Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - ss/ß-Schreibung und die Problematik der Vokallänge in regionalen Varianten
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ss/ß-Schreibung und die Problematik der Vokallänge in regionalen Varianten
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J.-M. Wagner
11.08.2003 23.01
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Fortsetzung der umfangreichen Diskussion

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (unter „ss vs. ß“)
Lieber Herr Wagner,
Ihre Beiträge, auf die Sie verweisen, sind ja sehr umfangreich. Ich glaube aber, daß man ganz anders ansetzen muß. Statt auf Einzelheiten einzugehen, versuche ich noch einmal eine eigene Darstellung. Ich werde mich in vielen Dingen wiederholen, aber ich weiß auch nicht genau, worauf sie hinauswollen.
Aber trotz des Umfangs haben Sie meine Beiträge gelesen? – Ich will auf verschiedene Dinge hinaus, unter anderem auf etwas mehr Systematik. Aber bevor sich diese herstellen läßt, müssen wohl noch ein paar Details durchgesprochen werden.

Zitat:
Auch die bisherige Schreibung war fehleranfällig: Delikateßpastete, Streß, kraß.
Auch auf die Gefahr hin, daß Sie sich wiederholen: Warum sehen Sie hier eine Fehleranfälligkeit der herkömmlichen s-Schreibung? Meiner Meinung nach ist ja gerade der Vorteil der Adelungschen Regel, daß man, wenn man sich stur daran hält, auch hier nichts falsch machen kann: Kein Silbengelenk – kein „ss“. Zusätzlich hilft der schon oft zitierte Merkspruch: „ss“ am Schluß bringt Verdruß.

Zitat:
Es wird immer wieder argumentiert, daß ,Heyse' sich nach der Aussprache richtet. Dabei wird nicht bedacht, daß es mindestens ebenso schwierig ist, die Vokallänge in „Bad“ festzulegen wie in „Spaß“. Es geht ja vor allem darum, in welchen Fällen der Doppelkonsonant ß in ss aufgelöst wird. Da richtet sich auch ,Adelung‘ nach der Aussprache: die Ligatur wird im Silbengelenk aufgelöst („lassen“).
Natürlich richtet sich auch die Adelungsche Regel, wenn man diese praktische Herangehensweise wählt, nach der Aussprache – aber der Aussprache wovon (im Unterschied zur Heyseschen Regel, wenn man, dieser entsprechend, bei dem konkret zu schreibenden Wort die Aussprache prüft)? Ist es nicht so, daß bei Adelung die Aussprache des s-Lautes an sich maßgeblich ist (Silbenfuge vs. Randstellung), bei Heyse dagegen die des vorangehenden Vokals?

Wie gesagt, diese Frage bezieht sich darauf, was gilt, wenn man bei beiden Regeln den Zugang über die Aussprache des direkt betroffenen Wortes wählt. Diese Voraussetzung scheint mir dadurch gerechtfertigt zu sein, weil es der praktischen Herangehensweise am ehesten entspricht. Das Prüfen von Beugungsformen eines Wortes zur Ermittlung seiner Schreibung ist doch in der Praxis erst der zweite Schritt, wenn der erste („Untersuchen“ des direkt betroffenen Wortes) nicht genügend oder keine klare Infomation lieferte.

Zitat:
Und Silbengelenk bedeutet nichts anderes als kurzer Vokal, geschlossene Silbe, Trennbarkeit – alles einerlei.
Ja, eben: Weil Silbengelenk = kurzer Vokal = geschlossene Silbe = Trennbarkeit gilt, ist es ja von Vorteil, sofern man das eine davon „haben“ möchte, ein anderes aber leichter zu „bekommen“ ist, wenn von dieser Erleichterung bei der Regeldefinition bzw. einer praktischen Anwendungsvorschrift für eine Regel Gebrauch gemacht wird. Allgemein gilt, daß bei Vorliegen einer dieser vier Fälle und wenn nur ein Konsonant folgt, der zugehörige Konsonantenbuchstabe verdoppelt wird. Hier will man konkret den Fall des „ss“ erschlagen. Nach Heyse achtet man dabei auf die Vokaldauer, nach Adelung auf die Geschlossenheit der Silbe bzw. die Trennbarkeit. Von der Theorie her sind diese Herangehensweisen zwar äquivalent, nicht aber in der Praxis: Die Fehlerquote scheint mir bei Adelung geringer zu sein.

Zitat:
Die Fälle „mies“, „Gras“, „Moos“ usw., gehören überhaupt nicht in die Argumentation. Da hatten Sie mich, glaube ich, auch verstanden. (Meine Beiträge am 23. und 24. 7.)
Ich hatte damals einfach nicht weiter nachgehakt, obwohl ich Ihre Ansicht nicht teile. Ich möchte die Problematik einmal von der ganz praktischen Seite her betrachten und nehme dazu an, daß es eine Hierarchie gibt, nach der bestimmte Kriterien bei der Entscheidung über die Schreibung zum Zuge kommen. Bei der s-Schreibung muß prinzipiell zwischen „s“, „ss“ und "ß" unterschieden werden, und es ist klar, daß diese Unterscheidung nicht mit einem einzigen Kriterium zu schaffen ist. Wenn als Zugang zu der jeweiligen s-Schreibungsregel – wie es im reformierten Regelwerk ja der Fall ist – der Weg über die Aussprache des konkret betroffenen Wortes genommen wird, bedeutet dies, daß bei einer hierarchischen Herangehensweise anhand der Aussprache zunächst nur eine mehr oder weniger grobe Sortierung zwischen den drei Fällen „s“, „ss“ und "ß" möglich ist. Bei Heyse läßt sich entscheiden, ob ein Wort in die „Zweituntersuchungskategorie“ „ss“/„s“ oder in die Kategorie "ß"/„s“ fällt. Bei Adelung dagegen ist an dieser Stelle bereits ein Fall klar erkennbar: Entweder ist es „ss“, oder es wird eine Zweituntersuchung auf "ß"/„s“ hin nötig.

