Ahnen
Die SPIEGEL-Redakteure haben ihre Sache gut gemacht. Der Text wurde ja, wie üblich, Frau Ahnen bzw. ihren Aufsehern vor der Veröffentlichung vorgelegt, und da konnte man sie schlecht noch krasser vorführen. Herr margel spielt darauf an, daß der SPIEGEL eigentlich mich als Gesprächspartner vorgesehen hatte, nach Ablehnung durch Frau Ahnen dann Herrn Munske, aber auch den wollte sie nach noch längerer Bedenkzeit nicht akzeptieren und überhaupt keinen Sprachwissenschaftler.
Ich habe das Gespräch ein bißchen durchkommentiert; hier ist es also noch einmal:
SPIEGEL-GESPRÄCH: „Wir werben um die Kritiker“
(Spiegel Nr. 48, 22.11.04)
Doris Ahnen, 40, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, über den Widerstand in der Bevölkerung gegen die reformierte Rechtschreibung, über die Fehler des Regelwerks und die Hoffnung, den orthografischen Frieden wiederherzustellen
SPIEGEL: Frau Ahnen, ein Vierteljahrhundert lang haben Experten an der Rechtschreibreform getüftelt. Von vielen Sprachwissenschaftlern und Schriftstellern wird das Ergebnis nach wie vor heftig kritisiert. Schüler lernen eine andere Rechtschreibung, als sie von vielen Literatur-, Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen angewendet wird.
Ahnen: Ich wehre mich gegen den permanent vermittelten Eindruck, da hätten ein paar Politiker oder Beamte am grünen Tisch gesessen und entschieden, wie geschrieben werden soll. Mit der Reform waren vor allem Sprachwissenschaftler befasst, was auch richtig gewesen ist.
Kommentar: Die Reform von 1996 hat kaum etwas mit den vorbereitenden Arbeiten der Sprachwissenschaftler zu tun. Die ursprünglichen Pläne sahen vor: 1. Kleinschreibung der Substantive (dies war das alles überragende Hauptziel); 2. Tilgung der Dehnungszeichen (das jar, das bot); 3. weitgehende Fremdworteindeutschung (teater, filosofie); 4. Einheitsschreibung das auch für die Konjunktion. Als 1993 alle diese Pläne gescheitert waren, beschlossen die Reformer Hals über Kopf etwas ganz anderes, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Die Reform war auch von Anfang kein sprachwissenschaftlich begründetes Unternehmen, sondern ein Produkt der kulturrevolutionären Pädagogik und Deutschdidaktik der siebziger Jahre; das aufschlußreichste Dokument bleibt weiterhin „vernünftiger schreiben“, die Dokumentation zum Frankfurter GEW-Kongreß von 1973.
SPIEGEL: Aber die frühere Einheitlichkeit der Schriftsprache ist durch die Reform ohne Grund zerstört worden.
Ahnen: Sie ist nicht ohne Grund zerstört worden.
SPIEGEL: Aber dass sie zerstört worden ist, geben Sie zu?
Ahnen: Nein, das gebe ich nicht zu. Den Ansatzpunkt der Reform hat Konrad Duden doch schon vor über hundert Jahren formuliert: Wir haben zwar die Rechtschreibung vereinheitlicht, aber noch nicht vereinfacht. Die Frage für unsere Reform war also: Wie kann man die Orthografie so gestalten, dass sie besser erlernbar ist? Ich bekomme immer wieder um die Ohren gehauen, dies zum Maßstab zu machen. Aber das ist ein legitimer Maßstab. Denn wenn wir als Kultusminister für die Schule zuständig sind, haben wir uns auch darum zu kümmern. Ich finde, die Reform hat Vereinfachungen gebracht.
Kommentar: Das kann man nur „finden“, wenn man die Augen vor den Tatsachen verschließt. Aber schon die Subjektivität und Unbestimmtheit einer solchen Äußerung, wo angesichts der ungeheuren Bedeutung der Sache etwas mehr gefordert wäre, macht jede weitere Diskussion unmöglich. Wen interessiert, was Frau Ahnen „findet“? Wo bleiben die notwendigen Untersuchungen, die sonst jede Maßnahme dieses Umfangs begleiten?
SPIEGEL: Der Leipziger Pädagogikprofessor Harald Marx hat 1200 Diktate in alter und neuer Rechtschreibung verglichen und festgestellt, dass heute wesentlich mehr Fehler gemacht werden.
Ahnen: Es gibt meines Wissens in Österreich eine Studie, die genau das Gegenteil belegt.
