Sind die Gelegenheitswortbildungen wirklich ein Problem?
Die von Gestur beklagten „Gelegenheitswortbildungen“ sind ja gerade das Schöne – und das Besondere – an der Deutschen Sprache!
Solche Freiheit zur spontanen Erstellung von neuen Begriffen bietet Dir kaum eine andere. Dank der einfachen Regeln zum Substantivieren von Verben, zur Ableitung von Verben aus praktisch jedem Wortstamm, aus dem noch der Sinnursprung herauszulesen ist, zum Zusammensetzen und Umstellen einschließlich der vielen Differenzierungs- oder Veränderungsmöglichkeiten mit Hilfe von Präpositionen u.a. vorgesetzten Elementen, kannst Du Dir nach Maß die eigenen Wörter zurechtschneidern. Und – das ist das Einmalige – Dein Gesprächspartner versteht sogar was Du meinst, obwohl er diese Wortbildungen noch nie gehört hat, geschweige denn hätte im Duden finden können, nur weil ihm die ursprünglichen Wortbestandteile schon geläufig sind und er die „Bastelanleitung“ kennt.
Diese Flexibilität unserer Sprache wird aber gerade heutzutage oft mißbraucht durch die Verwendung zusammen mit Anglizismen: stylen (das Aussehen von etwas gestalten, drappieren), timen, gut getimt (zeitlich optimal planen), Familylieder (Volkslieder), Twen-Temperaturen (gerade heute ein Meteorologe im Fernsehen für Werte > 10°), Payback-Karte (zum Sammeln von Rabattpunkten) und Gameschau sind nur wenige Beispiele dafür – und ich habe auch schon viel schlimmere gehört, die ich allerdings – man möchte sagen: zum Glück – schon wieder vergessen habe.
Aber es ist ja gerade der Reiz an den vielen Möglichkeiten zur spontanen Wortbildung in unserer Sprache, der auch z.B. die Werbemacher anregt und es ihnen erlaubt, ihre vermeintlich vornehmeren oder attraktiveren englischen Vokabeln nach deutschen Regeln mit heimischen Wörtern zu verknüpfen.
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Bernhard Schühly
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