Icklers darken vibes
Das Zitat, auf das sich der ZEIT-Journalist beruft, stammt ursprünglich aus der »Weimarer Rede« Theodor Icklers und ist tatsächlich geeignet, seinen Autor als sarkastisch-freudigen Voyeur der Zerstörung unserer deutschen Sprache zu diskriminieren (im ursprünglichen Wortsinn, also: seine »eigentliche Substanz« herauszustellen). Theodor Ickler ist in solchen Aussagen immer wieder zweideutig. Man muß seine Äußerungen schon längere Zeit verfolgt, aus diesen auch seine Geisteshaltung herausgelesen haben, um nicht auch selbst manchmal zu dem Verdacht zu kommen, ob vielleicht nicht doch in den finstersten Abgründen dieser Linguistenseele ganz übles Zeug brodelt.
Wenn er die sicherlich nicht wortwörtlich zu nehmende Auskunft, die Umgangssprache Achtjähriger sei auf die Begriffe cool und schwul zu reduzieren, als »Zeichen von Gesundheit« bezeichnet, weil »so viele junge Menschen sich aus natürlicher Schamhaftigkeit weigern, sprachlich über ihre Verhältnisse zu leben«, so muß man ihn schon ein bißchen kennen, um zu wissen, daß er das nicht wirklich meint. Ickler setzt leichtsinnigerweise voraus, daß ja sowieso jedermann weiß, daß er so schlicht und absurd zu denken nicht imstande ist, und daß er solche Aussagen nur macht, um einen Denkschwenk in die dahintrottenden Argumentationskolonnen hineinzupusten, allenfalls ergötzt er sich möglichweise kurzfristig an der pittoresken Schieflage seiner Argumentation und hält sie insofern zumindest für gelungen.
Es ist also überflüssig, sich darüber zu empören, daß ein prominenter Linguistikprofessor den kommenden Schülergenerationen die Segnungen der in langen Jahren mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen von verantwortungsbewußten Pädagogen erarbeiteten Rechtschreibreform vorenthalten, ihnen also den kinderleichten Zugang zu Lesen und Schreiben verwehren und damit praktisch ihre Zukunft verderben will, ja ein neues, diesmal apokalyptisches PISA heraufzubeschwören sich anschickt. Oder daß dieser sogenannte Sprachwissenschaftler auch noch so entmenscht ist, seine eigene Tochter, als Feldversuch im Privatbereich sozusagen, daraufhin zu drillen, mit nicht mehr als zwei Wörtern, und zwar ausgerechnet englischen und solchen aus der Gossensprache, auszukommen. Das sei in Wahrheit schamhaft, tugendhaft, meint er. Das klingt quietistisch, pietistisch, sadistisch, welt- und genußfeindlich. Weg mit allem Tand, two little words ...!
Und da sagt dieser Sprachsatanas auch noch: »Aber ich muß gestehen, daß mir die Beobachtung der sogenannten Verfallserscheinungen viel Freude bereitet, ebenso wie die Kritik daran.« Skandal! Ein Glück, daß diesen kruzialen Satz kein Lehrer oder gar Berufsschullehrer wirklich zur Kenntnis genommen hat. Ickler stünde längst an sämtlichen Forumsprangern. Den Sprachwahrer-Orden mit Eichenlaub und Schwertern, den er sich schon so lange gewünscht und auf den er sich riesig gefreut hatte, würde man ihm noch vor der Verleihung mit reichsdeutschen Grüßen vom Revers reißen. Das ist ja übelster Alt-68er-Anarchismus plus bakuninscher, vorbolschewistischer Nihilismus, exponenziell potenziert! Nietzsche wirft Schatten: Gott ist todt!
Worauf ich hinauswill: Nietzsche war ein ungewöhnlich, ja leidenschaftlich frommer Mann, ihm war es mit Gott ernster als vielen professionellen Gottesmännern. Das haben bis heute nur sehr wenige Menschen begriffen. Er hat geglaubt, seinen Lesern ebensoviel zumuten zu können, wie er sich selbst zumutete (oder sein unruhiger Geist ihm zugemutet hat). Und das war natürlich für fast alle zuviel, er hat sich massiver Kritik von Christen, Humanisten (Aufklärern etwa, die ihn als einen Wegbereiter des nationalsozialistischen Herrenmenschentums völlig fehlinterpretierten) ausgesetzt, diese Kritik war verfehlt, aber sie war leichter zu begreifen als die Gedanken Nietzsches. So kann es hier natürlich auch passieren, und es passiert auch. Die wissenschaftlichen Antagonisten Icklers, die sich ihm in jeglicher Hinsicht unterlegen fühlen müssen, werden wie nach einem Strohhalm nach jeglicher Aussage greifen, mit der sie meinen gegen seine Theorien argumentieren, deren »Fragwürdigkeit«, »Unseriosität« ja »sittliche Verwerflichkeit« nachweisen zu können.
Da ist Ickler bei diesem ZEIT-Genossen ja noch einigermaßen glimpflich davongekommen, aber ich rate, solche Gedankenflüge für die späteren Semester zurückzustellen, wenn die Grundlagen erst einmal einigermaßen begriffen worden sind.
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Walter Lachenmann
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