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Mein Kleintierzoo
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Theodor Ickler
07.04.2001 07.36
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Pitza

Vielen Dank für die Pitza! Bewunderung für die Bakkkunst und Neid wegen Sizilien halten sich die Waage. Meine Töchter hatten mir gestern zum Geburtstag auch eine gebakken, es war freilich keine italienische, sondern man sah und schmeckte, wie stolz sie darauf war, eine deutsche Pitza zu sein, schön braun (von Vollkornmehl).
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Th. Ickler

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Walter Lachenmann
07.04.2001 06.56
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Pizza

Niemand kann sich vorstellen, mit welchen Glücksgefühlen ich am 24. März regelrecht abhob – Richtung Sizilien – nachdem ich noch schnell im Kleintierzoo vorbeigeschaut hatte. Vor kurzem erst hatte Herr Wrase überraschend Partei für mich ergriffen, und nun konnte ich auch noch lesen, daß Herr Markner schrieb: »Die allgemeine Nachfragesituation ist im übrigen von Herrn Lachenmann verschiedentlich durchaus zutreffend beschrieben worden«. Worauf Herr Ickler zu meiner größten und freudigsten Verblüffung eine seiner begehrten Belobigungen aussprach: »Herr Markner (sic! es sei ihm gegönnt!!) hat einen Kernpunkt getroffen«. Und weiter: »Mir hat sich die Frage immer (so) gestellt... Das praktische Problem wäre also, beide Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, also dem einen zu sagen „So wird's gemacht und nicht anders!“ und dem anderen Argumente zu liefern, die ihn zu einer sachkundigen Entscheidung („postum/posthum“) befähigen.«

Endlich schien auch Herr Ickler über das sich positiv äußern zu wollen, wofür ich wochenlang vergeblich versucht hatte, Verständnis zu finden. Mein Artikulationsvermögen ist wohl doch geringer als es sein sollte, es mag an meinem Sprachfehler, dem rictus liegen, das ist jetzt aber auch völlig egal, denn was dann noch zu diesem Thema folgt, scheint auch ganz interessant und zukunftsweisend zu sein, das habe ich noch gar nicht alles gelesen.

Als Dank habe ich Herrn Ickler und allen andern Freunden aus Sizilien eine Landesspezialität mitgebracht, nämlich eine Pizza. Wie wir Linguisten wissen, wird dieses Wort hergeleitet vom sikilischen pièçza, dieses wiederum vom altfranzösischen pièce, man denke an pièce de théâtre, pièce de prose etc., war Sizilien doch im 13. Jahrhundert eine zeitlang beherrscht vom Hause Anjou, bis es anno 1282 zu dem Ereignis kam, das irrtümlicherweise als »Die Sizilianische Vesper« bezeichnet wird, und korrekt – wie folgende pièçza kündet – »Das Sizilianische Vesper« heißen müßte. Es handelt sich bei diesem Exemplar um eine besondere Form der pièçza, die die Mutter frühmorgens buk und den Brüdern (frære, frare) mit auf den Weg gab, wenn diese aufs Feld zur Arbeit gingen, nämlich um eine pizza mutti di frare.


Das sizilianische vesper

Ein keiser tat, in der sunnen hitzen,
im bot mit seinen hunnen sitzen.
Es schwollen, denn's war warm, die dürste,
es schrumpelten im darm die würste.
Bald waren sie vor huenger darmlos,
so wurde auch ihr duenger harmlos.

Da meinte ein bairischer reiter: «mei -
jetzd moch ma hoid a meiterei.»

Doch sah man den maat mit dem pinsel eilen,
der konnte eine insel peilen.
Die ganze mannschaft lallend schaut,
und dann ertönt es schallend laut:
«SICILIA!» – Zwischen pein und witzen
verlangt der tross nach wein und pizzen.
«VESPEREMUM IN SICILIA!» Ganz heiser schwört es
der maat. Im rumpf der schweißer hört es.
Am steuerrad ein treuer steht
und fleißig an dem steuer dreht.
Der insel zu wird schlecht gerudert -
vor lauter durst wird recht geschludert.
Schon leckt das schiff am rande leicht,
und doch ist bald das land erreicht.