Nur wenn man von vornherein die Bedingung im Hinterkopf behält, daß es lediglich um eine Entscheidung zwischen „ss“ und "ß" geht, haben sämtliche Wörter auf -s nichts in der Diskussion zu suchen. Die Frage ist aber, wie realistisch es ist, dieses Bewußtsein allgemein vorauszusetzen. Adelung hat eben den Vorteil, unempfindlicher zu sein, wenn es daran hapert.

Zitat:
Am interssantesten wäre eigentlich die Frage, ob Heyse kontraintuitiv ist. Das ist mir erst in den letzten Tagen aufgegangen. (Sie haben doch sicher meine Kehrtwende bemerkt!)
Leider habe ich Ihre Kehrtwende nicht richtig bemerkt, weil ich an einigen Stellen ihren Gedankensprüngen nicht ganz folgen konnte. Trotzdem scheint mir die Frage recht interessant zu sein, ob Heyse kontraintuitiv ist. Das zu diskutieren läuft aber darauf hinaus, daß man zunächst andere Dinge noch einmal auf den Punkt bringen muß, nämlich, was man nun genau unter der jeweiligen Regel an sich versteht und welchen Unterschied man evtl. gegenüber einer praktischen Anwendungsvorschrift derselben Regel sieht. Sie hatten ja darauf hingewiesen, daß man auch die Heysesche „ss“/"ß"-Verteilung allein aus der Silbengelenkstellung ermitteln kann. Dazu gehört auch folgende Ihrer Bemerkungen:
Zitat:
Das Problem ist eben der Ligaturstatus des ß – und die überfeine Regelung der Ligaturauflösung bei Heyse.
Das versteht nur jemand, der Ihre spezielle Betrachtungsweise nachvollzogen hat – was bei mir noch nicht ganz der Fall ist. Können Sie das nochmal erläutern?

Zitat:
Zum Vergleich:
kneifen, kniffen, Kniff
Hier geht es ja auch um Vokallängen (Silbengelenke, Öffnungsgrade …) – doch wer macht hier Fehler? (Man beachte übrigens den Diphthong!)
Guter Vergleich! Die entscheidende Frage ist für mich, worum es hier mehr geht: Richtet man sich mehr nach der Vokallänge, nach dem Silbengelenk oder nach dem Öffnungsgrad? Kurz: Warum passieren hier relativ wenig Fehler? Dieser Frage lohnt es sich m. E. nachzugehen.
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Jan-Martin Wagner

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J.-M. Wagner
07.06.2003 17.00
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technische Korrektur

In meinem vorangehenden Beitrag „Re: Liebgewonnene Schreibweisen“ habe ich zu Beginn des Abschnittes IV zwei Verweise auf die Suchfunktion mit falschen Parametern versehen, so daß die Suche ins Leere läuft. Hier wiederhole ich die entsprechende Passage, aber mit korrigierten Aufrufen:

Zudem ist in Fraktur der Unterschied zwischen einer Ligatur aus Lang-s und Rund-s und einer aus Lang-s und „z“ nicht allzu groß, so daß es naheliegend ist, in beiden Fällen das gleiche Zeichen zu verwenden (die entsprechenden hierin enthaltenen Verweise auf das „alte Rechtschreibforum“ funktionieren zwar derzeit nicht, jedoch gibt es hier [hoffentlich vollständige] Kopien der entsprechenden Beiträge).
Ich bitte, das Versehen zu entschuldigen, und ich würde mich freuen, auf solche Fehler hingewiesen zu werden.
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Jan-Martin Wagner

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Sigmar Salzburg
21.05.2003 07.44
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Versuche im 19. Jahrhundert

Zufällig geriet ich an Nietzsche:

Die Feigen fallen von den Bäumen, sie sind gut und süss; und indem sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
[ ... ]
Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter reiche, als euer schaffender Wille.
(Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra/ Auf den glückseligen Inseln)

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Sigmar Salzburg

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J.-M. Wagner
11.05.2003 11.02
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Re: Liebgewonnene Schreibweisen

(Nachtrag: Auf Anregung von Herrn Schubert habe ich nachträglich Abschnittsnumerierungen eingefügt, die sich auf die Absätze seines Beitrages beziehen, auf den ich hier eingehe.)

(I)

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert
Sehr geehrter Herr Wagner, wir waren schon einmal weiter als Sie in Ihrem Beitrag vom 5. Mai, 17.06 Uhr. Wir waren uns schon darüber einig geworden, dass im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Jetzt kündigen Sie diese Einigkeit auf und kommen mit dem nicht sehr überzeugenden Beispiel „aua“ und, in Übereinstimmung mit Frau Philburn, mit dialektalen Abweichungen, und Sie sehen dabei ein Problem.
Wie schön, daß ich mir in Anbetracht Ihres wiederholten Ignorierens von innerlich und äußerlich jeden Kommentar dazu sparen kann, warum wir wie weit sind – einzig interessant dabei ist, in welche Richtung wir schon wie weit gekommen sind...

