Re: Herrn Wagners liebgewonnene Schreibweisen
(Sehr geehrter Herr Schubert, wegen des Themenbezuges ziehe ich es vor, meine Antwort hier einzustellen. Außerdem geht sie dann zum einen nicht im Kuddelmuddel des Gästebuches unter, zum anderen wollte ich die an anderer Stelle offengebliebene Diskussion sowieso hier weiterführen.)
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert (im Strang Von den Reizen der neuen Rechtschreibung)
Innerlich und äußerlich. Bei der ersten Silbe dieser Wörter ist ein Quantitätsunterschied hörbar, innen kurz, außen lang. Der Unterschied wird ja auch in der Schreibung zum Ausdruck gebracht.
Die Beispielwörter waren und sind nicht innen und außen, sondern innerlich und äußerlich. Was habe Sie zu diesen zu sagen? Ein anderes Beispiel sind die (kurz angebundenen) Rufe aua! und Anna!; m. E. gibt es auch dabei keinen Quantitätsunterschied.
P. Schubert:
Untergeschoss. Schwaben, Baiern und Österreicher sprechen in dem Wort Geschoss ein langes o, egal ob ein Stockwerk oder ein Projektil gemeint ist. Der neue Duden lässt daher die Schreibweise sowohl mit ss als auch mit ß zu. Ich frage mich, wie der DUDEN zu seinem Eintrag kommt, denn der ist doppelt fehlerhaft. In der 22. Auflage (2000) steht auf S. 419: »Geschoss [alte Schreibung Geschoß], das; Geschosses, Geschosse, südd., österr. auch Geschoß, das; -es, -e« (es fehlt hier der Punkt bzw. Strich unter dem o, der die kurze bzw. lange betonte Silbe anzeigt). Dagegen steht im amtlichen Wörterverzeichnis: »Geschoss*, Geschoß (österr., auch schweiz.)«. Schaut man sich den Gebrauch des Zusatzes (österr.) im amtlichen Wörterverzeichnis an, so stellt man fest, daß damit Schreibweisen gekennzeichnet werden, die ausschließlich in Österreich gebräuchlich sind es sei denn, daß noch ein auch folgt (s. u.).
Somit ist zum einen nach der Reform die Verwendung von Geschoß in Deutschland als Fehler zu werten; darauf hat ja Frau Philburn bereits hingewiesen. Zum anderen hat das auch im Duden nichts zu suchen, denn laut dem amtlichen Wörterverzeichnis ist in Österreich nur die Schreibung mit "ß" zulässig. Wäre in Österreich auch Geschoss zulässig, müßte der Eintrag im amtlichen Wörterverzeichnis »Geschoss*, (österr. auch) Geschoß« lauten (ohne Fettdruck!); vgl. den Eintrag »Gulasch, (österr. auch) Gulyás«.
P. Schubert:
Insofern ist die neue Rechtschreibung auch ganz praktisch, man kann ausdrücken, in welcher Gegend die Leute Spaß" und in welcher Gegend sie Spass sagen. Raten Sie mal, woran man vor der Rechtschreibreform gedacht hätte, wenn man in einem (literarischen) Text, dessen Handlung in der fraglichen Gegend spielt, die Schreibung Spass gelesen hätte (oder in irgend einem Text, bei dem man davon ausgehen kann, daß es sich nicht um einen Druckfehler, sondern um Absicht handelt).
P. Schubert:
Im Übrigen: Wer nur Dialekt und nicht die Hochsprache spricht, macht beim Schreiben einige Fehler mehr; das ist unvermeidbar und gilt nicht nur für Deutsche. Natürlich hat es jemand schwerer, richtig zu schreiben, der die Hochsprache nicht sicher beherrscht. Andererseits ist aber eine erhöhte Fehlerhäufigkeit nicht in allen Fällen unvermeidbar! Gerade die Adelungsche/Gottschedsche s-Schreibung ist ein Beispiel für eine Regel, die dazu führt, daß man beim Schreiben weniger Fehler macht, selbst wenn man Dialekt spricht eben wegen der Art, in der hierbei die Schreibung von der Aussprache abhängt: Nicht die unsichere Größe Vokalquantität ist der Maßstab, sondern die wesentlich sicherere Zerlegung nach Sprechsilben.