Die bote am gestade liegen,
landsknechte aus der lade stiegen.
Der stolze keiser zeigt wieder nerfen,
er will das land jetzt niederwerfen.
Das bot der mannen liegt im sande,
der kecke feldherr siegt im lande.
Sein mut auch das volk in den bergen zwang,
im walde wurde den zwergen bang.

Doch aus dem ruder bald rinnt die sache,
und MONGIBELLO* sinnt die rache.
In frischer luft, auf diesen firnen,
reift die idee mit fiesen dirnen.

In des keisers palast eine niedere magd
zeigt ihm sich in ihrem miedere nackt.
Der sturmwind an die küste prallt –
wen lassen solche brüste kalt!

«O bitte, entfern doch das ziergitter,
du siehst doch, wie ich schon vor gier zitter!»
Das mädchen keck sein röckchen lupft,
den keiser es am löckchen rupft.

«O komm in mein kosiges bettlein, emma!»
Doch droben am etna droht ein lemma.
Noch ehe sich die leiber wärmen,
hört man von draußen weiber lärmen:
«O keiser, so zähmt doch euer füber,
der etna schwappt vor feuer über!»

Die schöne hyazinthe flieht,
der keiser seine flinte zieht.
Noch brennt auf seinem schopf ihr küssen,
jetzt möcht er in den kopf ihr schüssen.

Zum meere die franzosen hoppeln,
die herzen in den hosen zoppeln.
Sie hopsen in ihr ruderbot,
vor scham sind alle puterrot.

SICILIENS Abendsonne winkt,
SICILIENS Volk vor Wonne singt:
«Wie stolz stand einst der keiser im bot,
jetzt winselt der geile beißer im kot.»

*

Wenn groß die not ist, ein netter rat,
der MONGIBELLO als retter naht.


(*Mongibello = Ätna)

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Walter Lachenmann

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Reinhard Markner
23.03.2001 19.14
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Ralf Georg Reuths Ausrufezeichen ist eine jener sehr bezeichnenden Abweichungen von der vorgeblichen Norm, denn es stünde ja nicht dort, hätte Reuth in den »Duden« geschaut. Als Historiker hat er hier versagt, denn zu Goebbels' Zeiten wurde »scharmant« mit Sicherheit für weniger »anstöszig« angesehen als heute. Im Hinblick auf die heutigen Verhältnisse hat er aber ein zutreffendes Urteil gefällt. Dem Leser seiner Ausgabe muß eigens erläutert werden, daß es sich nicht um einen Druckfehler handelt.

Dieses Problem läßt sich durch Streichung der obsoleten Variante beheben, andere aber nicht. Es müssen, wie Herr Wrase ganz richtig anmahnt, feinere Differenzierungen her. Daher das Beispiel »post(h)um«. Hier ist die »Duden«-Redaktion so vorgegangen, daß sie »postum« zum Haupteintrag erkoren hat. Das bringt nicht nur deshalb nichts, weil niemand in den »Duden« hineinsieht, sondern vor allem deshalb, weil niemand das Spiel mit Haupt- und Nebeneinträgen (so auch bei den neu hinzuerfundenen Varianten) versteht und niemand etwas daraus lernen kann. So begründet im Einzelfall auch die Bevorzugung der einen oder der anderen Schreibung sein mag, solange man über die Beweggründe der Redaktion nichts erfährt, handelt es sich um den Versuch der Bevormundung, nichts weiter.

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Theodor Ickler
23.03.2001 16.53
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Humus