Aber konkret: Ich wage Ihrer Feststellung zu widersprechen, daß wir uns schon darüber einig geworden waren, daß im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Ich hatte geschrieben:
»Bestreiten Sie, dass im Hochdeutschen für jede Silbe festgelegt ist, ob sie lang oder kurz ist?«
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, daher kann es sich durchaus um ein falsches Urteil handeln, wenn ich sage: Nein, das bestreite ich nicht; ich gehe davon aus, daß es in der Hochsprache einen Standard bezüglich der Silbenlänge (bzw. -kürze) gibt.
(„Antworten und neue Fragen“ [in: „ss vs. ß“], 24.03.2003)
„Die Silbenlänge (bzw. -kürze)“ ist ein „dehnbarer“ Begriff – in meinen Augen läßt er mehr zu als nur die Unterscheidung nach genau zwei Fällen. Wie ich an anderer Stelle erwähnte, gibt es durchaus Silben, die nicht in das einfache lang/kurz-Schema passen: Lamm/Leim/lahm. Sie sehen, ich habe nichts aufgekündigt, sondern meine vagen Aussagen präzisiert. Das Thema der dialektalen Abweichungen ist zudem nicht neu, Sie hatten bloß vor ein paar Wochen, als sich ein von Ihnen so genannter Fachleut in die Diskussion einschaltete, kein Interesse mehr, sie fortzusetzen (es ging damals um »Das ü in „Schüssel“«).
____________

(II)
P. Schubert:
Ein Problem sehe ich auch dabei nicht. Wenn ein Schüler in einer schriftlichen Arbeit eine regionale Variante verwendet, die in einem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch verzeichnet ist („Geschoß" lt. Duden), dann hat der Rotstift Ruhe zu bewahren, egal, aus welcher Region der Schüler oder der Lehrer kommt und in welcher Region die Arbeit geschrieben wird. Korrektoren und Zensoren müssen eben auch manchmal nachschlagen.
Hierzu möchte ich in die Runde fragen: Entspricht das der Praxis vor der Rechtschreibreform? Es würde mich wundern; wozu denn wird in dem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch speziell und genau vermerkt, daß bestimmte Schreibweisen nur in bestimmten Regionen/Ländern anzutreffen sind? Und speziell im Fall des Geschoß würde ich mir keine Illusionen machen, daß dies bei einer in einer deutschen Schule angefertigten schriftlichen Arbeit nicht als Fehler gewertet würde.
____________

(III)
P. Schubert:
Offenbar sehen auch Sie mehrere Arten von Eszetts.
Das ist nicht richtig. Ich habe lediglich gesagt, daß unser heutiges ß rein typographisch verschiedene Ursprünge hat, aber über seine jeweilige Funktion hatte ich bislang nichts gesagt; darüber weiß ich zu wenig. Ich sehe zwei Funktionen, die das Zeichen "ß" hat, und die es dort, wo es steht, immer hat. Daher bin ich mit der Bezeichnung „mehrere Arten von Eszetts“ nicht einverstanden.

P. Schubert:
Noch einmal meine Unterscheidung von echtem und unechtem Eszett: Das echte signalisiert ausnahmslos, dass der Zischlaut stimmlos ist und dass davor ein langer Vokal oder ein Diphthong ist. Man schreibt also „Grüße“ und „außer“. In diesen Fällen ist das Eszett zwar nicht unverzichtbar (die Schweizer kommen ja auch ganz gut ohne aus), aber sehr sinnvoll; die Aussprache des Wortes ist eindeutig erkennbar.
Ich wage zu behaupten, daß die Schweizer mit dem ß an diesen Stellen (wegen des zuvor diskutierten Prinzips der Verdopplung des Konsonantenbuchstabens nach kurzen betonten Vokalen) wesentlich besser dran wären und man sich also an der Schweizer Schreibweise kein Beispiel nehmen sollte, wenn man bestrebt ist, herauszufinden, was die sinnvollste Variante der s-Schreibung ist. Das Schweizer Beispiel zeigt m. E., daß es zwar im Notfall auch ohne ß gehen würde, aber es zeigt auch, daß es eben der schlechtestmögliche Fall ist.

Ich frage mich, warum das Eszett an dieser Stelle signalisiert, daß ein Diphthong vorausgeht – wenn da ein Diphthong steht, erkenne ich das bereits, bevor ich das "ß" lese. Rein theoretisch können natürlich bei einer Wortzusammensetzung zufällig Vokalbuchstaben zusammenstoßen, die (rein formal) einen Diphthong bilden, aber ist das in der Praxis relevant? – Meines Erachtens zeigt sich hier vielmehr die konsequente Anwendung des Eszetts gemäß seiner beiden Funktionen: Ein Eszett steht a) für einen scharfen s-Laut, der b) nur genau einer Silbe zugeordnet ist. Bei den von Ihnen genannten Beispielen Grüße und außer steht es jeweils als Silbenanlaut, es kann aber auch im Innenlaut (gestreßt, heißt, mußt) oder Auslaut (daß, Fuß, Mißerfolg, Mißstand, mißlich, scheußlich) auftreten.
____________

(IV)
P. Schubert:
Das unechte Eszett steht nach kurzem Vokal dort, wo in der Fraktur oder der deutschen Handschrift keine zwei langen s und auch keine zwei runden s stehen dürfen.
Daß in Fraktur keine zwei runden s direkt nebeneinander stehen können, ist klar; was aber meinen Sie mit dem Fall, daß keine zwei langen s stehen dürfen? Mit fällt dazu nur das Wortende ein, bei dem das letzte s rund wird, so daß ein Lang- und ein Rund-s unmittelbar nebeneinander stehen.

P. Schubert:
Hier ist das Eszett eine Verlegenheitslösung.
Das stimmt nur, wenn man von vornherein Ihre Auffassung vom „echten Eszett“ zugrundelegt; nur dann kommt man zu der Einschätzung, daß hier ein Eszett als Ersatz für etwas einspringen muß, für das es nicht gedacht ist. Das stimmt aber nicht. Hier handelt es sich um einen der anderen „typographischen Ursprünge“ des Zeichens "ß" – den Fall der Doppel-s-Ligatur. Das gilt nicht nur für die Fraktur, sondern auch für die Antiqua, in der es ebenfalls die lange Form des „s“ gab.

