Dem Volk aufs Maul ...
Zum Eintrag von L. Willms vom 27.02.2004, 23:29
Glauben Sie wirklich, daß man bei Google dem Volk aufs Maul schaut -- oder eben auf
die Tastatur?
Und wer oder was ist das Volk? Nur diejenigen, die sich einen Computer leisten können und
einen Internetanschluß haben?
Es dürfte z.B. den Organisationen, die von der Rechtschreibreform profitierten, leicht fallen,
genügend reformierte Texte ins Web zu stellen, so daß das Suchergebnis von Google verfälscht
wird.
''Dem Volk aufs Maul schauen'' ist doch nur eine Redensart, die Volksnähe suggerieren soll.
Ist Volksnähe in der Rechtschreibung überhaupt wünschenswert? Wenn ja, dann könnte man sie
getrost gleich ganz abschaffen, ist es doch offensichtlich schwierig, den Sinn von Normung
an Leute zu vermitteln, die unmittelbar von dieser Normung überhaupt nicht profitieren. Das
ist doch gerade die Schwachstelle, die die Reformer ausntzten, um ihre Reform durchzusetzen.
Rechtschreibung hat den Sinn, Gesprochenes oder Gedachtes so niederzulegen, daß es an
anderen Orten und zu anderen Zeiten möglichst unverfälscht wiedergegeben und verstanden werden kann.
Das steht natürlich in einem gewissen Widerspruch zur nach nur oberflächlicher Betrachtung
wünschenswerten Volksnähe. Man darf nicht erwarten, daß Rechtschreibung beides sein kann,
volksnah und und eindeutig, insbesondere auch, da es ''das Volk'' als homogene Einheit nicht gibt.
''Das Volk'' ist ein Konstrukt, das von Ideologen benutzt wird, um ihre ideologischen Wahnvorstellungen
den Leuten aufzuzwingen. Rechtschreibung entsteht aber aus der Notwendigkeit oder den Wunsch, sich
anderen an anderen Orten zu anderen Zeiten unmißverständlich mitzuteilen, also eben gerade diese Volksnähe
abzuschütteln. Das geht aber nur über einen einmal möglichst eindeutig festgelegten Code, eben einer
Hochsprache und ihrer Rechtschreibung.
Da die Hochsprache eben über all den divergierenden Bestrebungen innerhalb des eben inhomogenen Gebildes
''Volk'' steht, taugt sie als allgemeines Verständigungsmittel für jeden. Volksnähe als ''Qualitätsmerkmal''
ist letztlich nichts anderes als ein Rückfall in die Kleinstaaterei, die wir glücklicherweise bis vor
ein paar Jahren überwunden hatten. Wer ''Volksnähe'' in der Rechtsschreibung will, der sollte konsequenterweise
auch wieder Zollstationen und Mauthäuschen an den Gemarkungsgrenzen aufstellen.
Gast xxx
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