Unersättliche Rechtschreibreformer
Horst Haider Munske, Germanist und ausgestiegener Reformer, schreibt in seinem Buch „Lob der Rechtschreibung“ (C.H.Beck 2005) auf Seite 28:
In ihrem gutgemeinten Bestreben, die Sprachgemeinschaft zu beglücken, sind echte Rechtschreibreformer unersättlich. Sie fänden erst endgültige Befriedigung, wenn völlige Einfachheit und Systematik erreicht würden. Diese vorgefaßte Haltung hindert sie auch, die überkommenen Regeln nach verborgenem Sinn zu befragen und die Vermutung zu akzeptieren, daß sich vielleicht im Laufe der Zeit praktikable Kompromisse herausgebildet haben. Könnte es nicht sein, daß es nur an einer ordentlichen Beschreibung der Regeln fehlt? Oder daß die Dudenredaktion in ihrem rechtschaffenen Bemühen um die Festlegung der Schreibung zu viel des Guten getan hat? Solche Überlegungen sind ihnen fremd. Im Grunde hindert sie nur eins, ihre Ziele offen zu bekennen und zu verfolgen: der erwartete Widerstand der Betroffenen.
Erfahrungen früherer Reformversuche haben gezeigt, was diese am meisten aufbringt: Änderungen im Schriftbild. Gerade das aber wäre z.B. mit der Beseitigung der Großschreibung und der Vereinfachung der Laut-Buchstaben-Beziehung unweigerlich verknüpft. So schielen Reformer stets danach, ob sich Widerspruch meldet, der ihr Vorhaben verhindern könnte, und sie erweisen sich als anpassungsfähig, sobald solche Gefahr ernstlich droht. Das führt dazu, daß Rechtschreibreformen im Laufe ihrer Planung und ihrer Durchsetzung immer magerer werden, bis sie schließlich ganz sterben.
So erging es der Reform vom Jahre 1876, die auf der I. Berliner Rechtschreibkonferenz vorbereitet und beschlossen wurde. Stein des Anstoßes war vor allem die Vereinfachung der Vokallängebezeichnung. Sie fand so wenig Akzeptanz, daß die Regierung von der Durchsetzung Abstand nahm. Statt dessen griffen der preußische und der bayerische Kultusminister in Vorschriften für die Schule auf einen moderaten Vorentwurf zurück, der im Grund nur eine Vereinheitlichung der Regeln in den deutschsprachigen Staaten vorsah. Dies machte Konrad Duden 1880 zur Grundlage seines «Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache». Hier konnte 25 Jahre später die II. Berliner Rechtschreibkonferenz anknüpfen und beides miteinander verbinden: Wahrung der Rechtschreibtradition und Vereinbarung einer Einheitsorthographie.
Auch die jüngste Reform zeigt ähnliche Verfallserscheinungen. Ursprünglich sollten die gescheiterten Reformen der 50er und 60er Jahre wieder aufgenommen werden, u. a. mit der sog. 'gemäßigten Kleinschreibung', der Vereinfachung der Längebezeichnung, der Vereinheitlichung von ei und ai sowie der Beseitigung der Unterscheidungsschreibung von das und daß. Dies alles wurde schon in der Frühphase dank des Einspruchs der Kultusministerkonferenz aufgegeben. So kam es dazu, daß die unbedingt gewollte Reform sich in dem schwierigen Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung und in Randthemen der Silbentrennung, der Stammschreibung und der Kommasetzung austobte. Auch dies wäre längst vergessen, hätten nicht die Kultuspolitiker darauf bestanden, das Begonnene partout durchzusetzen. Das hat den frühen Tod aufgeschoben und ein langes Leiden erzwungen.
Munske hat 1997 die Reformkommission unter Protest verlassen und im SPIEGEL v. 22.9.97 gefordert: „die Überrumpelung stoppen“.
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