Duden-Niedergang - die unendliche Geschichte
Duden: Das Bedeutungswörterbuch. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u. a. 2002. 1103 S.
Die Folgen der Rechtschreibreform zeigen sich besonders an folgendem Absatz aus den Benutzungshinweisen:
Aus zwei Wörtern bestehende Einträge (entstanden aus vor der Rechtschreibreform bestehenden zusammengesetzten Wörtern, die jetzt getrennt geschrieben werden) erscheinen an der alphabetischen Stelle der alten Einwortschreibung. (S. 14)
Da zusammengesetzte Wörter auch nach der Rechtschreibreform ausnahmslos zusammengeschrieben werden, läuft diese Angabe darauf hinaus, daß die Reform gewisse zusammengesetzte Wörter aus dem deutschen Wortschatz beseitigt hat. Das ist ja oft bestritten worden, aber hier wird es ausdrücklich zu gegeben. Die Redaktion scheint allerdings damit nicht recht glücklich zu sein, sondern verschafft den getilgten Wörtern ein geisterhaftes Nachleben, indem sie die illegitimen Nachkommen an den Platz setzt, der den Gemeuchelten von Rechts wegen zukommt.
In diesem Band ist selbständig noch durch selbstständig ersetzt, während Bertelsmann schon wieder zu selbständig zurückgekehrt ist, aber auch die Duden-Reihe Thema Deutsch (Bd. 3, Herbst 2002).
Während der Rechtschreibduden von 2000 noch vorsieht weitgehend/weit gehend, kennt das Bedeutungswörterbuch nur folgende Schreibweisen:
weitgehend weiter gehend weitestgehend
Dies ist widersinnig, weil ja gerade der Verbzusatz weiter in der geschlossenen Liste der zusammenzuschreibenden Partikeln (§ 34, 1) angeführt ist. Aber auch davon abgesehen, scheint die neue Reihe nicht gerade der Erleichterung des richtigen Schreibens zu dienen.
Substantive wie Acht, Eigen werden nicht als eigene Wörter angeführt, sondern es folgt gleich die Einschränkung, daß sie nur in den Verbindungen Acht geben, zu Eigen machen vorkommen.
Beispielsätze wie er ist allein stehend sind laut herkömmlicher Dudengrammatik falsch, jetzt aber vorgeschrieben. Der grammatische Sachverstand dankt ab, wenn die Kultusminister es so wollen. Über tut mir Leid braucht kein Wort mehr verloren zu werden.
Die Silbentrennung ist konservativ, man findet also nicht mehr Mikros-kop und ähnlichen Unfug; andererseits aber adä-quat.
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Die Bedeutungsangaben sind von durchschnittlicher Qualität. Das Wörterbuch entgeht nicht immer den Fallstricken der konstruierten Mehrdeutigkeit. Zum Beispiel werden bei erwähnen zwei verschiedene, sogar numerierte Bedeutungen genannt: 1. beiläufig nennen, kurz von etwas sprechen ... 2. (urkundlich) nennen, anführen: die Stadt wurde um 1000 erstmals erwähnt. Das ist m. E. nicht richtig. Im Duden-Universalwörterbuch heißt es ohne die Numerierung und daher unverfänglicher: "[beiläufig] nennen, kurz von etw. sprechen: etwas nur beiläufig e.; er hat dich namentlich erwähnt; ich vergaß zu e., dass sie ihn verlassen hat; der Ort wird im 9. Jh. zuerst erwähnt (urkundlich genannt); die eben, schon, oben erwähnten Personen; wie oben erwähnt, war er zu dieser Zeit bereits abgereist.
Das dtv-Wahrig-Universalwörterbuch hat: 1. beiläufig ansprechen, 2. urkundlich nennen: die Stadt wird erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt.
Die Urkundlichkeit ist aber unwesentlich; wenn ein Ort im Mittelalter erwähnt wird, dann ist der betreffende Text automatisch ein Denkmal oder eben eine Urkunde im philologischen Sinn, nicht im verwaltungstechnischen oder juristischen. Es kann also durchaus auch eine Dichtung sein.
Ähnlich könnte man sagen, daß die Beiläufigkeit sich nur nebenbei ergibt, weil man von einem Text, der einen bestimmten Gegenstand ausdrücklich behandelt, nicht ohne weiteres sagen würde, daß er ihn erwähne (= nenne). Nur in bezug auf den Hauptgegenstand erscheinen alle anderen Gegenstände als lediglich erwähnt. Aber nennen hätte denselben Effekt, ohne daß Beiläufigkeit zu den konstitutiven Inhaltsmomenten von nennen gerechnet würde. (Kenner werden hier vielleicht die Gricesche Maxime der Quantität heranziehen ...)
Die Ausspracheangaben müßten überprüft werden. Daß zum Beispiel in der Mitte jener Leidtragenden ein doppeltes [tt] gesprochen wird, scheint mir unrealistisch.
Auf dem Einband des Werkes werden 18.500 Stichwörter angekündigt, im Vorwort ist aber nur noch von 17.000 die Rede.
– geändert durch Theodor Ickler am 28.11.2002, 06.08 –
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Th. Ickler
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