Austriazismen/www.oewb.at
Die Wortklauber
Herr Fussy, Sie sind für die Endredaktion des Österreichischen Wörterbuchs mitverantwortlich. Wie hat man sich Ihre Arbeitsweise und die Ihrer Mitarbeiter vorzustellen? Und wie viele sind es?
FUSSY: Es sind insgesamt acht Sachbearbeiter, die alle habilitiert sind und die es als ihre Aufgabe sehen, überall nach neuen Ausdrücken zu suchen. Ob dies nun in den Medien ist, in der Alltagssprache oder in dem, was wir als Fachwortschatz bezeichnen. Damit meinen wir die Amts- und die Wirtschaftssprache.
Wenn Sie nun einen neuen Ausdruck haben, was geschieht damit?
FUSSY: Er wird in die nächste Ausgabe aufgenommen und damit dokumentiert. In Fällen unklarer Schreibung geben wir eine Norm vor.
Was ist die eigentliche Aufgabe des Österreichischen Wörterbuchs?
FUSSY: Zunächst einmal die Erfassung des Grundwortschatzes. Dazu kommt der lokale, regionale und staatliche Wortschatz, dann die Modewörter und schließlich all jene, die in Bezug auf Schreibweise oder Aussprache problematisch sind.
Wie ist das Österreichische in Bezug auf das Deutsche zu sehen?
FUSSY: Es ist eine eigenständige und eigenberechtigte Varietät, die kleiner, aber keineswegs minderwertig gegenüber der Hochsprache ist. Das breite Varietätendenken, wie dies im Englischen der Fall ist, hat sich im Deutschen noch nicht durchgesetzt. Varietäten befruchten einander auch. Das klassische Beispiel ist, dass im norddeutschen Raum der dort kurz gesprochene Kaffee dem auf der letzten Silbe lang gesprochenen Kaffee weichen muss.
Ist das österreichische Idiom bedroht?
FUSSY: Österreichische Germanisten halten es für bedroht, wenngleich es auch immer wieder neue Ausdrücke gibt. Etwa die Blaulichtsteuer.
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Klarer Sieg für die Tomate
Seit 50 Jahren lässt sich die Identität des österreichischen Deutsch überprüfen: im Österreichischen Wörterbuch.
Von Wolfgang Sotill
Wir diskutieren täglich, ob es einen Kulturkampf gibt. Natürlich gibt es ihn. Und wir führen ihn täglich: am Würstelstand und in der Schule, am Biertisch und in Zeitungsspalten und auch bei Betriebsversammlungen.
Alltäglich tobt diese Schlacht zwischen deutschem Deutsch und dem österreichischen Idiom hin und her.
Weil wir Österreicher, was das Führen von Schlachten anlangt, immer schon eine unglückliche Nation waren, verlieren wir häufig gegen unsere Nachbarn im Norden. Und somit ist klar: Die bundesdeutsche Tomate hat den so malerischen Paradeiser besiegt, die Kartoffel den Erdapfel und statt pfiat di und servus verabschiedet man sich per tschüss. (Manchmal ist dies zum vertschüssen). Nur die Eierschwammerln sind noch keine Pfifferlinge. Wenn es einmal so weit kommen sollte, dürfte man konsequenterweise als Österreicher wohl nur noch Steinpilze bestellen.
Was nun wirklich gutes Österreichisch ist, belegt das Österreichische Wörterbuch (ÖWB). 50 Jahre ist diese Institution alt, die wenige Jahre nach dem Krieg wohl auch den Zweck hatte, die 1000 Jahre lang gepflegte kulturelle Anbindung an Deutschland zu beenden. Und so wurde dem Pallawatsch und dem Tschapperl die Ehre einer offiziellen lexikalischen Anerkennung zuteil. Alles wurde getan, um eben Österreichs lange verlorene Identität wieder zu stärken.
1951 umfasste das ÖWB, das erst in grauem, dann in grünem, rotem und blauem Einband aufgelegt wurde, bloß 20.000 Stichwörter auf 276 Seiten. In der aktuell vorliegenden 39. Auflage sind es rund 77.000 auf 984 Seiten. Etwa 4,5 Millionen Mal wurde das ÖWB verkauft und somit führt es die nationale Bestsellerliste eindeutig an.
Das umfangreiche Anwachsen gegenüber der 38. Auflage kamen 17.000 Begriffe hinzu ist vor allem auf die neuen Austriazismen zurückzuführen. Zu ihnen gehören die Abfertigungsrücklage ebenso wie der Eckerlkäse, der Blitzgneißer, der Heckenklescher und der Fleischtiger. Zudem hat die Redaktion verstärkt den konföderativen Gedanken gepflegt und somit die Wien-Lastigkeit früherer Ausgaben relativiert. In der jüngsten Ausgabe finden sich deshalb umgangssprachliche Ausdrücke aus Tirol und Vorarlberg. Das Birebrot (Birnenbrot), das Flädle (Frittaten) oder der Holder (Holunder).
Manche Wörter hingegen fielen aus dem Wörterbuch. Etwa pempern, ein derb umgangssprachlicher Ausdruck für koitieren.
Ebenfalls neu im ÖWB sind auch deutsche Neuschöpfungen wie der Gutmensch, das Nulldefizit oder die Sammelklage sowie die aus dem Englischen übernommenen Trendwörter SMS, Spindoktor, Briefing, Revival, Organizer.
Viele Anglizismen haben in unser Deutsch Eingang gefunden. Und nicht wenige ärgern sich darüber. Wer aber weiß, dass die Engländer auch angstridden, angstgeplagt, sind, dass sie die autobahn kennen und dass sie mit spin-meistern auch ganz zeitgeisty sind. Und dass sie das glockenspiel erklingen lassen, ihnen die dirndln mit rucksack gefallen und dass sie was bei ihrem Geschmack kein Wunder ist gerne kohlrabi essen.
Nachdem es Aufgabe des ÖWB-Redaktionsteams ist, den Leuten aufs Maul zu schauen, sieht dieses seine Aufgabe in der Sprachbeobachtung und nicht in der Sprachregulation. Deswegen werden auch umgangssprachliche und Mundart-Ausdrücke aufgenommen, die in einer Lautung auftreten, für die es in der Schriftsprache keine orthografische Umsetzung gibt. Und so ist es ein ständiges Tauziehen, ob man jemanden, der hässlich ist, schiach oder schiech sein lässt.
Wie immer auch: Das Österreichische lebt. Gegen die sprachliche Anbiederung, wie sie etwa im Tourismus passiert, wenn auf Speisekarten Klöße statt Knödel stehen und die Marille sich als Aprikose präsentiert, sowie gegen die unbedarfte Sprachpflege in den elektronischen Medien, wo es immer öfter zwanzich Grad hat und die Eins gedrückt werden muss, hilft nur eines: ein gesundes österreichisches Selbstbewusstsein, das sich auch in der Sprache widerspiegelt, denn: Österreich ist keine Missgeburt.
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