Ein Fund
Die deutsche Sprache
Einst war sie stark und groß, ihr Blick, ihre Gebärde waren herrlich, doch kam eine Zeit, wo sie sich vergaß, sie ließ sich mißbrauchen, und da wurde sie häßlich. Die, die sie redeten, machten sie zum Ausdrucksmittel für alles Banale, so daß alle Welt sich über ihre Erniedrigung lustig machte. Die schöne Gestalt fiel zusammen. Was vorbildlich gewesen, wurde zum Spottbild. Der prächtige Baum verdorrte, und dabei gefiel sie sich noch, so schlecht war sie geworden. Die Schmach dauerte lange. Einige dachten, daß sie dem Tode nahe sei, und sie hatten recht. Sie starb, d.h. sie schlich hin wie eine Tote. Niemand glaubte, daß sie je wieder zu Kräften käme. Sie verlor all ihren Liebreiz, klang trocken, hart und albern und diente fast ausschließlich zu Barschheits- und Schneidigkeitszwecken. Ihre verdorbene Stimme war das denkbar Mißlichste, den meisten grauste es vor ihr. Ja, sie war krank und liegt nun zertreten, doch es leben Leute, die sie lieben wie immer, und ihr treu bleiben wollen, denn sie denken, sie sei unausrottbar und werde ihre Schönheit wiedergewinnen. Ganz im stillen, wo es unscheinbar und dunkel ist, pflegen sie sie, damit sie gesunde. Sicher wird sie wieder aufstehen und duften und blühen und ihren Frühling haben und tönen wie Vögleinstimmen. Das will erlebt sein, und die an sie glauben, müssen Geduld haben. Jetzt ist sie müd und schläfrig, die Glieder sind matt, die Worte klanglos. Sie scheint gelähmt, wird aber wieder springen und tanzen und die Behendigkeit besitzen, die sie früher besaß. Nur warten, bis sie wiederhergestellt ist. Sie ist verirrt, sie weint, wird aber den Weg finden und hellauflachen. Dann wird sie sein wie ein sommerlicher Garten und wie eine wiederauferstandene Sonne, rings um sie wird es heiter sein, reich und gut und kraftvoll. Und weich und natürlich. Dann kennt sie sich wieder, und alle haben Freude an ihr. Über die Erde und alle Dinge wird sie stürmen wie der beseligende Wind. Die Niedergeschlagene wird fröhlich sein. Lust und Trost wird empfinden, wer sie reden hört. Vielleicht geschieht es dann, daß ich unter einer Tanne im Grase liege und sie küsse und wieder ihr Dichter bin.
Aus: Robert Walser, Träumen. Prosa aus der Bieler Zeit 1913-1920. Suhrkamp Taschenbuch 1116.
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Walter Lachenmann
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