Doch, „posthum“ habe ich sicher schon oft geschrieben, oder vielmehr so oft auch wieder nicht, denn ich vermeide unnötige Fremdwörter. Neuerdings vermeide ich es eher. Es ist gerade das Problem, daß auch Stigmatisierungen, die ich mehr oder weniger ablehne, dennoch etwas ändern. Ich bin zum Beispiel überhaupt nicht gegen „ausgehen von“, vermeide es aber, weil andere so viel dagegen geschrieben haben, daß es nun „markiert“ ist. Ich würde niemals das Wort „Holocaust“ verwenden, weil sich damit eine Menge Erinnerungen unangenehmster Art verbinden. (Ich war Referendar an einem Berliner Gymnasium, als der amerikanische Unterhaltungsfilm gleichen Namens lief, den anzusehen – zwecks moralischer Erbauung – man uns geradezu zur Pflicht machen wollte – bei mir allerdings vergebens, denn ich sehe mir nur lustige Filme an, wenn überhaupt). Also ich kann diese Verbindung von Moral und Unterhaltungsindustrie auf den Tod nicht ausstehen, und deshalb hasse ich auch dieses dämliche verhüllende Wort, sondern sage Judenvernichtung, Ausrottungspolitik oder was sonst deutsch und deutlich ist. Aber das halte ich natürlich ganz heraus aus meinem Wörterbuch.
Bei „scharmant“ gibt es vielleicht noch zu viele Belege. Ich hatte es neulich schon gestrichen, habe es dann aber wieder eingefügt. Weiß noch nicht.
Heute habe ich den ganzen Tag viel Spaß gehabt mit dem neuen Duden-Universalwörterbuch. Man hat dort jetzt lauter weibliche Personennamen eingefügt, egal, ob sie belegt sind oder nicht. Mit der beigefügten CD-ROM habe ich festgestellt, daß allein 5204 Einträge nichts anderes sind als „weibliche Form zu ...“. Agioteurin, Bergsträßerin, Billiganbieterin, Insurgentin, Kolonnenspringerin, Trassantin, Tuchfabrikantin usw. – lauter Wörter, für die der Duden keinen Beleg haben dürfte.
Für diesen Quark und für die neue Zeilenwirtschaft (jedes Wort auf eine neue Zeile) hat der Duden rund zehn Prozent der bisherigen Einträge kurzerhand gestrichen, und zwar auch solche, die im Rechtschreibduden stehen und durchaus mehr Nachschlagebedarf wecken als die problemlosen weiblichen Bezeichnungen, also zum Beispiel „Peltast“ u.v.a. Von dieser Streichaktion erfährt der Käufer kein Wort, er ist wahrscheinlich sogar von der größeren Seitenzahl der Neuausgabe beeindruckt. Das „Große Wörterbuch“ aus demselben Hause ist schon von der vorletzten Ausgabe an vom gleichen feministischen Wahn erfaßt („Strandräuberin“ usw.).
Ich werde meine Besprechung hier einstellen, nachdem sie in der Zeitung gestanden hat.
– geändert durch Theodor Ickler am 24.03.2001, 18:06 –

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Reinhard Markner
23.03.2001 16.12
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Rechtschreibkritik

Lieber Herr Ickler,

»Andererseits gebe ich zu, daß ich, selbst Opfer und Produkt sprachkritischer Einflüsse, niemals „einzigste“ sagen oder schreiben würde« : genau das ist der Punkt, denn Sie würden mutmaßlich auch nicht »posthum« schreiben, weil Ihnen die Sache mit dem Humus zu doof ist, und doch geben Sie dieses Wissen im Wörterbuch nicht weiter ! Solange es hinreichend viele Leute gibt, die über eine bestimmte Schreibung oder eine bestimmte Ausdrucksweise (»der einzigste«, »macht Sinn« u. dgl.) die Nase rümpfen, kann man sie eigentlich nicht guten Gewissens als gleichberechtigt an- bzw. darbieten. So gesehen, wird es wieder eine Aufgabe für Deskriptivisten.

Noch ein kleines amüsantes Beispiel (ein Nachtrag zur »Schofför«-Debatte) : Goebbels schreibt an einer Stelle in seinen Tagebüchern »scharmant«, was dem Herausgeber so abwegig vorkam, daß er die Schreibweise mit einem »(!)« angeprangert hat -- dabei war sie damals wie heute (selbst im »Ickler«) »korrekt«.