Kommentar: Diese „Studie“ hat Professor Jörg Baumberger in der Neuen Zürcher Zeitung vom 28.9.2004 in ihrer ganzen Lächerlichkeit entlarvt: „'13 Prozent weniger Fehler dank der Reform' Wenn Bildungsforschung politische Karriere macht“. Hier ein Auszug:
Während eine stattliche Zahl reiner Meinungsbefragungen besteht, scheint nur eine quantitative empirische Studie zu existieren: Sie wurde 1996/97 am Wiener Gymnasium Sacré Cœur mit 27 Schülerinnen im Alter von 15 bis 16 Jahren durchgeführt. Alle 27 Mädchen gehörten zur gleichen Klasse desselben Jahrgangs derselben Lehrerin. Die Lehrerin ist gleichzeitig die Autorin der Studie. Alle Mädchen genossen in der Zeit, in der sie von der Lehrerin gemeinsam unterrichtet wurden, denselben Unterricht. Die Schule hatte die Umstellung schon ab Schuljahr 1995/96 verfügt. Um ein unverzerrtes Bild der Untersuchung zu vermitteln, gibt man am besten der Autorin selbst das Wort:
«Ich habe zwei Schularbeiten in schweizerischem Jargon wohl: frei formulierte Aufsätze, d. Verf. (beide zweistündig) als Textkorpus verwendet und Fehler- und Neuschreibungen jeder Schülerin gelistet. Dann habe ich die Mädchen befragt, welche Norm sie in welchem Ausmass beim Schreiben bewusst verwenden. 10 Schülerinnen erklärten, alt zu schreiben, 5 neu und der Rest (12) gab verschiedene Mischformen an (. . .). Diese Aussagen habe ich mit dem individuellen Schreibverhalten in den beiden Schularbeitentexten verglichen und so festgestellt, welche Neuschreibungen bewusst gesetzt und welche passiert sind. (Wo ich Zweifel hatte, habe ich nachgefragt.) (. . .) Ich habe die Mädchen in Alt- und Neuschreiberinnen eingeteilt. Die beiden Schülerinnen, die nur die Beistriche neu schreiben, habe ich zu den alten Schreiberinnen gerechnet. (. . .)»
Zunächst fällt in dieser Studie auf, dass es keine echte Altorthographiegruppe gibt. Alle 27 Sacré-Cœur-Mädchen hatten in der letzten Zeit vor dem Test dieselbe neue Orthographie als die zumindest künftig korrekte Orthographie kennen gelernt. Interessant ist auch die Wahl des Testtextes: Der Schulaufsatz ist ein Format, wo jeder Schüler seine Wörter und Sätze und damit auch den Anspruchsgrad seines Vokabulars selbst wählt. Erstaunlich sind auch Zahl und Auswahl der Probandinnen. Man muss nicht achtzig Millionen Deutschsprechende testen, aber ein Pool mit 12 Alt- und 15 Neuschreiberinnen, welche zudem erst ex post ihren Gruppen zugeteilt werden, wirft sehr wohl methodologische Fragen auf.
SPIEGEL: Die Zeitschrift „Praxis Deutsch“ veröffentlichte 1985 eine Untersuchung von 2000 Schulaufsätzen. Die 50 häufigsten Fehler waren solche, die von der Reform gar nicht betroffen sind.
Ahnen: Wir haben die Reform nicht nach dem Motto gemacht: „Wo entstehen die meisten Fehler?“ Es ging um die Frage, wie kann man Dinge leichter erklärbar machen, wie kann man sie logischer gestalten, wie kann man die Anzahl der Regeln reduzieren. Es sind hundert weniger als früher.
Kommentar: Hier irrt Frau Ahnen: Die Rechtschreibreform ist ursprünglich sehr wohl zur Beseitigung der häufigsten Fehler gedacht gewesen. So kam man auch darauf, neben der Kleinschreibung die Einheitsschreibung das (auch für die Konjunktion) vorzuschlagen, denn diese Fehlschreibung ist in der Schule bei weitem der häufigste Einzelfehler. Die „gemäßigte Kleinschreibung“ ist zweihundert Jahre lang als „Crux der Deutschlehrer“ apostrophiert worden, weil sie die häufigste allgemeine Fehlerquelle ist.
Das Täuschungsmanöver mit der angeblich reduzierten Zahl der Regeln ist schon vor Jahren aufgedeckt worden. Das neue Regelwerk ist in Wirklichkeit umfangreicher als das bisherige. In einem internen Papier der Dudenredaktion von 1996 heißt es:
„Neuregelung: Das amtliche Regelwerk ist in 112 Hauptregeln gegliedert.
Umsetzung: Die Dudenrichtlinien werden auch künftig Hinweise enthalten, die über den rein orthographischen Bereich hinausgehen. Durch Neustrukturierung und vor allem durch Zusammenfassung einzelner Regeln und Regelbereiche wird die Zahl der Richtlinien von 212 auf 136 gesenkt.
