hundertsten Teil einer Menge.
Briten und Amerikaner sprechen C am Wortanfang vor hellen Vokalen wie ß aus,
weil sie dort kein TS sprechen können anders als wir. Sie sagen deshalb Ssänta
statt Zentrum und Ssökl statt Zirkel. Das muss man nicht unbedingt nachmachen.
Wir werden wahrscheinlich zwei Aussprachefraktionen bekommen: die
Schickimickis, die Ssent als phonetischen Amerikanismus cool finden, und das
einfache Volk, dem die Währungsumstellung reicht und das nicht auch noch
seine Aussprachegewohnheiten verändern will. Man muss allerdings mit
Schlimmerem rechnen: Die Ssent-Freaks werden demnächst den Euro im
Ssöklschluss Juhrou nennen. Dann sollte man damit kontern, statt Zent einfach
Pfennig zu sagen.
(Die Welt 10. 1. 2002)
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Th. Ickler
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