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Theodor Ickler
23.03.2001 14.00
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Sprachkritik

Lieber Herr Markner, wir sind – durch meine Schuld – vom Thema Orthographie abgekommen, aber die von Ihnen aufgeworfenen Beispiele sind interessant genug. Ich denke, in dem geplanten „Antibarbarus“ muß all dies besprochen werden. Schwierige Aufgabe! Was soll man zu „einzigste“ sagen? (Google: 15.000 Belege) Die Logik widerrät es, aber die Sprachwirklichkeit ... Andererseits gebe ich zu, daß ich, selbst Opfer und Produkt sprachkritischer Einflüsse, niemals „einzigste“ sagen oder schreiben würde, auch wenn ich theoretisch Bescheid weiß, daß so etwas ganz normal ist. Man müßte dann wohl das Für und Wider und die gegenwärtig geltende Konvention der Gebildeten anführen. Die Etymologie gibt ja allgemein für den Gebrauch nicht so viel her.
Der ganze Wortbildungstyp „nichtssagend“ usw. soll ja nach Ansicht mancher Sprachpfleger von der Komparation ausgenommen werden. Ich habe viele Zuschriften bekommen, weil ich mich oft für die Zusammenschreibung von „vielsagend, nichtssagend“ stark gemacht hatte, und u.a. mit dem Argument der gesamthaften Steigerbarkeit. Die Absender hielten mir empört vor, so etwas könne man doch logischerweise gar nicht steigern, und als Professor für Germanistik sollte ich das wissen usw. Tut man aber trotzdem, auch in den besten Kreisen.

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Theodor Ickler
23.03.2001 13.40
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Lehrer

Lieber Herr Peil,
weder habe ich mich über „die“ Lehrer geäußert noch über „alle“ Lehrer. Es gibt kleingeistige Lehrer; sie selbst haben uns ja von solchen berichtet. Da Lehrer die Macht haben, Kinder zu triezen, sind die Kleingeister unter ihnen besonders lästig. Andere Berufsstände haben weniger Gelegenheit, ihrer Mitwelt mit orthographischer Besserwisserei lästig zu fallen oder gar gefährlich zu werden.
Ich selbst kann nicht klagen: meine Lehrer hatten wenig Grund, mit meinen Rechtschreibleistungen unzufrieden zu sein.
Wenn man Ihrer Überempfindlichkeit nachgibt, kann man überhaupt keine schlechten Lehrer mehr erwähnen, weil es dann immer gleich heißt, man hacke auf „den“ Lehrern herum.
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Th. Ickler

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Stephanus Peil
23.03.2001 10.17
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Triezerei der Lehrer

Immer wieder kann man bei Herrn Ickler lesen, daß die nach seiner Ansicht unwirksamen Duden-Regeln „einem kleingeistigen Lehrer als 'Rohrstockersatz' dienen“.

Der Professor kann es nicht lassen, immer wieder auf den Lehrern herumzuhacken: leidet er vielleicht unter einem Schul-Trauma?

Ich habe zwar als Schulkind – wie bereits berichtet – für das Wort „selbstständig“ einen Fehler (ohne Anführungszeichen) kassiert, was mir übrigens nicht geschadet hat, denn mein damaliger Lehrer wollte mir in guter Absicht die unter Gebildeten übliche Schreibweise beibringen.

Die meisten erfahrenen Lehrer von heute werden aber Schreibabweichungen wie „selbstständig“ nicht auf die Goldwaage legen, wenn sie sich nicht häufen. Die Note „sehr gut“ ist durch solche Kleinigkeiten sicher nicht gefährdet, wenn der Inhalt und Ausdruck stimmt. Hier wird selbst von hochgelehrten Personen leider ab und zu der Teufel an die Wand gemalt und so getan, als seien alle Lehrer Pedanten, die darauf aus seien, Schüler zu quälen.

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Reinhard Markner
23.03.2001 09.59
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Der Fall »scheinbar/anscheinend« steht für Macht und Ohnmacht der Sprachkritik. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei »der/die/das einzigste«, wobei hier die Berechtigung des sprachkritischen Anliegens wohl weniger zweifelhaft sein dürfte. Einerseits werden, durch hartnäckige Propaganda über Jahrzehnte hinweg, viele Menschen erreicht, andererseits aber nicht alle. Im Hinblick auf die »Nachfragesituation« ist aber wichtig festzuhalten, daß die Leute, die um den semantischen Unterschied zwischen »scheinbar« und »anscheinend« oder um die Nichtsteigerbarkeit von »der/die/das einzige« wissen, zufrieden damit sind, über dieses Mehrwissen zu verfügen.