Begründung: Die inhaltlich falsche, aber politisch wirksame Formel ,aus 212 mach 112‘ muß auch im Duden ihren angemessenen Ausdruck finden.“
Die Dudenredaktion bekannte sich also zur Mitwirkung an einem Täuschungsmanöver. (Erst mit der zweiten Auflage im Jahre 2000 wird die Camouflage aufgegeben; s. u.) Auch der Vorsitzende der KMK, Rolf Wernstedt, behauptete noch im Herbst 1997, die 212 Dudenregeln seien auf 112 reduziert worden. Diese unwahre Behauptung war seither unzählige Male zu hören.
Zunächst ist schon die Zahl 212 falsch. Von den 212 Richtlinien des Duden beziehen sich 26 gar nicht auf orthographische Fragen, 6 sind Doppelanführungen (wegen der alphabetischen Anordnung), und weitere 9 werden ausdrücklich als bloße Zusammenfassung der Kommaregeln dargestellt. Es gibt also nur 171 numerierte orthographische Richtlinien und nicht 212.
Im übrigen betrifft diese Zahl ebenso wie die Zahl 112 für das neue Regelwerk nur die Numerierung und nicht die wirkliche Anzahl der Regeln, die im Falle der Neuregelung weit über 1000 liegt (nach einer Untersuchung von Werner H. Veith).
Ebenso unsinnig ist die Behauptung, 52 Kommaregeln seien auf 9 reduziert worden. In Wirklichkeit haben die neuen Kommaregeln den gleichen Umfang wie die alten (rund 10 DIN-A4-Seiten), nur die Numerierung hat sich geändert.
SPIEGEL: Der neue Duden braucht aber nicht viel weniger Paragrafen als früher, um diese Regeln zu erklären. Im Übrigen muss man sich mit der neuen Rechtschreibung auch auf ein neues Lesen umstellen – und das ist schwieriger geworden.
Ahnen: Das Lesen ist nicht schwieriger geworden. Denn von der Reform sind nur zwei Prozent der Wörter betroffen. Und bei 95 Prozent dieser Wörter geht es um die neue Doppel-s-Schreibung. Deswegen hat niemand Probleme, einen Text zu verstehen.
Kommentar: Man kann auch verstümmelte und orthographisch verwahrloste Texte verstehen. Darum geht es nicht, sondern um eine in Jahrhunderten gereifte, einer Kultursprache angemessene Orthographie, die es dem Leser leicht macht, auch differenzierte Ausdrucksweisen nachzuvollziehen. Es gibt unzählige Belege für Leseerschwernis durch die Neuregelung. Im übrigen: Wie soll es nennenswerte Erleichterungen geben, wenn sich so wenig ändert, wie Frau Ahnen behauptet? (Die Neuregelung ändert rund 8 Prozent des Wortschatzes – ohne Silbentrenung!)
SPIEGEL: Die neuen Kommaregeln erschweren das Verständnis. Die Nachrichtenagenturen sind deshalb zu den alten Kommaregeln zurückgekehrt.
Ahnen: Gerade bei den Kommata ist die Regelung freier geworden.
SPIEGEL: Aber auf Kosten der Verständlichkeit des Satzes.
Ahnen: Ich kann nicht erkennen, wo hier die Verständlichkeit beeinträchtigt worden ist.
Kommentar: Besonders in Schul- und Kinderbüchern werden Kommata nun nach dem Zufallsprinzip gesetzt und weggelassen. Das hat der Klett-Schulbuchverlag ausdrücklich bestätigt. Noch in den jüngsten Jahrgangsstufentests werden unter genau gleichen Bedingungen die Kommata mal gesetzt, mal weggelassen:
Die Indianerstämme in Amerika feierten früher ein prächtiges Fest um den Regen anzulocken. (...) Feierlich bliesen Priester aus Tonpfeifen Rauch in alle Himmelsrichtungen, um Regenwolken herbeizulocken.(...) Man muss kein Detektiv oder Spion sein um ihn zu entschlüsseln. (8. Klasse Gymnasium in Bayern)
Das ist äußerst verwirrend und pädagogisch ungeschickt, weil es den Eindruck völliger Beliebigkeit erzeugen muß. Die Reformer selbst lassen die Kommata nie weg, die jetzt weggelassen werden dürfen.
Es gibt unzählige Texte der folgenden Art, die durch das Weglassen der Kommas schwerverständlich werden: Um weitere Bruderkriege unter den Stämmen zu vermeiden griffen Abu Bakr und sein Nachfolger Umar auf den Plan Mohammeds zurück den islamischen Staat nach Norden zu erweitern. (Geschichtsbuch 1, Cornelsen)
SPIEGEL: Das machen die Nachrichtenagenturen doch nicht aus Jux.
Ahnen: In Ihrer Fragestellung tun Sie so, als würden die Dinge nicht im Kontext gesehen. Gerade wenn man liest, erschließt sich das Verstehen im Zusammenhang.