P. Schubert:
Faß eine Silbe ein Buchstabe; Fässer zwei Silben zwei Buchstaben. Wo ist das Problem? Ein Problem ist da nicht, aber eine unnötige Komplikation. (An dieser Stelle muß ich zunächst ein Wort an Frau Menges richten: Sehen Sie? Das ist eine echte inhaltliche Diskussion, in der sauber argumentiert wird, und dann macht es auch Spaß! Sie aber haben noch kein einziges meiner Argumente wie auch immer Sie dieses Wort definieren inhaltlich erwidert.)
Handelt es sich wirklich um eine Komplikation? Es ist eine Abweichung vom sonst üblichen Schema, gewiß, jedoch ist sie nicht kompliziert weil es nur genau diese eine Regel gibt und keine weiteren Unterscheidungen oder Ausnahmen von Ausnahmen etc. Darüber, ob diese Abweichung vom sonst üblichen Schema unnötig ist oder nicht, wird man lange streiten können. Es gibt mit Sicherheit keinen Grund, der diese Schreibung erzwingt, weil anderenfalls etwas Falsches herauskäme (wie etwa in den Fällen, die Sie mit Herrn Schäbler verhandelt haben, in denen kein einzelnens s stehen darf). Andererseits steht der Möglichkeit, diese Schreibweise anzuwenden, nichts im Wege, und da sie einige Vorteile gegenüber dem Festhalten an dem üblichen Schema mit sich bringt, die die Nachteile der Abweichung nicht nur aufwiegen, sondern eine Verbesserung gegenüber dem üblichen Schema mit sich bringen, spricht in meinen Augen alles für die Abweichung.
P. Schubert:
Es gibt ja eine Unzahl von einsilbigen Wörtern, deren Auslaut nach kurzem Vokal durch Doppelkonsonanten geschrieben wird: Fall, Fälle; Kamm, Kämme; Bann, bannen; Stopp, stoppen; Spott, spotten. Da gilt überall: Eine Silbe, zwei Buchstaben. Nur beim s soll es anders sein? Es ist völlig richtig, daß es von Beispielen nur so wimmelt, in denen eine kurze betonte Silbe auf zwei Konsonantenbuchstaben endet. Ich habe aber die Parallele der Buchstaben- und Silbenzahl nur als Merkregel für den Fall "'ß' vs. 'ss'" aufgestellt mit der Berechtigung, daß die Vorteile, die die Berücksichtigung dieser Zusatzregel mit sich bringen, den Aufwand für ihre Befolgung rechtfertigen.
P. Schubert:
Fremdwörter mit ß (Progreß). Wo ist das Problem? Ein Problem ist auch hier nicht, aber ich hatte erwartet, dass meine überlange Aufzählung solcher Fremdwörter eine gewisse Komik dieser Schreibweise erkennen lässt. Diese Wirkung ist anscheinend jedenfalls bei Herrn Wagner nicht eingetreten. Ja, das mag sein, daß mir die Komik dieser Schreibweisen entgangen ist. Jedoch, im Vertrauen: Immerhin hat die Reform bei mir zu der komischen Situation geführt, daß ich mich eines Tages doch vergewissert habe, daß diese Wörter vor der Reform ganz normal nach der allgemein üblichen ss/ß-Regel mit "ß" geschrieben wurden... Aber wenn schon, denn schon, finde ich: Handelt es sich um aus dem Englischen stammende Hauptwörter, sollte man sie nicht nur mit ss am Ende schreiben, sondern auch klein, nicht wahr?
