Zum Eierfest
Die ungezügelte Großschreibung, das krumme Ei unserer Schreibreformer, gab es bisweilen schon vor 150 Jahren, wie an einem Gedicht Heinrich Seidels ersichtlich. Es erschien anscheinend in ß-freier Antiqua:
Der Eiersegen.
Im Sommer war's, vor langer Zeit,
Da trat mit weissbestaubtem Kleid
Ein Wanderbursche müd genug
Einst zu Semlin in einen Krug.
Doch Niemand war in dieser Schenke,
Zu reichen Speisen und Getränke –
...
Der Wanderer auf die Bank sich streckte,
Und seine müden Glieder reckte,
Und dacht': »Die Ruhe soll mir frommen!
Am Ende wird schon Jemand kommen!«
Und als er nun so um sich sah,
Fand er ein Häufchen Krumen da,
Das man vom Tisch zusammenfegte,
Und, da der Hunger sehr sich regte,
Begann er eifrig unterdessen
Von diesen Krümlein Brods zu essen.
Dem guten Burschen war nicht kund,
Dass sich auf Hexerei verstundt
Des Krügers Frau. Sie wollte eben
Die Krümchen Ihren Hühnern geben,
Und da Sie abgerufen ward,
Sprach sie darob nach Hexenart,
Bevor sie ging, den Eiersegen,
...
Er legte einunddreissig Eier,
Und darnach fühlte er sich freier.
Dann ward ihm so mirakelig,
So kikelig, so kakelig.
Und ehe er sich recht besann,
Da fängt er auch das Kakeln an!
Er konnte diesen Trieb nicht zügeln,
Schlug mit dem Armen wie mit Flügeln,
Ging um die Eier in die Runde
Und scharrte kräftig auf dem Grunde
Und kakelte so furchtbarlich,
Das Alles rings entsatzte sich:
...
Nach langer Zeit, in späten Jahren,
Hab' ich's aus seinem Mund erfahren,
Da hat er oftmals mir erzählt,
Wie ihn das Hühnerbrod gequält,
Und wie das Ding sich zugetragen.
Zum Schlusse pflegte er zu sagen:
»Das Legen, das ist leicht gethan!
Das Kakeln aber, das greift an!«
Heinrich Seidel (1842 1906 )
gutenberg.spiegel.de
Bei einem Jugendtreffen meiner Schulzeit rezitierte ein Lehrer das vollständige Gedicht zur allgemeinen Erheiterung mit allen Interpunktionszeichen (, ssit, . pt, ; pt-ssit, : pt-pt, ! sssit-pt, ? sssit-pt). Viele davon sind im Zuge der „Reform“ entfallen. Das Kakeln der Politiker über diese Leistung ist inzwischen verstummt und wird nun anderweitig fortgeführt, etwa bei Gender und Gleichstellung. Seltsamerweise nimmt aber niemand Anstoß daran, daß eine eierlegende Künstlerin schamlos Vorteile aus ihrer Anatomie zieht:
BASEL Die Eierlege-Aktion der Künstlerin Milo Moiré schockierte die Welt. Nun zeigt sie das Video der Performance zum ersten Mal unzensiert. Wer es sehen will, muss fünf Euro zahlen
Die Schweizer Performance-Künstlerin Milo Moiré hat mit ihren Aktionen schon oft für rote Köpfe gesorgt. Zuletzt vor einem Monat an einer Kunstmesse in Köln. Hüllenlos steht die 31-Jährige auf zwei Böcken, spreizt die Beine und lässt mit Farbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina auf eine Leinwand plumpsen.
blick.ch 16.5.2014
Auf diese Weise den Glauben an das Eierwunder und an den Osterhasen durch Experimentalkunst zu stärken ist aber sicher auch eine förderungswürdige Gemeinwohlaufgabe.
|