In memoriam
Ich beweine die alte Regel: „SS am Schluß, bringt Verdruß!“
Sie möge nicht ruhen in Frieden, sondern baldigst wiederauferstehen!
Was aber bedeutet die Regel?
Wie war sie didaktisch an Mann, Frau, resp. SchülerIn zu bringen?
Eine kleine Schulstunde mit didaktischer Voranalyse:
Man benötigte maximal drei Stücke Farbkreide, eine aufklappbare Schultafel und beliebige Kontrastworte.
Als Angebot eigneten sich Tausende von Begriffen, z.B. das Wort Schloß, die Kontrastworte Schlösser (Plural gleichnamigen Wortes), Schlößchen (Verkleinerungsform gleichnamigen Wortes), Schloßgraben (Zusammensetzung mit gleichnamigem Wort mit dem Bedeutungsträger Schloß als Bestimmungswort), eine weitere Zusammensetzung mit dem Plural „Schlösser“ (z.B. Schlösserkönig) und schließlich noch ein regelsperriges Wort (dazu später).
Didaktische (geordnete) Vorgehensweise:
1. Man mache eine kurze Exkursion über Selbstlaute und Umlaute.
2. Man lasse Wörter mit S-Lauten sammeln und eliminiere die für die Rechtschreibstunde bedeutungsvollen Begriffe – z.B. das Wort Schloß nebst Wortfamilie.
3. Man schreibe auf die aufklappbare linke Tafelseite das Wort Schlösser, in die Mitte hintereinander die Worte Schloß, Schlößchen, Schloßgraben; und auf die rechte aufklappbare Tafelseite z.B. das Wort Schlösserkönig.
4. Man unterstreiche zunächst die kurzgesprochenen Selbst- bzw. Umlaute vor dem jeweiligen S-Laut mit roter Farbkreide. (ausschließlich rote Farbkreide wird benötigt).
5. Man unterstreiche als nächstes die Buchstaben hinter dem S-Laut und verwende dabei die Farbe gelb für einen folgenden Mitlaut, die Farbe blau für einen folgenden Selbstlaut.
6. Man lasse Wahrnehmungen formulieren. „Auf den Außentafeln verwendeten wir die Farben rot und blau. Auf der Innentafel finden wir die Farben rot und gelb. (Übrigens kann Lehren und Lernen durchaus spaßhaft sein, wenn es geplant ist, denn der Schülerwahrnehmung, daß die Mitte aussehe wie eine Ampelschaltung, kann sich durchaus der Lehrerimpuls hinzugesellen): „Du hast recht: Bei diesen Wörtern müssen wir aufpassen!“
7. Man lasse logische Sätze formulieren etwa nach folgendem Muster: „Ein Buckel-S schreiben wir, wenn vor dem S-Laut ein kurzgesprochener Selbstlaut/Umlaut ist, und danach kein Buchstabe mehr kommt/ein Mitlaut folgt.“
8. Man lasse die Regel in logische Wenn-Dann-Sätze umformulieren.
9. Man lasse die Regel verkürzen.
10. Man biete schließlich ein Transferwort. Das ist ein Wort im Grenzbereich, das wirklich ernsthaft zu überdenken ist, weil es sich der neuformulierten Regel scheinbar nicht unterordnen will. Dazu eignet sich z.B. das lediglich vorgesprochene Wort „Schloßattacke“. Das hat hinter dem S-Laut einen Selbstlaut und gehört damit eigentlich auf die rechte Tafelseite.
Wie die vorbereitete Schulstunde zu Ende geht, kann sich trotzdem jeder hier in diesem Kreis vorstellen. Die Schüler tragen das Wort auf die mittlere Tafel ein, schreiben es als Schloßattacke, weil sie aufgrund ihrer Wahrnehmungen und Erkenntnisse im Laufe einer einzigen Schulstunde dazu befähigt werden, daß sie die kürzestmögliche und formelhafte Fassung der Regel kapieren. Sie heißt genau genommen: „SS am Silbenschluß bringt Verdruß!“
Nur ein Rechtschreibreformer würde das Wort nach dieser Beispielstunde auf die rechte Tafelseite eintragen, und er würde das Wort wie folgt trennen: „Schlossa-
ttacke.“
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