Daher auch die Unzufriedenheit der Wörterbuchnutzer, die im Wörterbuch nachschlagen und die Auskunft erhalten, beides (z. B. »postum« oder »posthum«) sei möglich. Sie haben nämlich nichts gelernt. Schlimmer noch, sie können nicht triumphierend ausrufen, »Ich wußte doch, daß ich richtig liege (und du nicht)!!«.

Unser Ziel müßte es sein, beim Leser einen Aha-Effekt zu erzielen (»So liegen die Dinge also !«), ohne ihn zu bevormunden. Dazu braucht er an den entscheidenden Stellen (wesentlich) mehr Daten, eine genauere Beschreibung des Usus, zusätzliche semantische, etymologische, grammatikalische Informationen. Die Frage nach dem Effekt, den ein Wörterbuch im Hinblick auf die Sprachentwicklung haben kann, bitte ich vorläufig auszuklammern, wir reden hier ja ohnehin nicht von einem Werk, das eine Millionenauflage hat.

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Theodor Ickler
23.03.2001 04.32
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Gehobener Bedarf vs. Tippse

Herr Markner hat einen Kernpunkt getroffen. Mir hat sich dieselbe Frage immer so gestellt: Ist in erster Linie an jemanden zu denken, der Fremdtexte schreibt (die „Tippse“), oder geht es um Selberschreiben? Die Reform führt zwar immer die Wenigschreiber und Abc-Schützen im Munde, aber wenn man genauer hinsieht, hat sie gerade die professionellen Viel-, aber Fremdschreiber im Visier. Denn die Grundschüler kommen gar nicht dazu, „Zierrat“ zu schreiben und „Diphthong“ zu trennen.
Das praktische Problem wäre also, beide Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen, also dem einen zu sagen „So wird's gemacht und nicht anders!“ und dem anderen Argumente zu liefern, die ihn zu einer sachkundigen Entscheidung („postum/posthum“) befähigen. Wie soll das aussehen, z. B. bei den bisher bogengeschmückten Verbzusatzkonstruktionen?
Bisher habe ich darauf vertraut, daß die Entwicklung von selbst weitergeht, wenn man den Leuten den reinen Sachverhalt der Variantenschreibung präsentiert. Ich habe zum Beispiel bei „gutgehen/gut gehen“ weder Argumente zu bieten noch Empfehlungen, lasse es also einfach laufen. Sogar deutlichere Häufigkeitsverteilungenhabe ich nicht mitgeteilt, weil ich mir dachte: die Tendenz setzt sich sowieso durch. Aber nach den Erwägungen von Herrn Markner, die mir ja durchaus einleuchten, müßte man anders vorgehen – oder?
Zu bedenken ist noch, daß weit über 999 Promille aller Schreibfälle ohne Benutzung eines Dudens gelöst werden. In den Grundzügen stimmt die Schreibung mit dem Duden überein, aber nur weil der Duden hier den Usus richtig wiedergibt. Die Abweichungen sind das Interessante. Sie kommen daher, daß praktisch verschwindend wenige überhaupt je nachschlagen und daß der Duden hier dem Usus nicht dicht genug auf den Fersen war. Manchmal kann ein „Fehler“ so sprichwörtlich werden und in den Schulen breitgetreten werden, daß ein merkbarer Einfluß auf die Sprachentwicklung ausgeübt wird. Zum Beispiel scheint mir die semantische Unterscheidung „scheinbar/anscheinend“ aus Schul- und Sprachkritikkreisen heraus in die Öffentlichkeit gewirkt zu haben, was freilich Millionen Menschen nicht hindert, „scheinbar“ im Sinne von „anscheinend“ zu gebrauchen (übrigens ohne Schaden und in den besten Kreisen). Im allgemeinen ist die gesetzte Norm aber ohnmächtig gegen die inhärenten Sprachregeln und Tendenzen.
Man hat schon gemerkt, daß ich eine Heidenangst davor habe, solche unwirksamen Regeln in die Welt zu setzen, die ein typisches Dudendasein fristen: Sie stehen irgendwo und können einem kleingeistigen Lehrer als „Rohrstockersatz“ dienen, sind aber sonst völlig nutzlos und belasten bloß die theoretische Fehlerbilanz. Das darf niemals wieder geschehen.
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Th. Ickler

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Walter Lachenmann
23.03.2001 00.12
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Nachfragesituation

