Lediglich minimale Anpassungen des Codes
Der Leserbrief findet sich im Nachrichtenarchiv:
Popp, Zabel und andere schreiben der SZ
-----
Lediglich minimale Anpassungen des Codes
„Die neueste Rechtschreibung: Rückbau“ / SZ vom 20. Februar
Die heutige Rechtschreibung ist gegenüber der vor 1996 nicht viel mehr als eine leichte Veränderung des Verschriftungs-Codes für deutsche Texte; der Ausdruck „Rechtschreibreform“ ist dafür eigentlich ein bisschen zu hoch gegriffen. In seinem Angriff auf die heutige Rechtschreibung benutzt Theodor Ickler die alarmistische Metapher „Rückbau“ für einige Präzisierungen, die die Zwischenstaatliche Rechtschreibkommission zu dem Erlass von 1996 mit Wörterbuchredaktionen besprochen hat. Das, was Professor Ickler attackiert, geht aber nicht über minimale Anpassungen des neuen Codes hinaus. „Rückbau“, was man umgangssprachlich fast synonym mit „Abriss“ verwendet, suggeriert nicht vorhandene Katastrophen.
Es geht vor allem um die stillschweigende Zulassung bestimmter Sonderschreibweisen im Interesse von Fachsprachen, zum Beispiel für juristische Zusammenhänge. Was daran aufregend sein soll, müsste man mir erklären. Obwohl ich etwa im Sinne der heutigen Orthografie telefoniere und telegrafiere, schreibe ich dennoch in wissenschaftlichen phonologischen Texten Phonem und Graphem. Das war gemäß den bekannten Richtlinien nie problematisch.
In der neuen Duden-Auflage sind anscheinend einige der neuen Getrenntschreibungen mit Blick auf ihre juristische Verwendung wieder aufgegeben worden: etwa für das Kompositum schwer behindert (Schreibung von 1996), wofür seit 2000 wieder die Zusammenschreibung schwerbehindert erscheint. Das führt Ickler zu seinem Hobby: die nicht-ideale Lösung der Getrenntschreibung in der heutigen Rechtschreibung. (Die deutsche Getrenntschreibung ist in der Tat reformbedürftig; das aber ist eines der haarigsten Probleme der ganzen Verschriftungsfrage, und dieses Problem war für das Deutsche noch nie ideal gelöst.) Ickler behauptet: „Der feste Begriff schwerbehindert“ sei „durch die ... neue Getrenntschreibung beseitigt“ worden. Beseitigt? Meint er ernsthaft, die Verschriftung von Wörtern (frz. code graphique) vermöge etwas an der Zahl der Wörter einer Sprache zu ändern?
Die Trennung dieser Formen ist in Wirklichkeit durch eindeutige sprachliche Merkmale gesichert, nämlich durch die unterschiedliche Betonung des Kompositums schwérbehindert im Gegensatz zu der Wortfolge schwèr behíndert, die unterschiedliche Bedeutung und das grammatische Gespür des kompetenten Sprachbrauchers; man kann sich für ihre Verschriftung einigen, wie man will, auch wie 1996 auf die Homographie schwer behindert für beide Formen. Icklers Polemik setzt stillschweigend ein Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen Laut und Schrift, Schrift und grammatischer Struktur voraus, das grundsätzlich weder besteht noch bestehen kann.
Seine anderen Beispiele wiegen nicht schwerer. Er behauptet: „Die Wendung im Voraus (... mit Großschreibung) lässt irreführenderweise an den erbrechtlich bedeutsamen Voraus denken.“ Sie ließe eventuell einmal daran denken, wenn sie einem isoliert begegnete. Es ist aber wieder nur eine Homographie, die in klarem Kontext sofort interpretierbar wird. Dass Homographien für die Verständigung unmittelbar verderblich seien, ist eine abwegige Vorstellung; Ickler ignoriert die hohe Redundanz der natürlichen Sprachen (israelische Leser bewältigen wegen des Fehlens von Vokal zeichen in ihren Zeitungen Homographien in jeder Zeile). Die deutsche Großschreibung der Substantive, die hier die Schwierigkeit schafft, war schon immer problematisch; und das ist sie nach wie vor, weil man sich nicht entschließen konnte, sie bei der Reform über Bord zu werfen.
Solange die Beispiele nicht gefährlicher werden, vermag es weder zu beunruhigen, dass „der ganze Umfang solcher Änderungen für den juristischen Bereich nie untersucht worden“ ist, noch dass die jüngsten geringfügigen Modifikationen ohne besondere Publizität eingeführt wurden. Ickler hat einige Schwächen der heutigen Rechtschreibung aufgespießt, die er seit Jahren mit großem Getöse ausbreitet, hat aber immer verschwiegen, dass gerade in den inkriminierten Gebieten die deutsche Rechtschreibung noch nie ideale Lösungen zu bieten hatte. Er empfiehlt seit 1996 die Rückkehr zu der alten Schreibung, als ob diese die Rettung wäre. Empfehlenswert wäre ein solcher Rückschritt heute ohnehin nicht mehr. Vor dem nächsten polemischen Artikel erhoffe ich mir von Professor Ickler vielmehr einmal wirkliche Reformvorschläge, zum Beispiel zu der Frage, wie die Getrenntschreibung oder die Großschreibung fürs Deutsche denn nun optimal zu regeln wäre.
Dr. Margret Popp, Würzburg
|