SPIEGEL: „Die sogenannten Reformer werden von manchen nur so genannt“ – nach den neuen Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung ist es gleich, wie man „so genannt“ schreibt, obwohl die Bedeutungen unterschiedlich sind. Beide Varianten sind zugelassen. Warum verzichtet die Reform auf die Feinheiten der Sprache?
Ahnen: Sie verzichtet nicht darauf. Noch einmal: Die Wörter stehen doch nicht allein da. Die Unterschiede sind auch hier durch den Kontext erkennbar. Und das erwarten wir von den Schülern. Wir wollen ihre Fähigkeit stärken, Texte zu verstehen.
SPIEGEL: Aber der Kontext klärt nicht alles: Sind Sie eine wohlbekannte Ministerin oder eine wohl bekannte Ministerin?
Ahnen: Ich sehe nicht, dass durch die Veränderungen, die vorgenommen wurden, die Lesbarkeit von Texten beeinträchtigt wird. Auch nicht, dass das Zulassen von Varianten die Verständlichkeit einschränkt.
Kommentar: Der führende Reformer Dieter Nerius hat – ebenso wie seine Mitreformer – immer wieder hervorgehoben, daß das Wesen einer orthographischen Regelung selbstverständlich in der Einschränkung und Beseitigung von Varianten besteht. Auch die ständig wiederholte Berufung auf den Kontext, der angeblich alles klärt, steht im Gegensatz zu allen Bemühungen der Orthographen und stimmt keineswegs mit den Absichten der Reformer überein. Ein sehr routinierter Leser kann auch Texte lesen, in denen zum Beispiel alle Vokale fehlen, während gerade der junge Leser alle Erleichterungen dringend braucht, die sich in der Schriftgeschichte herausgebildet haben.
Der deutsche „Beirat“ schrieb: „Variantenschreibungen setzen den Schreiber unter Entscheidungszwang und tragen in Ermangelung einer konsistenten Variantenführung häufig zur Verunsicherung bei. Deshalb sollen auch im zweiten Teil des Berichts die Vorschläge nicht berücksichtigt werden, die zu wesentlich mehr Varianten führen.“ (Dritter Bericht ... S. 129) Nur aus Verlegenheit werden immer weitere Varianten eingeführt. Vor der Reform hat man dasselbe als „Zonen der Unsicherheit“ angeprangert, was man jetzt als neueste Errungenschaft anpreist.
SPIEGEL: Jedenfalls herrscht eine heillose Schreibverwirrung. Seit die Reform vor acht Jahren beschlossen wurde, hat eine Kommission das Regelwerk viermal nachgebessert, die Zahl der Ausnahmen vergrößert, Einzelteile auf den alten Stand zurückgefahren und dabei Inkonsequenzen in Kauf genommen. „Halbtrocken“ wird zusammengeschrieben, „halb tot“ aber auseinander.
Ahnen: Dann nenne ich Ihnen ein anderes Beispiel. Ein Kind lernt das Wort „Platz“. Mit der neuen Rechtschreibung kann es das Verb logisch ableiten, nämlich „platzieren“. Nach der alten Rechtschreibung hätte es „plazieren“ schreiben müssen. Zur „heillosen Schreibverwirrung“: Man kann wirklich alles umdrehen! Die Reform hat auf Kritik reagiert und sie aufgenommen, und im Nachhinein wird eine Verwirrung beklagt. Wir haben uns immer um einen Prozess der Akzeptanz bemüht. Akzeptanz heißt aber auch, dass man die Dinge nicht lupenrein umsetzen kann. Man muss Kompromisse schließen. Das hat aber nicht zur Verwirrung beigetragen. Was die Betroffenen verwirrt und verunsichert hat, war die öffentliche Debatte, als einige gesagt haben, wir machen da nicht mit.
Kommentar: Das Wort plazieren ist nicht von Platz abgeleitet. Manche Kinder mögen auf solche Gedanken kommen (falls sie das Wort überhaupt gebrauchen, was eher ja unwahrscheinlich ist), aber was macht man mit den Erwachsenen und mit jenen Schülern, die es besser wissen und sprachrichtig plazieren (und keineswegs deplatziert!) schreiben wollen? Sie bekommen einen Fehler angerechnet, denn die von Gerhard Augst erfundene Neuschreibung ist die einzig zugelassene! (Übrigens werden bis auf seltene Ausnahmen [grundieren] von deutschen Grundwörtern keine Verben auf -ieren abgeleitet.)
Die Kommission hat bisher nur die allerunhaltbarsten Fehler korrigiert bzw. durch die richtigen Schreibweisen als „Varianten“ ergänzt, aber es bleibt noch genug des Unsinnigen und grammatisch Falschen, das den „Sprachwissenschaftlern“ ein schlechtes Zeugnis ausstellt.