Ob »Duden« wirklich draufstehen muß, sei dahingestellt.
So monströs, wie der jetzt daherkommt, kann er unmöglich große Akzeptanz und Autorität im Volke genießen. Wer will sich schon mit all den roten Kästen, Erklärungen alt/neu, Belehrungen, deren Sinn sich keinem erschließt, beschäftigen. Er dürfte mehr und mehr als eine Zumutung empfunden werden.
Es ist eine Spekulation, aber es könnte sein, daß die Reform immerhin erreicht hat, daß der Duden seinen Verbindlichkeits- und Unfehlbarkeitsstatus tatsächlich eingebüßt hat, vielleicht dauert es noch etwas, bis die Menschen sich trauen, das so zu sehen.
Es bestünde dann ein Vakuum. Da wäre es eher schädlich, wenn das erlösende neue deutsche Wörterbuch wieder »Duden« heißen würde.
Ich hatte jetzt das zweifelhafte Vergnügen, im Auftrag eines großen deutschen Publikumsverlages in einem Buch von ca. 300 Seiten, das in verlagseigen-reformierter Orthographie bereits lektoriert und entsprechend gesetzt war, nachträgliche »Korrekturen« auszuführen. Die eigentlichen Satzschnitzer bewegten sich in sehr geringem Rahmen, da der Übersetzer (es ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen) sich viel Mühe gegeben und kaum Fehler gemacht hatte, und zwar durchaus schon nach wohl vom Verlag vorgegebenen Richtlinien einer reformierten Orthographie. Es entstand nun ein Aufwand von zwei intensiven Arbeitstagen bei mir – entsprechend mindestens im Lektorat des Verlages – nur daraus, daß reformbedingte Hin- und Herveränderungen vorgenommen werden sollten, weil man sich in diesem Verlag offenbar überhaupt nicht im klaren ist, in welcher Weise nun die Orthographie behandelt werden soll. Da wurden reformkonforme Schreibweisen zugunsten der herkömmlichen Schreibweise wieder zurückgenommen, weil man diese wohl nicht mitzumachen gewillt war, andere, von den Reformern lediglich als neue Möglichkeiten definierte Schreibweisen wurden völlig überflüssigerweise mühsam ausgeführt, insbesondere im Bereich der Trennungen (meis-tens, Subs-tanz usw.) Es war eine absolut hirnrissige Tätigkeit, deren Kosten sich jeder leicht ausrechnen kann, für ein einziges Buch. Man rechne hoch auf die Produktion eines Verlages, dann aller deutschen Verlage. Mir ist völlig unverständlich, warum diese Geschäftsleute, die sonst wegen jeder Portoerhöhung ein Riesengeschrei veranstalten, dieses nun wirklich idiotische Spiel, das Riesensummen kostet, mitspielen.
Mit der Person im Verlag, die für die Korrekturen dort zuständig ist, ins Gespräch zu kommen erwies sich als völlig unergiebig und leicht peinlich. Eine Beobachtung, die man immer wieder machen kann. Die Leute sind unglücklich, mögen es aber vor den Kollegen nicht zugeben, weil sie nicht als obstruktiv, das Neue ablehnend, dastehen wollen. Aber man merkt die Ratlosigkeit, das Unglück, daß das von jung auf liebevoll Gelernte nichts mehr wert ist, daß man die persönliche Orthographiekompetenz verloren hat, in der Sprache nicht mehr zuhause ist, Anordnungen ausführen muß, die jeglicher Plausibilität bar sind und zu häßlicher Sprache führen.
Ich führe das deshalb so aus, weil ich daraus die Vermutung ableite, daß es von vielen Leuten als eine Erleichterung empfunden werden könnte, wenn ein profundes, angenehm zu handhabendes deutsches Wörterbuch auf den Markt käme, das all diesen Leuten den Beweis und die Hoffnung geben würde, daß der »Duden« nicht das letzte Wort der deutschen Orthographie sein wird.

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Walter Lachenmann

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Reinhard Markner
22.03.2001 20.38
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Idola fori

Auf die Wahlfreiheit der Käufer wollte ich nicht hinaus (und das vorgeschlagene Dissertationsthema muß jemand anders übernehmen). Der »Riebe-Peil« ist ja auch gar nicht auf dem Markt. Vielleicht würde dort der Eintrag »posthum« nicht drinstehen, aber das kann niemand wissen.