Diese typographische Form des ß gehört gerade an eine solche Stelle, und das Eszett ist deshalb an dieser Stelle genauso echt wie an der zuvor beschriebenen. Zudem ist in Fraktur der Unterschied zwischen einer Ligatur aus Lang-s und Rund-s und einer aus Lang-s und „z“ nicht allzu groß, so daß es naheliegend ist, in beiden Fällen das gleiche Zeichen zu verwenden (die entsprechenden hierin enthaltenen Verweise auf das „alte Rechtschreibforum“ funktionieren zwar derzeit nicht, jedoch gibt es hier [hoffentlich vollständige] Kopien der entsprechenden Beiträge).

P. Schubert:
Sie [die Verlegenheitslösung] ist obsolet, seitdem kaum noch in Fraktur oder deutscher Handschrift geschrieben wird. Und wer doch noch lieber Fraktur oder deutsch schreibt, kann es ja tun.
Es stimmt zwar, daß sich das Problem, aufeinanderfolgendes Lang-s und Rund-s bzw. Lang-s und normales „z“ richtig zu verarzten, heutzutage nicht mehr stellt, weil das Lang-s (leider!) nicht mehr in Gebrauch ist. Der Hintergrund aber, der die Unterscheidung zwischen Lang- und Rund-s sinnvoll macht, nämlich die besondere Kennzeichnung des „s“ am Silbenende zwecks besserer Lesbarkeit von Zusammensetzungen, ist nach wie vor gegeben.

Es mag zwar sein, daß dieses Problem heutzutage kaum noch wahrgenommen wird, was aber m. E. hauptsächlich daran liegt, daß bis vor der Rechtschreibreform das Eszett dafür gesorgt hat, daß dieses Problem gar nicht erst auftrat. Das mag eine Erklärung dafür liefern, daß manche, die nun von der Heyseschen Regel angetan sind, als Besonderheit des Eszetts nur noch seine Funktion wahrnehmen, das scharfe s im Silbenanlaut anzuzeigen, wenn die vorhergehende Silbe nicht auf einen Konsonanten endet – was sicherlich eine wichtige Aufgabe ist, aber es ist nicht die einzige! (Mir sind nur zwei Fälle eingefallen, in denen eine mit einem scharfen s anlautende Silbe auf eine konsonantisch auslautende folgt: Wörter vom Typ Wasser oder vom Typ Haxe.)

Wie oben gezeigt, fügt sich diese Aufgabe nahtlos in die allgemeine Funktionsbeschreibung des Eszetts ein, und durch dieselben allgemeinen Funktionen des Eszetts wird das Problem der Silbenrandmarkierung (sowie partiell das der Dreifachbuchstaben, s. u.) gelöst (Ausschusssitzung vs. Ausschußsitzung; Bambusessstäbchen vs. Bambuseßstäbchen; bisschen vs. bißchen; Fresstempel vs. Freßtempel; Messergebnis vs. Meßergebnis; Schlossparkett vs. Schloßparkett). Das ist doch einfach genial: Mittels genau eines Zeichens ("ß") werden auf einen Schlag orthographische, typographische, ästhetische und lesetechnsche Schwierigkeiten systematisch ausgeräumt. Zeigen Sie mir einen anderen Buchstaben/eine andere Schreibweise, der/die so viele Vorteile in sich vereint (und dabei nur, wie es hier der Fall ist, geringfügige Nachteile mit sich bringt).

P. Schubert:
Der Reformduden (22. Aufl. S. 101) empfiehlt für das unechte Eszett die Kombination von lang s + rund s, wofür es übrigens auch in Antiquaschriften des 19. Jh. Vorbilder gibt.
Diese Empfehlung bezieht sich ausdrücklich auf die Rechtschreibreform; sie war in der 20. Auflage (1991) nicht enthalten (S. 74). Dort findet sich unter „a) Das lange s“ das Beispiel Abszeß in Fraktur – mit einer s-z-Ligatur am Schluß. Im 2000er Duden steht (hier mit „f“ für das lange „s“ zitiert): »[...] Doppel-s im Auslaut sollte im Fraktursatz aus ästhetischen Gründen mit „fs“ wiedergegeben werden.« Dem kann ich keinen Glauben schenken, denn zum einen war es jahrelang kein Problem (weder ein orthographisches noch ein ästhetisches), an dieser Stelle das Fraktur-ß zu verwenden, und zum anderen sah Heyse selbst »aus ästhetischen und systematischen Gründen« für die Folge „f“+„s“ eine eigene Ligatur vor (zitiert nach: Th. Poschenrieder: „S-Schreibung – Überlieferung oder Reform?“, in „Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra“, hrsg. von H.-W. Eroms und H. H. Munske, hier: S. 177).

P. Schubert:
Die reformierte s-Schreibung besteht ausschließlich darin, dass das unechte Eszett durch Doppel-s ersetzt wird.
Das ist schon klar, aber das sagt nichts darüber aus, ob und warum das wirklich sinnvoll ist, denn es ist eine reine Fallbeschreibung. Warum sollte man diese Ersetzung machen?