SPIEGEL: Wenn Ihnen alle gefolgt wären und die Rechtschreibregeln wie ein neues Steuergesetz akzeptiert hätten, wäre alles in Butter gewesen?
Ahnen: Ich würde die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung niemals mit einer Steuerreform vergleichen. Ich lege großen Wert darauf, dass es sich bei der Rechtschreibung immer um Entwicklungsprozesse handelt, deren Ausgang immer auch ein Stück offen ist. Deswegen hat es Übergangsfristen gegeben und einen kontinuierlichen Prozess der Umstellung in den Schulen. Wir haben darum geworben und darauf gehofft, dass sich möglichst viele Privatpersonen anschließen, weil wir das insbesondere mit Blick auf Eltern und Kinder gut finden.
Kommentar: Wenn man wirklich den „Entwicklungsprozessen“ ihren Lauf lassen will, kann man sie nicht durch einen so unerhörten staatlichen Eingriff unterbrechen. Übergangsfristen haben damit nichts zu tun. Auch die Ökosteuern werden schrittweise umgesetzt, aber dadurch werden sie nicht zu einem „Entwicklungsprozeß“, der mit der unbeeinflußten Sprachentwicklung vergleichbar wäre. Das Beispiellose der Rechtschreibreform wird von Frau Ahnen nicht thematisiert.
SPIEGEL: Diese Hoffnung hat ja getrogen. Nach einer jüngsten Umfrage von Allensbach wollen sich 68 Prozent der Deutschen nicht auf die neue Rechtschreibung umstellen. Nur 19 Prozent haben es getan.
Ahnen: Ich bin etwas skeptisch gegenüber solchen Umfragen. Im April sollen es noch 30 Prozent gewesen sein, die die neue Rechtschreibung angenommen haben. Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass die 11 Prozent wieder zurückumgestellt haben!
SPIEGEL: Jedenfalls will eine Mehrheit nicht mitmachen.
Ahnen: Auch das braucht Zeit, und ich nenne Ihnen eine andere Umfrage: 70 Prozent der Unternehmen haben die Rechtschreibreform bereits umgesetzt und wollen dabei bleiben.
SPIEGEL: Die Unternehmen haben dazu das Signal von der Politik bekommen. Außerdem stehen sie in bürokratischen Zwängen, die sie berücksichtigen müssen.
Kommentar: In der Tat glaubten und glauben viele Unternehmen, daß die Rechtschreibreform mehr oder weniger „Gesetz“ sei. So teilte der ADAC mit: „Ab dem 31.07.2005 ist die neue Rechtschreibung Pflicht und die bisherige Schreibweise nicht mehr zulässig. Insofern haben selbstverständlich weder wir als motorwelt noch irgendeine andere Institution die rechtliche oder faktische Möglichkeit diese Reform rückgängig machen.“ (Die „motorwelt“ ist mit über 13 Mill. Exemplaren die meistgelesene Zeitschrift überhaupt.) Ähnlich die Zeitschrift TV HÖREN UND SEHEN. Der damalige Chefredakteur der WELT schrieb am 1. August 2000: „Dem Entschluß der Frankfurter Allgemeinen Zeitung können wir uns nicht anschließen, da uns das Ignorieren bestehender Rechtsnormen (!) beim besten Willen und trotz des verlockenden Ergebnisses nicht als Königsweg erscheinen mag.“ Solche Stimmen lassen sich vermehren; sie rühren wohl teilweise vom Nimbus des alten Duden als sozusagen „staatlicher“ Instanz her. Fast alle Zeitungen stellen Leserbriefe und sogar Familienanzeigen automatisch auf Reformschreibung um, wodurch der Eindruck flächendeckender „Akzeptanz“ suggeriert wird. In den Berichten der Zwischenstaatlichen Kommission wird so getan, als wüßte man nichts von diesen Zusammenhängen.
Ahnen: Die Schulen sagen uns eindeutig: Wir wollen nicht zurück. Die Umsetzung der Reform ist in den Schulen weitestgehend unproblematisch gelaufen. Das haben die Rückmeldungen ergeben. Man kann nicht so tun, als wären zwölf Millionen Schüler seit 1998 eine vernachlässigbare Größe.
SPIEGEL: Hat es jemals eine Überprüfung des angeblichen Erfolgs gegeben?
Ahnen: Viele Schulen und Lehrer haben sich gemeldet. Erst kürzlich hatte ich einen intensiven Austausch mit Vertretern der Schüler- und Lehrerschaft, die ein eindeutiges Votum abgegeben haben: nämlich bei der Rechtschreibreform zu bleiben. Die Schule ist ein sehr sensibles System. Wenn ich heute etwas verändere, bekomme ich morgen eine Reaktion, meist eine sehr kritische. Zum Thema Rechtschreibreform hielt sich die Kritik sehr in Grenzen.
