Betriftt: Lesefreundlichkeit
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer (03.04.2004, 00.33 Uhr)
Noch einmal zur Lesefreundlichkeit. Man müsste das schon empirisch untersuchen. Ich gehe davon aus, dass eventuelle Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit zu gering sind, um überhaupt messbar zu sein.
Die Lesegeschwindigkeit ist nur ein mögliches Kriterium, ein anderes ist, mit welcher Trefferquote Fehler gefunden werden: Man lege denselben Text, der einmal in der Adelungschen, einmal in der Heyseschen s-Schreibung gehalten ist und diverse s-Schreibungsfehler enthält, zwei unterschiedlichen Personengruppen vor, die mitgeteilt bekommen, nach welcher der Regeln der Text geschrieben sein soll und die entsprechende Fehler bei möglichst zügigem Lesen erkenen sollen. (Das nur, um die Idee zu veranschaulichen, ohne auf weitere Details, die man dabei bedenken müßte, näher einzugehen.) Man kann objektiv sagen, dass bei Adelung Morphemgrenzen etwas häufiger durch ß verdeutlicht werden als bei Heyse. Aber es dürfte eins dieser Argumente sein, die nichts wiegen. Sie widersprechen sich, lieber Herr Fleischhauer: Erst plädieren Sie für eine empirische Untersuchung (was auch ich befürworte), dann aber mutmaßen Sie bereits, daß eines der wichtigsten Argumente, die es zu überprüfen gilt (Relevanz der Morphemgrenzenkennzeichnung durch ß), eines derer ist, »die nichts wiegen«. An anderer Stelle hatten Sie geschrieben: »Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir uns, was die Überlegenheit der Adelungschen Schreibweise betrifft, zu viele Argumente einfach aus den Fingern saugen. Meines Erachtens gibt es Überlegenheit nur in dieser Hinsicht: Adelung kennt kein sss.« Bleiben Sie nun wenigstens bei der letztgenannten Aussage? ß ist ja nicht einmal ein reiner Schlussbuchstabe (Straßenbahn/Straßarmband). Soweit ich es mitbekommen habe, wurde bislang nur von Schlußbuchstabigkeit gesprochen, die sich beim ß finden lasse. Herr Markner hat andernorts (Morbus Wußtsein ?) bereits darauf hingewiesen, daß »niemand behauptet [hat], daß das ß ein Schlußbuchstabe im strengen Sinne sei, also entsprechend dem runden s der Fraktur. Gleichwohl erfüllt es aber diese Funktion in den vielen hier schon oft thematisierten Wörtern wie Eßecke, Meßergebnis, Schloßstraße.« Ich habe deshalb von den beiden Funktionen des ß gesprochen, die es da, wo es (egal, ob nach Adelung oder nach Heyse) steht, immer hat: Es zeigt a) einen stimmlosen (scharfen) s-Laut an, der b) ausschließlich zu genau einer Silbe gehört. Das wird durch Ihre Beispiele Straßenbahn, Straßarmband eindrucksvoll unterstrichen, und es gilt auch bei mußt, gestreßt etc. Wir sind immer in Gefahr, die Lesbarkeit nach unseren ästhetischen Vorurteilen zu bewerten. Auch wenn ich Ihnen darin zustimme, daß persönliche Vorurteile bei der Beurteilung der Lesbarkeit eine Rolle spielen, so handelt es sich, was beispielsweise die Drei-Konsonanten-Regel betrifft, dabei nicht nur um unsere eigenen, sondern auch um die Vorurteile verschiedener Herrschaften der vergangenen Jahrhunderte, die sich für das in der herkömmlichen Rechtschreibung übliche Verfahren ausgesprochen haben.
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Jan-Martin Wagner
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