P. Schubert:
Davon geht die Welt nicht unter.
Das war nix. – Läuft Ihre Auffassung von einem „echten Eszett“ (grob skizziert) darauf hinaus, daß in Wörtern wie Straße, außer nur die Anwendung einer s-z-Ligatur sinnvoll ist und man also erwarten dürfte, daß in der Vergangenheit (besser: in etwa vor der Etablierung der Adelung/Gottschedschen Regel) an dieser Stelle keine Doppel-s-Ligatur verwendet wurde, weder in Fraktur noch in Antiqua? Das spricht den Fall an, um den es in meinem Verständnis der Geschichte des ß am schlechtesten bestellt ist. Ich hatte in diesem Forum bereits vor einiger Zeit nach näheren Informationen dazu gefragt, aber keine Antwort bekommen; und ich war bislang zu beschäftigt, auf eigene Faust Nachforschungen (etwa in der Bibliothek) anzustellen. Darüber würde ich weiterhin gern Genaueres wissen, auch, um in der Diskussion um das „echte/unechte Eszett“ voranzukommen. Interessant ist dabei auch, warum als Ersatz in allen Fällen ein Doppel-s geschrieben werden soll und nicht „sz“ (was in ungarischen Texten für den scharfen s-Laut steht).
____________

(V)
P. Schubert:
Noch ein Wort zum „Kompromissvorschlag“ der DASD:
Mit Verlaub, mit welcher Intention haben Sie hier Anführungszweichen verwendet? Als Zitat oder als Andeutung von Zweifel? Da im Originaltitel ein "ß" steht, tendiere ich dazu, Ihnen letzteres zu unterstellen...

P. Schubert:
Der dortige Vorschlag (S. 13), es bei der Heyseschen Schreibung zu belassen, aber zur Vermeidung von drei s bei „Missstand“ und „Stresssituation“ doch ein ß + s zuzulassen, ist albern. Die Heysesche Schreibung bringt es zwangsläufig mit sich, dass drei s auftreten können.
Wie ich bereits anderenorts geschrieben habe, stellen sich diese drei „s“ in Fraktur ganz anders dar als in lang-s-loser Antiqua. Die Heysesche Schreibung wurde für Fraktur konzipiert, wo die Abfolge Lang-s–Rund-s–Lang-s keine Leseprobleme bereitet. Ein dreifaches Rund-s ist dagegen – wie jeder dreifach gesetzte Buchstabe – ein Lesehemmnis. Die partielle Ersetzung durch ein Eszett ist daher sehr sinnvoll und wirkt nur deshalb albern, weil der DASD-Vorschlag damit in sich inkonsistent wird. Die Begründung dafür ist in der Tat albern – mehr noch: Sie ist eine Veralberung des Lesers. Die gesamte Passage lautet:
1.  ß. Die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss ist weder systematisch geboten noch ist sie unproblematisch, was das Schreibenlernen betrifft. Sie führt nachweislich dazu, daß die Schüler dazu neigen, nur noch ss zu schreiben. Es finden sich vermehrt Schreibungen vom Typ Landstrasse, Blumenstrauss, d. h. hier tritt ein neuer Rechtschreibfehler auf. Andererseits ist die Ersetzung des ß durch ss gewissermaßen das Herzstück der Reform, sie ist ihr sichtbarster Bestandteil und im großen und ganzen folgerichtig. Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft. Das Umgekehrte gilt ebenfalls. Im Interesse einer Beilegung des Streites, zugunsten einer Wiederherstellung des »Rechtschreibfriedens« wird vorgeschlagen, die Änderung zu übernehmen. Es soll nur eine Ausnahme erlaubt sein: in Fällen, wo auf eine mit ss auslaufende Silbe eine andere folgt, die mit s beginnt, kann zur Vermeidung einer Verdreifachung dieses Buchstabens ß geschrieben werden (z. B. Mißstand statt Missstand, Streßsituation statt Stresssituation, vgl. 2).
Das als vorauseilenden Gehorsam zu bezeichnen, wäre noch viel zu milde ausgedrückt; Feigheit vor dem Feind träfe es schon eher, und noch ganz andere Begriffe könnten passend erscheinen – was für eine Versuchung, mal so richtig abzukotzen! Aber letztlich ist hier jedes Wort überflüssig und vergeudet, denn die Krönung der Albernheit des DASD-Kompromißvorschlages ist, daß seine Autoren ihren eigenen Vorschlag nicht ernstnehmen und durchgängig die herkömmliche (Adelung/Gottschedsche) s-Schreibung verwenden. Was sagt das darüber, was die Experten selbst von ihrem Vorschlag halten?

P. Schubert:
Auch in der alten Rechtschreibung kamen drei gleiche Konsonanten hintereinander vor: SCHLOSSSTRASSE, Sauerstoffflasche, Balletttruppe, Schiff-fahrt.
Das letzte ist ein Beispiel für eine Trennung, nicht wahr? Und damit ist auch klar, daß das nichts Überraschendes oder Ungewöhnliches ist, ergibt sich doch das Aufeinandertreffen dreier gleicher Buchstaben ganz zwangsläufig bei Wortzusammensetzungen. Daß in der herkömmlichen Rechtschreibung in den hier angesprochenen Fällen alle Konsonantenbuchstaben geschrieben werden (bzw. ein weggelassener bei der Trennung wieder eingefügt wird), ergibt sich m. E. daraus, daß keine Leseerleichterung resultiert, wenn man einen Buchstaben wegläßt, oder daß sogar eine falsche Lesart möglich wird (Kunststofflasche vs. Kunststoffflasche).

P. Schubert:
Auch davon ging die Welt nicht unter.
Das war wieder nix.

– geändert durch J.-M. Wagner am 18.05.2003, 10.47 –
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Jan-Martin Wagner

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Sigmar Salzburg
07.05.2003 14.07
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Beliebtes ß

Gerade haben wir die japanische Schulfreundin meiner Tochter zu Besuch. Sie ist neun Monate in Deutschland und hatte in Japan schon drei Jahre Deutsch gelernt. Ich fragte sie, wie für sie die vereinfachten chinesischen Schriftzeichen zu lesen seien („oft gar nicht zu erkennen“). Dabei sagte sie unvermittelt: „Das ist wie im Deutschen. Die ß werden immer weniger. Ich finde das soo schade.“

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Sigmar Salzburg

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Norbert Lindenthal
07.05.2003 12.02
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Ist die Beobachtung genau genug?