Kommentar: Ich selbst habe in Gesprächen mit zahlreichen Lehrern ganz andere Auskünfte bekommen. Es gibt eben keine seriöse wissenschaftliche Begleituntersuchung zum Erfolg der Reform an den Schulen. Frau Ahnen redet um diese allgemein bekannte Tatsache herum.
Die soeben bekannt werdende zweite Pisa-Studie läßt auch nichts von den versprochenen wohltätigen Folgen der Rechtschreibreform erkennen.
Die „zwölf Millionen Schüler“ haben nur einen kleinen Ausschnitt aus der Neuregelung kennengelernt und praktizieren ihn mit mehr oder weniger Erfolg – hauptsächlich die Heysesche s-Schreibung, mit der es aber auch nicht besser klappt als früher. Auf allen übrigen Gebieten machen sie dieselben Fehler wie zuvor, und das Weglassen von Kommas, das jetzt „richtig“ sein soll, war schon immer beliebt. (Die neuen obligatorischen Kommas werden nachweislich weder von Schülern noch Lehrern noch Schulbuchredakteuren beherrscht.)
SPIEGEL: Dennoch ist die Reform alles andere als allgemein akzeptiert. Die Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen, viele Verlage sind es, renommierte Sprachwissenschaftler und zahlreiche Schriftsteller wie die Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek. Von einer Randgruppe kann nicht die Rede sein.
Ahnen: Eltern und Schüler sind auch keine Randgruppe.
SPIEGEL: Die Reform ist offensichtlich nur für Kinder gedacht und nicht für Schreibende und Leser.
Ahnen: Auch die Kinder sind Schreiber und Leser. Mit der Reform wollten wir zwei Dinge erreichen: einerseits den Sprachreichtum bewahren und andererseits den Kindern angesichts der vielen Ausnahmeregelungen und Sondertatbestände der alten Rechtschreibung entgegenkommen. Das ist ein legitimer Anspruch. Dass Schriftsteller ein ganz besonderes Verhältnis zu Sprache haben, fasziniert uns doch alle. Diese Perfektion im Umgang mit der Sprache werden aber die allermeisten von uns nicht erreichen. In der alten Rechtschreibung hat es zu viele Einzelregelungen gegeben. Immer weniger Menschen konnten in die Lage versetzt werden, sie sicher zu handhaben. Ihnen zu helfen, ohne der Schriftsprache Substanz zu nehmen, war das Ziel.
SPIEGEL: Aber es geht jetzt an die Substanz.
Ahnen: Aus meiner Sicht nicht.
Kommentar: Frau Ahnen hat offensichtlich keine genauere Kenntnis der orthographischen Tatsachen und Diskussionen; deshalb ist es nicht möglich, auf ihre vagen Äußerungen einzugehen. Sie kommt gar nicht auf den Gedanken, daß die bisherige Rechtschreibung nicht mit der gelegentlich etwas spitzfindigen Darstellung im Duden identisch gewesen sein könnte und keiner Reform, sondern nur einer besseren Darstellung bedurft hätte.
SPIEGEL: Die Schriftsteller sehen das ganz anders.
Ahnen: Es gibt Schriftsteller, die sich vor der Reform das Recht genommen haben, nach eigenen Regeln zu schreiben, und das tun sie nach der Reform auch. Das kritisiert niemand von uns.
SPIEGEL: Früher haben sich die Schriftsteller sehr wohl der Rechtschreibung, wie sie der Duden formuliert hat, angeschlossen. Weil der Duden nicht in die Sprache eingegriffen, sondern die Entwicklung der Sprache nachgezeichnet hat. Jetzt hat die Politik aber massiv eingegriffen.
Ahnen: Der Duden hat auch Neuerungen festgelegt.
Kommentar: Welche sollten das gewesen sein?
SPIEGEL: Diese Neuerungen stammten aus empirischen Beobachtungen. Die Dudenredaktion hat sie sich nicht ausgedacht. Aus freien Stücken hätte sie niemals „schnäuzen“ mit „äu“ geschrieben.
Ahnen: Die Reform hat viele Veränderungen in der Schreibentwicklung aufgenommen. Das ist auch das einzig vernünftige Verfahren für die Zukunft. Genau das ist die Aufgabe des neuen „Rats für deutsche Rechtschreibung“: beobachten, wie sich die Schriftsprache entwickelt, daraus Konsequenzen ziehen und Veränderungen ins Regelwerk einarbeiten. Was bisher geleistet wurde, war eine einmalige systematische Veränderung, die nach einer jahrzehntelangen Diskussion zu einem Ergebnis geführt hat. Und jetzt ist der Rat am Zuge.