Die allgemeine Nachfragesituation ist im übrigen von Herrn Lachenmann verschiedentlich durchaus zutreffend beschrieben worden. Die durchschnittliche Tippse, ob naturblond oder nur blondiert, will wissen, was richtig ist und was falsch, und der durchschnittliche Buchkäufer will etwas, wo »Duden« draufsteht.

Gerade der homo orthographicus sapiens aber, der sich einen »Ickler« für den gehobenen Sprachbedarf (»Es gibt sie noch, die guten Dinge«) zulegt, möchte vielleicht, bevor er seine freie und einsame Entscheidung für die eine oder andere Schreibweise trifft, wissen, welche Gründe für oder gegen »posthum« sprechen. Mit den Mitteln des Deskriptivismus läßt sich das meines Erachtens durchaus bewerkstelligen, da die etymologischen Verhältnisse ja beschreibbar sind, so wie es die amerikanischen Autoren getan haben.

– geändert durch Reinhard Markner am 23.03.2001, 21:55 –

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Theodor Ickler
22.03.2001 17.38
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Teils teils

Daß die Frage der Korpuswahl ganz entscheidend ist, trifft natürlich zu und ist allen Sprachstatistikern bekannt. Diese Schwierigkeit führt aber den Deskriptivismus nicht ad absurdum. Die Welt beschreibt sich nicht selbst, das ist allerdings wahr, und die Philosophen haben ja oft genug erklärt, daß bei der Auswahl der Grundmenge eine normative Komponente im Spiel ist. Ich habe aber – Herr Paulwitz weiß das, weil er meine Sprachkritikvorlesung kennt – das Normative immer auf die Nachfrageseite abgeschoben und damit entschärft. Will sagen: Ich beschreibe das von mir ausgewählte Register, also etwas Zeitungstexte, anspruchslose Sachprosa, nichts Gereimtes, keine Toilettenwandsprüche, keinen Dialekt usw. – und dann biete ich es an, und wenn der Abnehmer dies WILL, dann wird er bedient. Er SOLL also nicht. Und ich denke, man kann dem Sprecher die Souveränität des eigenen Urteils nicht abnehmen.
Vieles kann dabei unausgesprochen bleiben, wenn man nicht für Ausländer schreibt.
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Th. Ickler

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Thomas Paulwitz
22.03.2001 17.10
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Es gibt keinen Deskriptivismus

Zum Nachdenken:

Worauf bezieht sich der Deskriptivismus?

Auf den Schreibstil der Zeitungen?
Auf die Umgangssprache?
Auf die Schreibweisen des Sprachvolks?

Deskriptiv vorzugehen bedeutet doch, sich für ein zu beschreibendes Objekt zu entscheiden. Die Entscheidung wird einem Wörterbuchmacher nicht von der Materie aufgezwungen.

Man muß eine Auswahl treffen, da sonst der Stoff zu groß ist. Man kann nicht sämtliche sprachlichen Äußerungen erfassen.

Die Auswahl des zu beobachtenden, zu beschreibenden Objekts führt den Deskriptivismus ad absurdum.

So wenig, wie es eine reine Objektivität geben kann, gibt es einen reinen Deskriptivismus.

Deswegen kann es kein Dogma des Deskriptivismus geben.

Nur eine übermenschliche, göttliche Instanz kann sagen: „Ich bin der ich bin; die Sprache ist, wie sie ist“.
__________________
Thomas Paulwitz
http://www.deutsche-sprachwelt.de

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Theodor Ickler
22.03.2001 16.42
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Warum denn nicht?

Lieber Herr Markner, wie wäre es, wenn Sie aus Ihrer Kenntnis der englischen Verhältnisse einmal berichten würden, wie sich ein Konsens über gute Wörterbücher herausbildet, an denen man sich dann auch gern orientiert? Es ist doch überall so, daß auch der „Konsument“ eine Ware beurteilen kann, selbst wenn er nicht imstande wäre, sie herzustellen. (Aristoteles hat das besser gesagt.)
__________________
Th. Ickler

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