Das Schreibmaschinenzeitalter ist vorbei. Nachdem Rechner vom Westen her den nahen Osten eroberten, erobern sie nun den fernen Osten. Und, jetzt kommt das, worauf es mir ankommt: Wir sind im Begriff, daß die hier gekauften Geräte alle Sprachen beherrschen werden. Mein Rechner, geöffnet von einem Tschechen, wird tschechisch laufen. 65000 Buchstaben, Zahlen, Zeichen haben einen unverwechselbaren Platz bekommen. Die Betriebssysteme kommen nicht mehr durcheinander. Nach hinten geschaut wurden Nur-Großbuchstaben-Rechner für 10000 Mark verkauft. Nach vorne geschaut werden Sprachmaschinen für 2000 Euro geliefert. Ich werde die Zeit miterleben, in der in Netzbriefen wie selbstverständlich russische, chinesische und unsere Zeichen unverkrampft nebeneinander stehen werden. Manch einer wird möglicherweise ohne ß schreiben, dennoch hat das ß seinen Platz in den Zeichensätzen: 00DF/00130

琉球大学農学教授 比嘉 照夫  博士が発見した有用微生物



Wer hier japanische Zeichen sieht, weiß, was ich meine.

ß
Čech
Přemysil
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Norbert Lindenthal

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Henning Upmeyer
07.05.2003 07.24
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Kennzeichnung von Vokal-Längen

Der Vollständigkeit halber sollte man auch die Jan Hus zugeschriebene Einführung diakritischer Zeichen für das Tschechische und Slowakische erwähnen. Handschrift und Buchdruck kommen damit gut zurecht, aber die Computer können sie nicht schreiben, weil sie nur die westlichen Zeichen beherrschen, nicht die des früheren Ostblocks.

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Norbert Schäbler
06.05.2003 22.56
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Maasse

Das Besondere an Herrn Markners Vorschlag, welcher ebenfalls schon einmal in der Vorzeit auftauchte, ist allerdings, daß Dehnung und Schärfung in einem Wort und in unmittelbarer Folge aufeinandertreffen.

Das sprengt doch jede Schulweisheit.
In unserer Orthographie ist doch ohnehin nicht beides sauber geregelt.
Dehnung kann durch Dehnungszeichen erfolgen, muß sie aber nicht. (Meer, mehr, so, Fuß ...)
Schärfung kann durch Konsonantenverdopplung erfolgen, wobei Konsonantenverdopplung nicht allzu engstirnig als gleichartige Konsonantenverdopplung aufzufassen ist – sie muß es aber nicht (Faß, fast, Mutter, Muster, Bus, ab ...).

Und dann das: Dehnung und Schärfung im selben Wort.
Arme Lehrer!

(Nachtrag: Lieber Herr Upmeyer!
Da ich Ihren Beitrag „Soße, Sosse oder Sose“ im Gästebuch gelesen habe, meine ich zu wissen, worauf Sie hinauswollen.
Eigentlich gehörte diese gehaltvolle Betrachtung in diesen Strang. Im Gästebuch schwimmt sie in kürzester Zeit davon.)
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nos

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Henning Upmeyer
06.05.2003 22.24
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Die Kennzeichnung der Länge von Einzelvokalen

Man könnte die Kürze und Länge von Einzelvokalen auch anders machen: Im Niederländischen sind Einzelvokale immer kurz, und deren Länge wird durch Vokalverdopplung dargestellt. Hier wurde schon beschrieben, daß ein solcher Vorschlag früher einmal für die deutsche Sprache gemacht und ausgelacht worden ist. Wegen der sehr etymologischen deutschen Schreibweise geht das wohl überhaupt nicht, Beispiel: der Bote, die Boote usw.

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Norbert Schäbler
06.05.2003 20.21
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Die These von der fehlerhaften Tilgung

Um echte Schreiberleichterung herzustellen – und das war das erklärte Ziel für die Rechtschreibreformer – wäre es die einfachste Sache gewesen, den Bereich der S-Laute so zu regeln, wie es die Schweizer tun, die bekanntlich auf das Sonderzeichen „ß“ so gut wie gänzlich verzichten.
Und Argumente dafür hätte es gegeben. Immerhin wird diese „Sonderregelung“ von einem Teil unserer Sprachengemeinschaft praktiziert. In der Gegenwart wohlgemerkt!
Was aber sprach dagegen? Waren das nur Einwände aus dem Kreis der Phonetik?

Man suchte also einen anderen Weg, um Schreiberleichterung bzgl. der S-Laute sicherzustellen, den Weg zurück in die Historie, zurück zur Heyse`schen Regel.
Im Ergebnis tilgten die Rechtschreibreformer das „ß“ nach kurzgesprochenem Selbstlaut, das sich in jedem Falle im Auslaut des Wortes oder Wortstammes (inkl. Silbengelenk) befindet. Gleichwohl blieben noch Worte erhalten, die auch weiterhin ein „ß“ im Auslaut führen (Maß, Gruß, Kloß, Fleiß, Grieß …), und zwar deshalb, weil dem „ß“ ein langer Vokal oder ein Diphthong vorausgeht.
Diese etwas inkonsequent anmutende Tilgung des „ß“ im Auslaut läßt darauf schließen, daß sich die Reformer an phonetischen Gesichtspunkten orientierten, (die allerdings in sich völlig schlüssig sind).
Wo aber blieb der Einwand der Sprachökonomen – der Mathematiker? Wer betrieb die Erinnerung an den Kommissionsauftrag, der da hieß: „Die Beschlüsse müssen zu einer Schreiberleichterung führen?

