Kommerzialisierung allenthalben
Daß jemand die neue Rechtschreibung einerseits als Verwirrungsfaktor und nervigen Zeitraub hinstellt, sie aber andererseits komischerweise selbst anwendet und somit propagiert, hat natürlich den Grund, daß dieser jemand vorhat, als Korrektor möglichst viel Kundschaft zu gewinnen. Von der künstlich geschaffenen Verunsicherung profitieren nicht nur die Wörterbuchverlage. Man muß den potentiellen Kunden klarmachen, daß es neuerdings verdammt schwierig geworden ist, orthographisch einwandfreie Texte zu schreiben, zumal wenn sie auch noch in der neuen Rechtschreibung gesetzt sein sollen eigentlich schon ein Widerspruch, da die neue Rechtschreibung selbst nicht orthographisch einwandfrei und kaum noch eindeutig zu greifen ist. Ein paradoxisch gordischer Knoten, angesichts dessen dem Laien nur die Resignation bleibt; da muß ihm einfach nach einem günstigen Korrekturangebot dürsten! Jedenfalls, sofern er davon ausgeht, daß andere seine Fehler bemerken könnten; aber offenbar ist die Angst davor, sich mit Rechtschreibfehlern zu blamieren, mit der Reform nicht gerade gesunken, nun kommt sogar noch die Angst vor der Blamage hinzu, anhand der Schreibweisen als veraltet (schrecklich!) zu gelten, und das im neuen Millennium, also wirklich. Kein Wunder, wo man doch heute auf Schritt und Tritt eingeredet bekommt, daß nichts wichtiger ist, als zeitgemäß" zu sein, fit für die Zukunft, denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, ene mene mu, raus bist du, ewiggestrig und senil, unflexibel und debil, Graus o Graus, nein, nur das nicht! Ist ja schon gut, ich füge mich, und sei der Unfug noch so groß, so trag ich doch das bitt're Los, das Schicksal stehet felsenfest, o je, alea iacta est. Welch ein Jammertal, nein, ganz falsch welch brausend erregendes Gefühl des Fortschritts! Man muß es immer positiv sehen, gell?
Indes, Herr Busch, warum bieten Sie Ihren Kunden nicht an, Texte in der höherwertigen und sprachlich besser verankerten alten Rechtschreibung zu korrigieren? Sie müssen doch wissen, daß die Neuerungen der Reform fast ausnahmslos unbrauchbar sind. Demnach könnten Sie solch ein Angebot sicher überzeugend verkaufen. Die stabilen demoskopischen Daten in der Sache sind Ihnen bestimmt bekannt. Als Beraterperson sollten Sie diese Situation Ihren Kunden auch deutlich machen, das heißt, Texte in der herkömmlichen Rechtschreibungen werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von den Lesern als angenehmer empfunden. Von der reformbedingten Verwirrung profitieren Sie so oder so. Oder wollen Sie lieber, indem Sie die Reformschreibung trotz ihrer eingestandenen Störeffekte als irgendwie unvermeidliches Ereignis erscheinen lassen, gegen das jeder Widerstand zwecklos ist, den Reformkurs am Leben erhalten, womöglich in der Hoffnung auf weitere Reformen, die dem Laien das Schreiben letztlich immer schwerer machen? Das wäre natürlich geradezu so eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Ihre Zunft, doch die Ironie der Entwicklung könnte nicht größer sein, wenn man bedenkt, daß die Reformer aus einer ideologischen Ecke stammen, in der eines der wichtigsten Ziele die Abschaffung von bildungsprivilegierten Eliten war.
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