Kölnische Rundschau
Donnergrollen bis zur Rücknahme?
Von THOMAS HABICHT
28.07.2004 20:08 Uhr
BERLIN. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) kennt die Tücken der Rechtschreibreform. Als Vater einer 10-jährigen Tochter weiß er, dass die Fehlerquote in Schuldiktaten trotz der „vereinfachten“ Schreibweisen unverändert blieb, ist sich jedoch darüber klar, dass die jetzige Schülergeneration unter einem abermaligen Wechsel am meisten zu leiden hätte.
Trotzdem spricht er sich für die Rücknahme der Neuregelungen aus: „Die Reform ist der Arroganz vermeintlicher Experten geschuldet.“ Wulffs Vorstoß zielt darauf, dass die neue Rechtschreibung ab August 2005 für 100 Millionen Bürger des deutschen Sprachraums verbindlich wird, wenn die derzeitige Übergangsphase nicht verlängert oder aufgehoben wird.
Das Echo ist beachtlich. Zustimmung und Kritik kommen quer über Parteigrenzen. Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) will den Kultusministern die Zuständigkeit entwinden und die Länderchefs neu entscheiden lassen. Müller, ebenfalls Vater schulpflichtiger Kinder, hält die ganze Rechtschreibreform für eine „Missgeburt. Er deutet eine Kabinettsumbildung an, falls ihm sein eigener Kultusminister, der die Neuerungen befürwortet, nicht folgt. Magdeburgs Regierungschef Wolfgang Böhmer (CDU) spricht von einem „Irrweg und unterstützt Edmund Stoiber, der das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz setzen will.
Als Hessens Landesvater Roland Koch (CDU) das hörte, sprach er sich für die Reform aus. Auch Thüringens CDU-Landesregierung fürchtet, eine abermalige Veränderung werde nur „neue Verwirrung stiften. In Erfurt beziffert man die Kosten eines Reformstopps auf 250 Millionen Euro. Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) kann nicht ignorieren, dass seine Kultusministerin Annette Schavan als prominenteste CDU-Bildungspolitikerin zu den Vorkämpfern der neuen Rechtschreibung zählt.
Eindeutig ist hingegen die Haltung der FDP. Die Vorsitzende des Bundestagsbildungsausschusses, Ulrike Flach, hält die neue Rechtschreibung für „die größte Fehlleistung“ der Kultusministerkonferenz. Und Generalsekretärin Cornelia Pieper will eine Volksabstimmung Umfragen zufolge lehnen 87 Prozent der Deutschen die Neuerungen ab.
Bei der SPD gibt es kein einheitliches Meinungsbild. Zwar halten die Regierungschefs an den neuen Schreibweisen fest Schleswig-Holsteins Heide Simonis will das „Fass nicht wieder aufmachen“, der Mainzer Kurt Beck unterstellt den CDU-Kritikern „einfältigen Populismus“. Aber die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, Christina Weiss, verlangt eine grundlegende Reform der Reform: „Die Summe der Kritik ist zu groß, als dass man darüber hinweggehen kann.“ Auch Innenminister Otto Schily (SPD) ließ Verständnis für die Initiative aus Hannover und Saarbrücken erkennen. Die Bundesregierung ist zwar nicht direkt zuständig, sie müsste aber einen Reformstopp mittragen, weil ihr die Koordination mit der Schweiz und Österreich obliegt.
In beiden Nachbarländern ist die Kritik ebenfalls ungebrochen. „Stoppt die behämmerte Rechtschreibreform“, titelte Anfang Juli die angesehene „Neue Zürcher Zeitung“ und hob den pragmatischen Umgang mit Rechtschreibung in den angelsächsischen Ländern hervor: „Orthographiereform ist dort kein Donnergrollen aus Elfenbeintürmen, Regierungspalästen und Wörterbuchverlagen.“ (rzp)
(KR)
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