Man hätte es anders machen müssen, hätte sich dem „ß“ im Inlaut zuwenden müssen; man hätte den Wörtern „Grüße, fließen, Maße, Straße …“ einfach ein anderes Wortgesicht geben sollen.
Das ging doch auch bei der Gämse, beim Stängel und beim Tollpatsch.
Das geht doch auch in der Schweiz!
Denken hätte man halt müssen, nicht nur eine Anleihe betreiben in der Vergangenheit. Den Adelung hätte man verstehen lernen sollen, der im Denken, Praktizieren und Regeln eines Sprachfalles seinem Nachfahren, Dichterkreisgründer und Cliquenwirtschafter Heyse um Meilen voraus war.
Richtig und ohne Schablone in die Vergangenheit schauen – so wie es am heutigen Tag Reinhard Markner tat mit seinem Wortbeispiel „Maasse“ – das wäre echte Kreativität gewesen.
Stattdessen haben die Herren Reformer einfach etwas abgekupfert, die Vergangenheit verfälscht, und eine Verschlechterung betrieben.

Aufgrund der Unfähigkeit der an phonetischen Prinzipien orientierten Rechtschreibreformer kam es zu einem verheerenden Ergebniß, zu einer Erschwerniß der Rechtschreibung.
Dazu stellen Mathematiker fest: Die Rechtschreibunsicherheit bei einem Wort mit S-Laut am Wortende hat um 50 Prozent zugenommen. Früher nämlich gab es nur zwei Möglichkeiten für die Darstellung des S-Lautes am Wortende (nach Adelung war nur s oder ß möglich).
Nun aber haben wir drei Möglichkeiten (s/Gras, ß/Fuß, ss/Fluss).
Und deshalb könnte man paradoxerweise die oben in ungewohnter Schreibweise vorgeführten Worte in drei verschiedenen Wortgesichtern präsentieren: „Ergebnis, Ergebniß, Ergebniss“, “Erschwernis, Erschwerniß, Erschwerniss“.
Die ersten beiden waren sehr lange Zeit im deutschen Sprachraum gängig. Die letztgenannte Schreibalternative könnte in konsequenter Ausführung der ordre de mufti entstehen.

Aber vermutlich haben die Phonetiker die jeweils mittlere Schreibweise (mit ß) verdrängt, weil sie sich einmal im Laufe der Sprachregelung einem ökonomischen Gesichtspunkt gebeugt hatten.


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nos

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Norbert Schäbler
06.05.2003 17.18
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Noch einmal Wertigkeit

Ich habe provoziert mit meiner These vom stimmhaften „ß“, allerdings nicht augenzwinkernd, sondern ziemlich übel, hart und scharf.
Manchmal habe ich mich wohl gar im Ton vergriffen, und dafür bitte ich Herrn Schubert um Entschuldigung.
Er war für mich zum „roten Tuch“ geworden mit seiner prinzipiellen Ausrichtung an der Phonetik, die ich teilweise als störend empfinde.
Ich denke im Gegenteil dazu häufig über Funktionen nach (z.B. über das Gewichtungs-h) und richte mich oft an der Mathematik aus, weil Sprache und Mathematik viele Gemeinsamkeiten haben (z.B. das unbedingte Streben nach Kürze und Prägnanz, wie das im Wesen einer mathematischen Formel zutage tritt).
Sehr betroffen machte es mich, daß die Rechtschreibreformer das Auslaut-ß zertrümmert haben, dem die herrliche Funktion der Wortbildgliederung und der Fugengelenkdarstellung zugedacht war. Sie haben sich einfach über Prinzipien hinweggesetzt, die mir wichtig sind. Und das ist für mich fast schon ein persönlicher Angriff.
Demnächst werde ich eine Gegenthese aufstellen – nicht etwa einen Beweis führen – wie ich kürzlich vollmundig prahlte.
Ich werde ein wenig „stimmloser“ und sachlicher werden.

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nos

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Reinhard Markner
06.05.2003 15.18
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Maass

Im 19. Jahrhundert war noch die Schreibung mit zwei a sehr verbreitet, so daß eine Verwechslung von »in Maßen (in Maassen)« mit »in Massen« nicht möglich war.

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J.-M. Wagner
06.05.2003 13.33
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Re: Re: Re: Wertigkeiten

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler (hier)
Ich frage zurück, ob es zwischen der Schreibweise „Grüsse“ (Schreibmodell: Schweiz) und der Schreibweise „Grüße“ einen Unterschied in der Aussprache gibt?
In nullter Näherung würde ich sagen, nein – auch wenn Herr Gallmann betont, daß die schweizerische „ss“-Schreibung der schweizerischen Aussprache entspricht (vgl. hier). Das sage ich aber nur, weil ich davon ausgehe, daß jemand, der diese Schreibweise liest, gute Kenntnisse des hochsprachlichen Wortschatzes besitzt und weiß, daß es ein Wort /Grüs-se/ mit kurzem betontem ü nicht gibt. Diese kurze Aussprache des ü und ein ambisyllabisches s würden den Regeln der Konsonantenverdopplung entsprechen. In allen Fällen aber wäre der s-Laut in der Mitte des Wortes stimmlos – was mich zu meiner ursprünglichen Frage zurückbringt: Meinen Sie das ernst mit der Möglichkeit eines stimhaften ß, oder ist das lediglich eine weitere augenzwinkernde Provokation Ihrerseits?
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Jan-Martin Wagner

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Peter Schubert
05.05.2003 13.03
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Liebgewonnene Schreibweisen

Sehr geehrter Herr Wagner, wir waren schon einmal weiter als Sie in Ihrem Beitrag vom 5. Mai, 17.06 Uhr. Wir waren uns schon darüber einig geworden, dass im Deutschen bei jeder Silbe feststeht, ob sie lang oder kurz ist. Jetzt kündigen Sie diese Einigkeit auf und kommen mit dem nicht sehr überzeugenden Beispiel „aua“ und, in Übereinstimmung mit Frau Philburn, mit dialektalen Abweichungen, und Sie sehen dabei ein Problem.

