Späte Ostergedanken
Der Spiegel berichtete am 26.1.1960, noch fern jeder Reformschreibung, über einen Buchfund in Äypten:Beim Bau von Bewässerungskanälen waren ägyptische Bauern kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Nähe des Dorfes Nag Hammadi, etwa hundert Kilometer nördlich der Stadt Luxor, auf eine in Kalkstein gehauene Grabhöhle gestoßen, in der sie einen Tonkrug fanden. Zu ihrer Enttäuschung enthielt der Krug keinerlei Münzen oder Schmuck, sondern nur einige Papyrus-Bände. Sie ließen sich immerhin zum Feuermachen verwenden, und dazu wurden sie denn auch benutzt...
Für die Auswertung der Funde brachte der Direktor des Koptischen Museums, der in Berlin wissenschaftlich geschulte Religionsforscher Pahor Labib ... eine siebenköpfige internationale Expertengruppe zusammen, die alsbald herausfand, daß sich unter den Dokumenten, deren Alter auf 1500 Jahre geschätzt wird, mindestens eines von fast sensationeller Bedeutung befand: das sogenannte Thomas-Evangelium.
Dieses in gut lesbarer, koptischer Schrift gehaltene Dokument beginnt mit dem Satz: »Das sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sprach, und es schrieb sie Didymos Judas Thomas auf und sagte: Wer je diese Worte versteht, der wird den Tod nicht schmecken.« Auf koptisch liest sich das so:ⲛⲁⲉⲓ ⲛⲉ ⲛ̅ϣⲁϫⲉ ⲉⲑⲏⲡ ⲉⲛⲧⲁ ⲓ̅ⲥ̅ ⲉⲧⲟⲛϩ ϫⲟⲟⲩ ⲁⲩⲱ ⲁϥⲥϩⲁⲓ̈ⲥⲟⲩ ⲛ̅ϭⲓ ⲇⲓⲇⲩⲙⲟⲥ ⲓ̈ⲟⲩⲇⲁⲥ ⲑⲱⲙⲁⲥ ⲁⲩⲱ ⲡⲉϫⲁϥ
ϫⲉ ⲡⲉ ⲧⲁϩⲉ ⲉⲑⲉⲣⲙⲏⲛⲉⲓⲁ ⲛ̅ⲛⲉⲉⲓϣⲁϫⲉ ϥⲛⲁ ϫⲓ ϯⲡⲉ ⲁⲛ ⲙ̅ⲡⲙⲟⲩ Die Schrift ist griechisch mit hieroglyphischen Sonderzeichen für š=ϣ, dš=ϫ, f=ϥ, ĥ=ϩ, ti=ϯ: hellenistische Aussprache für ⲟⲩ=u, ⲉⲓ=i. – ⲓ̅ⲥ̅ ist das Kürzel für Jesus, gefolgt von ⲉⲧⲟⲛϩ, das die bekannte Wurzel ⲟⲛϩ (anch) für „Leben“ enthält. (Lettern ϥ und ϩ zu groß)
Es ist gut zu wissen, daß alle 114 Sprüche Jesu, die zum Teil mit den Evangelien übereinstimmen, ohne umrahmende Handlung zitiert werden. Auch von den Heilserwartungen durch die Geburt oder den Tod Jesu findet sich keine Spur. Er wird erst als „Sohn“ Gottes durch die Taufe adoptiert, wie es auch anderen Getauften möglich ist und wie es in Markus 1:11 nahegelegt wird: καὶ φωνὴ ἐγένετο ἐκ τῶν οὐρανῶν· σὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός, ἐν σοὶ εὐδόκησα.
(Luther: Vnd da geschach eine stimme vom Himel / DU BIST MEIN LIEBER SON / AN DEM ICH WOLGEFALLEN HABE.) Bekanntlich hatte sich Paulus, der Jesus nie begegnet ist, in Jerusalem mit Petrus und Jakobus, Jesu Bruder, zerstritten und durfte nur ferne unter den Heiden gegen eine Lizenzgebühr (für die „Armen“ in Jerusalem) seine Version der „Frohen Botschaft“ missionieren. Nach der Zerstörung Jerusalems gab es eine judenchristliche Gemeinde im Ostjordanland, die Ebionim (die Armen), für die der Kreuzestod Jesu kein gottgewolltes Heilswerk bedeutete und die Paulus als Verräter ansahen. Es ist gut denkbar, daß Jesu Sprüche von dort nach Süden getragen wurden und unter den gnostisch veranlagten Ägyptern dankbare Aufnahme fanden.
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