Erfahrungsbericht eines Abiturienten
Aus dem Spiegel-Online-Forum
Armin Weber 04:53pm Aug 9, 2004 CEST (#692 of 709)
Nachdem hier bisher so viel über das Schicksal der armen Schulkinder dieses Landes, die diese neue Reform ja alle problemlos gelernt hätten und für die so unglaublich viele neue Schulbücher angeschafft wurden, geklagt wurde, möchte ich dem ein oder anderen einmal die tatsächlichen Zustände schildern.
Ich selbst habe in diesem Jahr mein Abitur abgelegt und gehöre damit einem Jahrgang an, der beide Schreibweisen in der Schule gelernt hat. Da ich, bedingt durch den ein oder anderen Umzug, das Vergnügen hatte, die Schulsysteme mehrerer Bundesländer kennenzulernen, bilde ich mir auch ein, zumindest feststellen zu können, dass sich die Situation nicht allzu gravierend unterscheidet und meine Erfahrungen nicht die große Ausnahme sein dürften.
Im allgemeinen lässt sich sagen, dass das Lernen der alten Schreibweisen so ablief, wie es wohl üblich war: Jeder hat beim Anblick der ein oder anderen Regel leicht verwundert den Kopf geschüttelt, doch letztendlich wurden die Regeln von allen gelernt und, mehr oder weniger gut, beherrscht. Als daraufhin die Reform eingeführt wurde, uns die Änderungen eher weniger als mehr ausführlich näher gebracht wurden, sahen sich das alle an und beschlossen, es gezwungenermaßen einmal zu versuchen.
Je länger man dies allerdings tat, desto größer war die Verwirrung. Was schreibt man nun wie, ohne den Sinn anzutasten? Darf ich nun dies oder jenes oder beides? Im Endeffekt führte dies alles nur zu einem Ergebnis: Jeder schrieb, wie er wollte, und wurde fast immer irgendwo von einer Regel oder einer Ausnahme gedeckt. Als das flächendeckend bemerkt wurde, ließ natürlich die Disziplin nach; geschrieben wurde nur noch nach dem Motto: Irgendeine Regel wird's schon geben... Dass dies auf Dauer nicht gutgehen kann, ist evident. So schlichen sich bei immer mehr Schülern immer mehr Fehler ein, ohne dass dies, im Gegensatz zu vorher, irgendjemanden wirklich betrübt hätte.
So jedenfalls reagierte die eine Hälfte. Die andere übernahm von den neuen Regeln das, was sinnvoll erschien, und beließ es ansonsten bei den alten Regelungen – schließlich wird dies bis August 2005 nicht angestrichen. So schrieb man dann seine jeweils eigene Mixtur; der eine weiterhin sein „wohlverdient“, die meisten nach wie vor ihr „aufgrund“, viele – dem Humanismus sei Dank – die aus dem Griechischen abgeleiteten Formen.
Ist es dieses Chaos, das man meint, wenn man sagt, die Reform sei an der Schule weitgehend problemlos umgesetzt? Ist es das, auf das man sich bezieht, wenn man behauptet, man habe den Schülern mit dieser Reform und den damit verknüpften, fraglos zum Teil vorhandenen, aber letztendlich doch untergehenden, Vereinfachungen nur etwas Gutes tun wollen? Um ganz ehrlich zu sein: Ich persönlich, aber auch eine Mehrzahl meines Jahrgangs wären liebend gerne zur alten Schreibweise zurückgekehrt – und ich denke, man kann uns dabei keine Faulheit vorwerfen, schließlich haben wir die neuen Regeln ja auch gelernt.
Was im Übrigen die Sache mit den Schulbüchern betrifft, so ist das weitestgehend ein Alibi-Argument. Ich habe noch an jeder Schule, an der ich war, zum Großteil aus Büchern aus den 70ern und 80ern gelernt – die offenkundigermaßen noch nicht in der neuen Rechtschreibung verfasst wurden. Neue Schulbücher hatte man höchstens da, wo man sie selbst anschaffen musste – und das belastet die Schulen auch weiterhin mit Sicherheit nicht.
Aus all diesen Gründen dürfen die Schule und die Schüler kein Argument gegen die Wiedereinführung der alten Schreibweisen sein. Es trifft schlicht zum allergrößten Teil nicht zu.
Welche Gründe davon abgesehen für eine Rücknahme sprechen, wurde ja bereits ausführlich beleuchtet.
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Sigmar Salzburg
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