Spiegel verläßt die Kultusminister-Rechtschreib„reform“
>>Sehnsucht nach Sprachkultur – „Zwiebelfisch-Kolumnist Bastian Sick über die deutsche Sprache
Hamburg (ddp) – Bastian Sick ergründet die Auswüchse der deutschen Sprache. Woche für Woche schreibt der studierte Historiker und Romanist auf Spiegel Online in seiner Kolumne Zwiebelfisch Beiträge zur Sprachkultur. Sein Erstlingswerk Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod verkaufte sich in den vergangenen sieben Monaten fast 750 000 Mal. Im Herbst soll sein zweites Buch erscheinen.
Frage: Bei Ihrem Feingefühl für die deutsche Sprache ? haben Sie noch Freude daran, am Nachmittag den Fernseher einzuschalten?
Sick: Nein. Wir befinden uns gegenwärtig in einem Sumpf der Unkultur. Junge Menschen lassen sich Monate lang in einen Container sperren und beim Duschen filmen. Möchtegern-Stars essen vor laufender Kamera Insekten. Das ist visualisierter Schwachsinn. Wir sind aber an einem Punkt angelangt, an dem es wieder Sehnsucht nach Reinheit, Schönheit und Ästhetik im Ausdruck der Sprache und im täglichen Umgang miteinander gibt. Eine Sehnsucht nach Kultur.
Frage: Was treibt Sie an, sich mit den Stolperfallen der Grammatik und Rechtschreibung zu beschäftigen?
Sick: Es ist der Spaß und die Neugier. Bereits als kleiner Junge schrieb ich Geschichten und Theaterstücke, wenn auch in haarsträubender Orthografie. Meine Großmutter weckte meine Lust an Wörtern und Wortkompositionen ? mit ihr habe ich jahrelang nachmittags Scrabble gespielt und das Sprachgefühl trainiert. Beeindruckt haben mich immer auch alte amerikanische Spielfilme mit gut gemachten Synchronfassungen. Dieses flüssige, aber gelackte Deutsch von Carry Grant imponierte mir. Ich wollte immer sprechen wie er.
Frage: Welchen Moden ist die deutsche Sprache unterworfen?
Sick: In der Schriftsprache setzt sich eine Mode eher langsam durch. Eine Strömung ist beispielsweise die Auseinanderschreibung von Hauptwörtern, wie etwa die Zwiebelsuppe von Knorr. Auf der Verpackung wird sie in zwei Hauptwörtern, also Zwiebel und Suppe, geschrieben. Diese Moden kommen besonders aus der Werbung, dem Geschäftsdeutsch oder dem E-Mail-Verkehr.
Frage: Ist die gesprochene Sprache für Trends anfälliger?
Sick: Sprachmode ist immer auch an Generationen geknüpft. Die Kraftausdrücke sind ein gutes Beispiel dafür: Meine Generation hat nicht mehr dufte oder knorke gesagt, sondern super und geil. Die gegenwärtige Generation sagt dazu fett, krass und cool. Das hat sicher auch damit zu tun, welcher Schicht man sich zugehörig fühlt. Wer sich für besonders intellektuell und weltoffen hält, ist beispielsweise anfälliger für Anglizismen.
Frage: Die Rücknahme der Rechtschreibreform wurde vergangenen Sommer auch beim Spiegel heiß diskutiert. Wie ist Ihre Position dazu?
Sick: Mit einer Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung hätte auch der Spiegel zu einer seltsamen Zweiteilung der Republik beigetragen. Es wurde ein Mittelweg eingeschlagen zwischen alter und neuer Rechtschreibung, den ich für richtig halte. Der Spiegel geht nun schrittweise dazu über, den Unsinn der Rechtschreibreform im eigenen Heft wieder rückgängig zu machen. Wie etwa bei der Getrenntschreibung.
Frage: Was stört Sie an der Rechtschreibreform am meisten?
Sick: Wenn Wörter auseinander gerissen werden. Hierzulande soll nach der Reform plötzlich in drei Wörtern geschrieben werden. Heutzutage aber, nach dem gleichen Rhythmus und dem gleichen Schema wie hierzulande gebildet, ist nach der neuen Rechtschreibung immer noch ein Wort. Das ist doch inkonsequent.
Interview: Lorenz Eichhorn, <<
Schweriner Volkszeitung im Netz
http://www.svz.de/newsdw/DWKultur/07.04.05/1324220/1324220.html
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