Kommentar: Die Reform hat so gut wie keine Veränderungen in der Schreibentwicklung aufgenommen, außer ein paar Fremdworteindeutschungen und allenfalls der Zusammenschreibung bei umso und sodaß/sodass. Im zentralen Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung hat sie sich sogar ausdrücklich zum Ziel gesetzt, der tatsächlichen Sprachentwicklung „entgegenzuwirken“. Auch die immer weiter getriebene Großschreibung in Floskeln wie im Allgemeinen, bei Weitem usw. führt weit ins 19. Jahrhundert zurück.
SPIEGEL: 36 Mitglieder soll dieser Rat haben, jeweils 9 aus Österreich und der Schweiz, 18 aus Deutschland. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich immer damit gerühmt, wie plural der Rat besetzt sei. Aber unter den deutschen Sitzen sollten nur vier mit Reformgegnern besetzt sein, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, das PEN-Zentrum (je ein Sitz) und die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (zwei Sitze). Die beiden letzten haben dem Rat jetzt sogar eine Absage erteilt. Von Pluralität kann nicht die Rede sein. Darum sieht es so aus, als sollte der Rat das Bestehende lediglich bestätigen: eine Alibi-Veranstaltung.
Ahnen: Ich kann in diesem Rat keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse erkennen. Das Bild ist sehr differenziert. Es gibt jene, die die Reform befürworten, jene, die eine ambivalente Position haben, und jene, die die Reform kritisieren.
Kommentar: Der „Rat“ ist weitgehend identisch mit dem bisherigen „Beirat“. Dieser wurde erklärtermaßen auf Vorschlag der Zwischenstaatlichen Kommission selbst besetzt, die er eigentlich kontrollieren sollte: „Die Mitglieder des Beirats wurden von der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung der Kultusministerkonferenz der Länder vorgeschlagen (...)“ (Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V., eine der Mitgliedsorganisationen des Beirats). Daß die wenigen Kritiker jederzeit überstimmt werden können, wird schon durch die Doppelmitgliedschaft des Instituts für deutsche Sprache und die beiden Wörterbuchverlage garantiert, ganz zu schweigen von den Schulbuchverlagen, die sich öffentlich ihrer „massiven Einwirkung“ auf die Kultusminister zugunsten der Reform rühmen. Wieso Frau Ahnen hier keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse erkennen kann, bleibt rätselhaft.
SPIEGEL: Aber die wollen ja nicht mitmachen, weil sie von der Reform grundsätzlich nichts halten oder dem Rat in seiner jetzigen Form nicht trauen.
Ahnen: Erstens ist für Pluralität schon dadurch gesorgt, dass Wissenschaftler, Sprachpraktiker, also Publizisten, Schriftsteller und Lehrer, vertreten sind. Zweitens gehe ich davon aus, dass, wer im Rat sitzt, weder so noch so eine lupenreine Position vertreten kann. Denn der Rat hat den Auftrag, Gemeinsamkeiten zu finden. Deswegen müssen sich die Leute bewegen. Darum bedaure ich die Absage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung massiv und habe dem Präsidenten der Akademie, Klaus Reichert, sofort ein Gesprächsangebot unterbreitet.
SPIEGEL: Aber Reichert will nur mit Ihnen reden, wenn ein Gespräch auf der Grundlage seiner Kritik am Rat möglich ist.
Ahnen: Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, dass wir persönlich ins Gespräch kommen, möchte aber darauf hinweisen, dass es unüblich ist, für solche Gespräche Vorbedingungen zu stellen.
Kommentar: Frau Ahnen selbst und die KMK haben Vorbedingungen gestellt: die Reform bleibt, der Terminplan bleibt, und Änderungen sind nur in Details zulässig, die außerdem schon vorab im einzelnen benannt worden sind. Darauf kann sich kein Kritiker der Reform einlassen, ohne sich zu kompromittieren.
SPIEGEL: In einem Brief ermahnt Kulturstaatsministerin Christina Weiss die KMK, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Resultate des Rats stünden im Voraus fest. Außerdem dürfe der Rat nicht auf so wichtige Institutionen wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, das PEN-Zentrum und die Akademie der Künste, die gar nicht auf der Gästeliste steht, verzichten.
Ahnen: Wir werden um die Kritiker werben. Wir können den Rat aber nicht weiter vergrößern. Jeden Tag bieten uns andere Institutionen ihre Mitarbeit an. Es war eine schwierige Aufgabe, eine Auswahl zu treffen. Wir können aber auch den Rat nicht auf nur sechs Sitze verkleinern, wie es die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vorschlägt. Es wäre ein großer Fehler, ein Gremium einzusetzen, in dem beispielsweise die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger keinen Platz hätten. Wir müssen ein plurales Spektrum einbinden.
Kommentar: Es kommt nicht auf die Pluralität der beteiligten Branchen an, sondern auf die Pluralität der Meinungen über diese Rechtschreibreform. Frau Ahnen lenkt ab.
