Moden, Manipulation und Sprache
Eine Sprache bietet eine Reihe von Ausdrucksmöglichkeiten, der jeweilige
Sprecher sucht sich situationsbedingt eine davon aus. Andere Sprecher suchen
sich andere aus. Es mag sein, daß bestimmte Möglichkeiten häufiger benutzt
werden als andere, das heißt aber noch lange nicht, daß die anderen
Ausdrucksmöglichkeiten deswegen nicht mehr benutzt oder gar verstanden werden.
Das bedeutet auch noch nicht, daß man daraus schon einen ''Sprachwandel''
ableiten könnte. Man ist da viel zu voreilig!
Eine Sprache ist also eher einem Baukasten vergleichbar, aus dem man
sich passend erscheinende Teile aussucht, um das gewünschte Spielzeug
daraus zusammenzusetzen bzw. die intendierte Bedeutung auszudrücken.
Wenn also bestimmte Bausteine nicht oder nur selten benutzt werden, so
gehören sie doch immer noch zum selben Baukasten! Für den Aufbau eines
neuen Spielzeugs werden sie dafür vielleicht umso dringender benötigt,
je nachdem wie weit der Sprecher in seiner Entwicklung fortgeschritten
ist.
Eine Sprache besteht doch nicht nur aus dem, was aktuell von einer
Mehrheit gesprochen wird, sondern auch noch aus dem, was zwar nicht mehr so
häufig gesprochen, aber trotzdem noch verstanden wird. Letzteres mag zwar
seltsam, sprich ''altertümlich'' klingen, doch auch manches, was heute
''modern'' erscheint, klingt eher seltsam. Die vielen sinnlosen Anglizismen
sind das beste Beispiel dafür. Gutes Deutsch ohne diese ist immer noch
verständlich, auch für diejenigen, die sie benutzen. Der Fairneß halber muß
hier angemerkt werden, daß es auch einige sinnvolle Anglizismen gibt, so
z. B. aus dem Computer- und Internetbereich. Warum soll ich z.B. ein neues
deutsches Wort für das Internet benutzen, wenn das Wort ''Internet'' bereits
eingeführt und weltweit verständlich ist. Das dafür intentierte deutsche
Wort ist aber nur im deutschsprachigen Raum verständlich und kann auch
mißverstanden werden. Es klingt, als ob es aus einem Fantasy-Roman stammen
könnte. Hier unnötigerweise ein deutsches Wort einzuführen ist auch eine
Verschwendung von Wortressourcen. Man sollte auch bedenken, daß in Deutschland
fast alle Menschen mehr oder weniger gut Englisch sprechen oder verstehen,
so daß es unnatürlich wäre, wenn es im Deutschen keine Anglizismen gäbe oder
wenn man sie künstlich unterdrücken wollte.
Es ist natürlich immer möglich, daß Formen, die für einige Zeit weniger
gebräuchlich waren, wieder ''reaktiviert'' werden, z.B. durch Sendungen
im Fernsehen oder weil Menschen bewußt verhindern wollen, daß solche
Ausdrucksmöglichkeiten aussterben. So hat z.B. eine Mitstudentin das Wort
''alldieweil'' desöfteren benutzt, weil sie damit verhindern wollte, daß
es ausstirbt. Laut meinem Schülerduden bedeutet dieses Wort ''weil'', was
natürlich kürzer und daher sprachökonomischer ist! Dies gilt auch für das
Weglassen von Flexionsendungen, kann dann aber zu Mißverständnissen führen,
oder dazu, daß die Wortstellung die in der Flexionsendung ausgedrückte
Bedeutung mit übernehmen muß. Das führt dann zu einer Verringerung der
Flexibilität der Sprache. Wo also Flexibilität, Ausdruckssicherheit,
Unmißverständlichkeit und ein gewisses Niveau sowie Poesie nötig sind,
wird man auch die klassischen Formen finden.
Man sollte also zwischen der Benutzung einer Sprache im Alltag, in der das
Prinzip der Ökonomie zur Geltung kommt, sowie der Benutzung ein und derselben
Sprache in z.B. der Literatur, in der andere Prinzipien zum Tragen kommen,
unterscheiden. Es ist faszinierend, daß ein und dieselbe Sprache beides abdecken
kann!
Kinder lernen ihre Muttersprache in hohem Maße auch von ihren Großeltern.
Jede Sprachveränderung in der Elterngeneration wird dadurch relativiert.
