Die Buchdruckersprache
(Walther G. Olischewski, aus: 500 Jahre Buch und Druck. Zum Jahre 1940 herausgegeben von den graphischen Betrieben R. Oldenbourg in München)
Herrn Dethlef Lindenthal, dem deutscher Sprachtradition und Sprachreinheit verpflichteten Erfinder der Spitzschrift, der Verbünde, dem Prüflesen und anderer Sprachkleinodien zugeeignet. WL.
Es handelt sich bei der Buchdruckersprache um eine der charakteristischsten Erscheinungen der deutschen Sprachgeschichte, als deren lebendiges Glied der Wortschatz der Buchdrucker sich zu einer eigenen Fach- und Gesellschaftssprache ausgebildet hat. Phantasie, Humor und die ständig unmittelbare Berührung mit Gegenständen des Geistes vieler Völker haben an dieser Ausbildung einen wesentlichen Anteil.
Zwei Gruppen des reichen Wortschatzes der Druckersprache sind zu unterscheiden. Zu der ersten gehören die mehr fachtechnischen Bezeichnungen, zu der zweiten die eigentliche Gesellschaftssprache der Buchdrucker. Es ist naheliegend, daß die gewerblichen Bezeichnungen unter dem starken Einfluß der lateinischen Gelehrtensprache entstanden sind. Die Buchdrucker waren, zumal in Universitätsstädten, wo sie oft bei den Artistenfakultäten immatrikuliert gewesen sind, fast durchgängig humanistisch gebildet. Die bedeutendsten wissenschaftlichen, theologischen und liturgischen Werke der Inkunabelzeit, die man mit dem Jahre 1500 allgemein abschließen läßt, wurden in lateinischer Sprache gedruckt. Eigentlich erst seit der Reformation, durch Luthers Schrifttum, das zur Begründung und Entwicklung unserer neuhochdeutschen Schriftsprache wesentlich beigetragen hat, ist der deutsche Sprachraum im Druckwerk der Zeit in breiter Front sichtbar geworden. Aber bis auf den heutigen Tag sind viele der gewerblichen Bezeichnungen unverändert lateinisches Wortgut oder wenigstens lateinischen Ursprungs. Man braucht sich nur an eine Reihe der gebräuchlichsten und zum größten Teil allgemein bekannten Fachwörter zu erinnern: Abbreviatur, Akzidenzen (Accidenzien), Antiqua, Autor, Brevier, Cicero, deleatur, Divisorium, Duodez, Errata, Faktor, Folio, Initiale, justieren, Interpunktion, Konkordanz, Korpus, korrigieren, Kolumne, Kustos, Ligatur, Marginalien, Mater, Matrize, Norm, Offizin, Presse, Punkt, Quart, Register, Revision, Tenakel, Tabelle, Uniciale, Vakat, Versalie u.a.
Alle Bemühungen um Verdeutschung dieser lateinischen Wörter sind erfolglos gewesen. Nur ganz wenige, wie z.B. Abbreviatur = Abkürzung, Errata = Irrtum (Druckfehler) wie schon in Fachlehrbüchern des 18. Jahrhunderts vorgeschlagen wurde , haben Eingang gefunden. Die Entwicklung und Ausbreitung der Buchdruckerkunst auch über die Universitätsstädte hinaus, die Herstellung der meisten Druckwerke in deutscher Sprache haben immer mehr eine Kenntnis der lateinischen Sprache für die Buchdrucker überflüssig gemacht und damit, wenn auch in beschränktem Maße, zur Verunstaltung der lateinischen Fachwörter beigetragen, so daß man mitunter schwerlich ihren Ursprung erkennen kann.
Auch die französische, italienische und englische Sprache sind an der Ausbildung der gewerblichen Druckersprache beteiligt gewesen. Vor allem die französische! Durch Einwanderung französischer Drucker nach Süd- und Westdeutschland sind eine ganze Reihe solcher Fachwörter zu uns gekommen. Sie sind unverändert im Gebrauch, z.B. Diamant, Nonpareille, Petit, Borgis (Bourgeois) für Schriftgrade [sowie Colonel, WL], Grotesk (Grotesque), Egyptienne für Schriftarten; ferner Letter, Vignette = Verzierung, Reglette = Zeilendurchschuß in bestimmter Länge u.a.
Die zweite Sprache, die eigentliche Gesellschaftssprache der Buchdrucker, ist dagegen ein eindrucksvolles Beispiel des selbständigen sprachschöpferischen Vermögens des Berufes, das den volkstümlichen Wortschatz der deutschen Sprache immer wieder neu bereichert hat. Diese lebendige Mitbeteiligung hat wohl kein anderes Gewerbe aufzuweisen. In der Kaufmanns- und Bergmannssprache ist sie wesentlich geringer. Die Unmenge von Redensarten und Bezeichnungen sind von einzigartiger Prägnanz des Ausdrucks und der Bildhaftigkeit. Das Mittel der Personifikation ist dabei eine auffällige Erscheinung.
[Es folgt dann eine ganze Geschichte, die mit Begriffen der Druckersprache gespickt und mühsam zu lesen ist, trotz oder wegen der häufigen Sternchen, die auf Fußnoten verweisen, in denen die Begriffe erläutert werden. Einige Beispiele: Schuster (schlechter Setzer), Schiff, Fleisch, Spieß, Hose, Fahne, Leiche, Hochzeit, Hurenkind, Schusterjunge, Jungfrau, Fisch, Zwiebelfisch usw.]
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Im Nachhinein fällt mir dazu die Überlegung ein, ob es nicht überhaupt eine irrige und dem Willen des »Sprachvolks« keineswegs entsprechende Forderung ist, ein Wort müsse präzise und eine direkte Bezeichnung des Gemeinten sein. Auch der populäre Wortschatz gefällt sich doch oft in phantasievollen Umschreibungen, zumindest in Umwegen. So gibt es etwa im Französischen auch außerhalb des Druckereiwesens für Kleinbuchstaben neben dem völlig eindeutigen »minuscules« auch die Bezeichnung »bas-de-casses«, Korrektoren kürzen ab: »bdc«. Damit bezeichnet man die Lettern, die »unten im Setzkasten« bzw. vorne in größerer Griffnähe des Setzers liegen, nämlich die Kleinbuchstaben. Die Versalien (capitales, caps) liegen ganz oben, also in größerer Entfernung, denn da muß der Setzer nicht so oft hingreifen). Das spielt zwar in der realen Technik keine Rolle mehr, aber wer diese Terminologie verwendet, weist sich aus als einer vom Fach, diese Aussage gehört manchmal mit dazu.
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Walter Lachenmann
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