SPIEGEL: Aber wie soll ein so großes Gremium auf die Schnelle zusammenkommen und arbeiten können? Bis zur verbindlichen Einführung der Reform am 1. August 2005 ist nur wenig Zeit.
Ahnen: Der Rat ist doch so frei, sich selbst Strukturen zu schaffen, um effizient zu arbeiten. Man kann zum Beispiel kleine Arbeitsgruppen bilden, die sich mit verschiedenen Aspekten der Reform beschäftigen.
SPIEGEL: Aber über die gesamte Reform darf der Rat gar nicht diskutieren. Die umstrittene Groß- und Kleinschreibung ist tabu.
Ahnen: Der Rat hat ganz allgemein die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung zu bewahren, die Rechtschreibung auf der Grundlage des neuen Regelwerks weiterzuentwickeln. Zusätzlich sind im Hinblick auf den relativ engen Zeitraum bis August 2005 von der Ministerpräsidentenkonferenz und der KMK einige Bereiche benannt worden, die vorrangig diskutiert werden sollen.
SPIEGEL: Und wenn die von Ihnen umworbenen Kritiker am Ende wirklich nicht mitmachen?
Ahnen: Wir brauchen den Rat. Er ist vernünftig konstruiert. Es geht doch darum, dass sich die Rechtschreibung auch in Zukunft weiterentwickeln kann. Es gibt keine Zielvorgabe. Das heißt, es können sich Dinge durchsetzen oder auch nicht. Wir wollen jetzt in einen politikfernen Prozess der kontinuierlichen Sprachentwicklung übergehen.
Kommentar: Selbstverständlich gibt es eine „Zielvorgabe“, Frau Ahnen selbst hat sie mehrmals genannt. Die „kontinuierliche Sprachentwicklung“ ist durch die Reform in einem bisher nie dagewesenen Maße unterbrochen worden, was sogar kompromißbereite Beobachter wie Peter Eisenberg aufs schärfste formuliert haben.
Was einer kleinen Gruppe von reformwilligen Sprachwissenschaftlern in Jahrzehnten nicht gelungen ist, wird ein überdimensionales Gremium von so verschiedenen Delegierten in einigen Monaten auch nicht gelingen.
SPIEGEL: Hätte man diesen Rat nicht schon viel früher einsetzen müssen?
Ahnen: Erstens, es gab einen Beirat, der das Reformgremium beraten hat ...
SPIEGEL: Der Beirat ist von diesem Reformgremium nie ernst genommen worden.
Ahnen: In diesem Zusammenhang muss sich auch der Beirat selbstkritisch fragen, ob er seine Aufgabe mit der nötigen Intensität wahrgenommen hat. Zweitens fühlen sich Institutionen nur ernst genommen, wenn sie nicht nur angehört werden, sondern entscheiden können. Das kann der Rat jetzt. Das ist eine Konsequenz aus der Erfahrung mit dem Beirat.
Kommentar: Der Beirat hat sich mehrheitlich als weiteres Instrument zur Durchsetzung der Rechtschreibreform verstanden und war auch so konzipiert. Nach vertraulichen Berichten von Teilnehmern wurde die Diskussion völlig von den Wörterbuch- und Schulbuchverlagen beherrscht, beide die heftigsten Kämpfer für die Reform. Frau Ahnen sollte wenigstens die Stellungnahmen des Beirats zum dritten und vierten Bericht lesen, dann wäre sie sofort im Bilde.
SPIEGEL: Einer der Reformpolitiker, der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, hat schon vor Jahren gesagt, die Öffentlichkeit sei über die Rechtschreibreform so gut wie nicht informiert. Der Reformprozess war nicht demokratisch.
Ahnen: Es hat immer wieder öffentliche Anhörungen und Berichterstattungen gegeben. Nichtsdestotrotz will ich einräumen: Als klar wurde, dass die Reform umgesetzt werden würde, hätte man eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit betreiben müssen.
Kommentar: Von welchen „öffentlichen Anhörungen“ spricht Frau Ahnen? Es ist längst nachgewiesen, daß die Geheimhaltung eine Voraussetzung der Überrumpelungsstrategie war, mit der die Reform auf den Weg gebracht wurde: vorfristige Einführung an den Schulen und dann nur noch das Argument, ein Zurück sei nicht mehr möglich, weil die Schüler schon nach den neuen Regeln lernten – so ließ sich die KMK schon im Herbst 1996 vernehmen, zwei Jahre vor dem Inkrafttreten der Reform und wenige Wochen oder Tage nach dem Beginn des Schuljahres.
Wie die Politiker mit dem Ergebnis des Volksentscheides in Schleswig-Holstein umgegangen sind, ist bekannt.
SPIEGEL: Frau Ahnen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Johannes Saltzwedel und Christoph Schmitz.
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Th. Ickler
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