P. Schubert:
Interessant ist Herrn Wagner Begründung: Das ß tritt hier als Doppel-s-Ligatur auf. Was er Doppel-s-Ligatur nennt, nennt Prof. Ickler eine typografische meinetwegen auch typographische Variante des Doppel-s. Ich habe es an anderer Stelle das unechte Eszett genannt. Alle drei Bezeichnungen geben eines zum Ausdruck: Dieses ß sieht zwar genau so aus wie ein ß, in Wirklichkeit ist es aber gar kein ß, sondern ein Doppel-s. Also bitte, kann man dann nicht auch ein Doppel-s schreiben? Ist es nicht reichlich egal, wie man dieses Zeichen benennt? Wieso bestehen Sie darauf, daß es so etwas wie ein unechtes Eszett gibt in welchem Sinne sollen manche Eszetts nicht echt sein? Wir wissen doch inzwischen, daß es mehrere Ursprünge hat, die sich in den heutigen Antiqua-Texten nicht sauber trennen lassen selbst wenn in einzelnen Schriftarten der eine oder andere Ursprung deutlich erkennbar ist (so sieht z. B. das Bodoni-ß wie eine s-z-Ligatur aus, das Garamond-ß ist eine Doppel-s-Ligatur, und das Times-ß ist quasi ein Dreierles-s; das Arial- bzw. Helvetica-ß gibt es zudem in zwei Varianten, die eine ein Dreierles-s, die andere eine Doppel-s-Ligatur). Welche davon die älteste Variante ist und wie das entsprechende Zeichen damals genannt wurde, müßte noch geklärt werden.
Allein daß die Bezeichnung Eszett für das Druckzeichen in den Fällen, da es sich nicht um eine s-z-Ligatur handelt, strenggenommen nicht gerechtfertigt ist, ist offenbar kein hinreichender Grund, von falschen Eszetts zu sprechen werden solche doch auch an den Stellen benutzt, an denen in Ihren Augen richtige stehen. Umgekehrt werden alle Eszetts, wie Sie selbst an anderer Stelle betont haben, ersatzweise durch ss wiedergegeben, wenn kein "ß" zur Verfügung steht. Warum sollte dann eine Doppel-s-Ligatur ein falsches Eszett sein?
Ist es nicht geradezu ein Vorteil, daß das Zeichen "ß" heutzutage mehrere Funktionen in sich vereint? Dadurch kann das "ß" immer dort für ein scharfes s notiert werden, wo ein einfaches oder doppeltes s falsch oder typographisch nachteilig wäre (wie etwa in der Situation, die ich den das/dass-vs.-das/daß-Kontrast nenne).
Was nun speziell die Fremdwörter betrifft, so hätte ich persönlich in nullter Näherung nichts dagegen, wenn man ihre Schreibung freigäbe; ich war ja selber verunsichert (s. o.). Denke ich aber nur ein wenig weiter, so wird mir ganz schnell klar, daß das wegen der im Deutschen üblichen zusammengeschriebenen Zusammensetzungen keine gute Idee wäre. (Gibt es im Englischen eigentlich den Fall, daß in einem zusammengeschriebenen Wort drei s aufeinendertreffen? Mir scheint, daß dieses Problem wegen der Getrenntschreibung von Zusammensetzungen [bzw. der Verwendung des Bindestrichs] nicht auftritt.)
Wegen der besseren Lesbarkeit (via Wortbilderkennung, welche das "ß" quasi hervorragend begünstigt) werden ja auch andere Wörter am Ende nicht mit ss, sondern mit "ß" geschrieben. Und die Umständlichkeit, für das einzelne Wort die Schreibung mit ss freizugeben, bei Zusammensetzungen aber "ß" zu verlangen, kann man sich sparen und konsequent einheitlich "ß" verwenden. (Siehe dazu auch Genussschein vs. Genußschein unter ss vs. ß.)
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Jan-Martin Wagner
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