Leider wird diese Bewertungsfunktion durch die Großeltern heute zunehmend
geringer, da auch hier das Fernsehen und das Internet immer mehr Einfluß
gewinnen. Langfristig gesehen heißt Sprachpflege betreiben also auch, diesen
Einfluß zurückzudrängen.
Die Rechtschreibreform zehrt noch von der bisherigen Güte der deutschen Sprache,
d. h., die Folgen der aufgezwungenen Veränderungen werden nicht sofort sichtbar.
Ihre Sprecher, selbst wenn sie reformiert schreiben und sich einer
mediengerechten Aussprache bedienen, wissen noch, was der andere will, weil sie
noch genug vom Hochdeutschen und von klassischer Rechtschreibung mitbekommen
haben -- auch wenn sie das nicht wahrhaben wollen --, so daß sie die
reformbedingten Sinnentstellungen rekonstruieren können. Hält die jetzige
Situation jedoch noch einige Zeit an, so werden wir uns bald nur noch mit Mühe
verstehen können. Und wer macht sich schon die Mühe, den anderen verstehen zu
wollen?
Ich habe den Eindruck, daß die Sprachwissenschaftler unter den Reformgegnern
noch immer nicht bemerkt haben, daß alle ihre Theorien über den ''Sprachwandel''
im Zeitalter der elektronischen Medien relativiert werden müssen. Durch diese
Medien ist es möglich, ''Sprachwandel'' zu provozieren oder es zumindest zu
versuchen. Dies wäre z.B. vor 100 Jahren noch kaum möglich gewesen. So besteht
die Gefahr, daß, wenn man den ''tatsächlichen Sprach- bzw. Schreibgebrauch''
zur Grundlage für ein Wörterbuch macht, wie Herr Ickler das befürwortet, man
die Sprachgemeinschaft nur noch einem höheren Manipulationsdruck durch die
Medien aussetzt, weil, wer Sprachmanipulation betreiben will, dann seine
Vorstellungen von Sprache über die Medien den Sprechern aufzwingen muß. Gelingt
ihm das, so wird diese von ihm gewünschte Änderung zur Regel, die Manipulation
hatte Erfolg. Gelingt es nicht, so gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hatte
das Neue überhaupt keinen Einfluß oder der resultierende Effekt entsprach nicht
den Erwartungen. Auf jeden Fall wird man daraus lernen und so seine
Vorgehensweise verbessern.
Dabei ist der Begriff ''Sprachwandel'' selbst mißverständlich, impliziert
dieser doch einen Wandel der Sprache aus der Sprache selbst. Hier geht es
aber um die von außen provozierte Veränderung der Sprache durch Sprach- bzw.
Rechtschreibreformen und Medien, die man mit dem beschönigenden Begriff
''Sprachwandel'' zu kaschieren sucht. Ähnliches gilt auch für den Begriff
''Sprachentwicklung''!
Ich habe desweiteren den Eindruck, daß manche Reformgegner nur allzugerne
auf Moden in der Sprache einzugehen bereit sind, um ihre demokratische Gesinnung
-- im Gegensatz zu der undemokratischen Vorgehensweise der Reformer --
aufzuzeigen.
Sprache ist in dem Sinne demokratisch, daß jeder ihrer Sprecher an ihr
teilnimmt, sogar einen gewissen -- zumeist minimalen -- Einfluß auf sie hat;
Sprache ist in dem Sinne undemokratisch, daß sie ihren Sprechern notwendig
Regeln und Bedeutungsfestlegungen auferlegt, an die sie sich halten müssen,
wenn sie verstanden werden wollen oder wenn sie ältere Texte versehen wollen.
Auch hier ist es natürlich immer möglich, andere Regeln und Festlegungen
einzuführen, was zu Bildung einer neuen Sprache führen kann. Da diese zumeist
nur auf wenige Sprecher beschränkt bleiben wird, sollte man da eher von einer
Geheimsprache spechen, denn wer macht sich schon die Mühe, etwas zu lernen,
was im normalen Leben keinen Nutzen bringt, es sei denn, er wird dazu gezwungen.
Erwachsene werden unter Zwang kaum etwas lernen, aber Kindern, denen der
Zwang nicht ersichtlich ist, schon. Darauf setzen die Reformer!
Wer etwas zu sagen hat und daher verstanden werden will, benutzt die klassische
Rechtschreibung, wer die Reformschreibung benutzt, hat nichts zu sagen!
Gast xxx
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