Ein Problem sehe ich auch dabei nicht. Wenn ein Schüler in einer schriftlichen Arbeit eine regionale Variante verwendet, die in einem nicht ganz unbedeutenden Wörterbuch verzeichnet ist („Geschoß" lt. Duden), dann hat der Rotstift Ruhe zu bewahren, egal, aus welcher Region der Schüler oder der Lehrer kommt und in welcher Region die Arbeit geschrieben wird. Korrektoren und Zensoren müssen eben auch manchmal nachschlagen.

Offenbar sehen auch Sie mehrere Arten von Eszetts. Noch einmal meine Unterscheidung von echtem und unechtem Eszett: Das echte signalisiert ausnahmslos, dass der Zischlaut stimmlos ist und dass davor ein langer Vokal oder ein Diphthong ist. Man schreibt also „Grüße“ und „außer“. In diesen Fällen ist das Eszett zwar nicht unverzichtbar (die Schweizer kommen ja auch ganz gut ohne aus), aber sehr sinnvoll; die Aussprache des Wortes ist eindeutig erkennbar.

Das unechte Eszett steht nach kurzem Vokal dort, wo in der Fraktur oder der deutschen Handschrift keine zwei langen s und auch keine zwei runden s stehen dürfen. Hier ist das Eszett eine Verlegenheitslösung. Sie ist obsolet, seitdem kaum noch in Fraktur oder deutscher Handschrift geschrieben wird. Und wer doch noch lieber Fraktur oder deutsch schreibt, kann es ja tun. Der Reformduden (22. Aufl. S. 101) empfiehlt für das unechte Eszett die Kombination von lang s + rund s, wofür es übrigens auch in Antiquaschriften des 19. Jh. Vorbilder gibt. – Die reformierte s-Schreibung besteht ausschließlich darin, dass das unechte Eszett durch Doppel-s ersetzt wird. Davon geht die Welt nicht unter.

Noch ein Wort zum „Kompromissvorschlag“ der DASD: Der dortige Vorschlag (S. 13), es bei der Heyseschen Schreibung zu belassen, aber zur Vermeidung von drei s bei „Missstand“ und „Stresssituation“ doch ein ß + s zuzulassen, ist albern. Die Heysesche Schreibung bringt es zwangsläufig mit sich, dass drei s auftreten können. Auch in der alten Rechtschreibung kamen drei gleiche Konsonanten hintereinander vor: SCHLOSSSTRASSE, Sauerstoffflasche, Balletttruppe, Schiff-fahrt. Auch davon ging die Welt nicht unter.

Sehr geehrter Herr Schäbler, der Speck, den Sie mir ausgelegt hatten, hat zwar nichts genützt, aber nur deswegen nichts, weil Sie selbst zu erkennen gegeben haben, dass Ihnen der Unterschied zwischen stimmhaftem und stimmlosem s durchaus klar ist, nämlich bei dem hörbaren Summton und der fühlbaren Kehlkopfvibration beim stimmhaftem s. Es ehrt Sie, dass Sie das Ihren Schülern demonstriert haben. Aber genützt hat es wohl kaum; bei Erstklässlern liegt die Sprache schon ziemlich fest, und in Ihrer Gegend wird im Anlaut vor Vokal nunmal ein stimmloses s gesprochen. Gegebenenfalls hat der Pfarrer die Schüler darin noch bestärkt: ßälick ßind die ßanftmütigen ...

Trotzdem, Herr Schäbler, ist es Ihnen gelungen, mich zu provozieren, und zwar mit Ziff. 2 b) Ihres Beitrags vom 6. Mai, 11.47 Uhr. Danach könne auch das ß in „Grüße“ oder „außen“ stimmhaft sein. Bei hochdeutscher Lautung stimmt das nicht; ein ß ist immer stimmlos.

Die Rechtschreibreformer haben das unechte ß getilgt. Auf Ihren Beitrag, sie hätten das echte tilgen sollen, bin ich gespannt.

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margel
04.05.2003 15.55
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Ein Bündel Heu

Als-horribile dictu- unkundiger Amateur (was Max Liebermann von sich und der Malerei sagte, daß er nämlich nicht mit ihr verheiratet sei, sondern ein Verhältnis mit ihr habe, möchte ich auch von mir und der deutschen Sprache behaupten) darf ich jede Dummheit äußern. Das ist das Privileg der Kinder und (alten)Narren!
1. Die langanhaltende Diskussion zwischen Herrn Schäbler und Herrn Schubert zeigt mir, daß das rechte Schreiben mehr mit dem Lesen als mit dem Sprechen und Hören zu tun hat. Der Weg ist einfach kürzer und weniger fehleranfällig. Die Deutschschweizer
z.B. sprechen ja bekanntlich nicht Hochdeutsch(„Schriftdeutsch“, wie es bezeichnenderweise heißt),
und doch sind sie in der Rechtschreibung, gleicher Bildungsstand vorausgesetzt, bestimmt nicht unsicherer als wir.

2. In der herkömmlichen Rechtschreibung konnte am Wortende
entweder s oder ß stehen. Heute gibt es drei Möglichkeiten:
s, ss, ß. Wo ist da die Erleichterung, bzw. Vereinfachung?

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