Welt
28.7.2004
Koalition uneins über neue Rechtschreibung
Bildungssenator Böger schließt Verbesserungen nicht aus Klaus Wowereit gegen Änderungen
von Florentine Anders

Manche verwirrt die Rechtschreibung in Deutschland
Jetzt muss sich im Oktober die Kultusministerkonferenz mit der Rechtschreibreform beschäftigen
Foto: AP
Die neu aufgeflammte Debatte über Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform schlägt immer neue Wogen. Jetzt muss sich im Oktober die Kultusministerkonferenz (KMK) mit dem bereits abgehakt geglaubten Thema beschäftigen. Erst im Juni hatte die KMK einstimmig festgelegt, dass die Neuregelung im nächsten Jahr verbindlich werden soll gegen den Willen der Bevölkerung, wie neueste Erhebungen zeigen. Laut einer Forsa-Umfrage des Stern sprechen sich 55 Prozent der Befragten dafür aus, die Reform wieder rückgängig zu machen. Nur 38 Prozent sind gegen eine Rücknahme.
Jetzt kann auch Bildungssenator Klaus Böger (SPD) das Thema nicht mehr länger als erledigt betrachten, denn er muss das Land Berlin auf der nächsten Tagung der KMK vertreten. Ich bin verblüfft, dass das Thema erneut diskutiert werden soll, schließlich gibt es einen einstimmigen Beschluss vom Juni und zu diesem Beschluss stehe ich auch jetzt noch, sagte Böger der WELT. Auch er habe Mühe, sich an die neuen Regeln zu gewöhnen, doch die Reform dürfe nicht komplett in Frage gestellt werden, wenngleich Änderungen immer möglich sein sollten, betonte der Bildungssenator. Deshalb habe die KMK die Rechtschreibkommission eingesetzt. Sie soll die Sprachentwicklung beobachten und gegebenenfalls Änderungen veranlassen. Sprache ist immer ein lebendiger Prozess, sagt Böger.
Damit liegt der Bildungssenator auf der Linie des SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Müller. Müller sei anfangs gegen die Einführung der Reform gewesen, sagt sein Sprecher Hans-Peter Stadtmüller. Jetzt sei es aber unrealistisch, das Rad wieder zurückzudrehen. Persönlich benutze Müller eine Mischform aus Alt und Neu. Die neue ß-Regelung fände er praktisch, die Anrede in Briefen schreibe er grundsätzlich groß.
Angesichts der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber der neuen Schreibweisen haben die Vertreter der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission geäußert, es müssten sich ja nur Schulen und Behörden an die neue Regelung halten, privat könne jeder schreiben wie er wolle. Damit bestätigen die Reformer selbst den Vorwurf, dass die neue Rechtschreibung nicht flächendeckend und problemlos angenommen ist, sagt Martin Lindner, Vorsitzender der FDP-Fraktion. Auftrag der Kommission sei es aber, die Einheit der Sprache zu wahren. Lindner fordert den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf, in der Ministerpräsidentenkonferenz entsprechend aktiv zu werden.
Wowereit beharrt auf seinem Standpunkt, dass an der Reform nicht mehr gerüttelt werden solle, bekräftige gestern sein Sprecher Michael Donnermeyer. In der Berliner Verwaltung gilt nach Angaben von Donnermeyer die neue Schreibweise uneingeschränkt im Schriftverkehr. Dagegen hat sich PDS-Kultursenator Thomas Flierl für eine vorsichtige Reform der Reform ausgesprochen.
In den Gerichten hat sich die Neuregelung noch nicht gänzlich durchgesetzt, so deren Sprecher Arndt Bödeker. Zwar würden die Kanzleien alles in neuer Schreibung verfassen, die Urteile der Richter seien aber häufig noch im alten Deutsch. Auch große Unternehmen haben sich längst angepasst. Wir hatten bei der Umstellung keine Probleme, sagt Schering Sprecherin Gabriele Liebmann-El Badry.
Artikel erschienen am Do, 29. Juli 2004
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