Re: Menschenwürde
Christoph Kukulies schrieb:
Für mich ist die Einführung der sog. Rechtschreibreform ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Bildung und gegen die Menschenwürde.
Als Ihre (und der Mehrheit der Menschen) eigene Meinung ist das berechtigt; nach herrschender Herrschaftsordnung wäre es aber auch berechtigt, wenn die Kultusminister eine Verordnung erließen, daß ab sofort alle Lehrerinnen montags eine rosa Schleife im Haar tragen müssen oder daß die Lehrer unterrichten müssen, ab sofort werde zur Begrüßung die linke Hand gereicht; Minister haben für Verordnungen Narrenfreiheit zu jeglichem Unsinn, und die Verfassungsrichter überprüfen nicht, ob eine Verordnung sinnvoll ist.
Gibt es laut GG wirklich ein Grundrecht auf Bildung? Und wenn, dann sehen es die Verfassungsrichter nicht so eng.
Das Argument der Menschenwürde halte ich für richtig, gerade im Zusammenhang mit der Abkoppelung der Schulkinder von der Sprache ihres gesamten Kulturkreises, aber dazu haben die Verfassungsrichter bereits behauptet: Wieso, die Sprache bleibt doch nach wie vor verständlich (s.u.). [... ein Verstoß] Auch gegen das Verbot der Zensur. Denn was geschieht, ist eine Zensur der Sprache durch die Kultusminister.
Dies erscheint als sinnvolles Argument, denn Wörterverbote sind tatsächlich Zensur. Jedoch bietet Art. 5 GG („Eine Zensur findet nicht statt.“) hier keinen Schutz, denn Schülerarbeiten und Klassenarbeiten sind keine Presseerzeugnisse, so daß es keine Pressefreiheit für sie gibt. Wann wird endlich vor das Bundesverfassungsgericht gezogen?
Dorthin wurde bereits gezogen, und die Bundesverfassungskasper haben sich am 14. Juli 1998 dazu geäußert, indem sie den Kultusbürokraten Narrenfreiheit eingeräumt haben; Leseprobe: Die BVerfRichter schrieben am 14.7.1998 – Fundstelle: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs19980714_1bvr164097.html –,
>> ... Wie auch die Beschwerdeführer nicht in Abrede stellen, sind die Änderungen, die die Rechtschreibreform bewirkt, im Umfang verhältnismäßig gering; nach der Darstellung in der Stellungnahme der Kultusministerkonferenz, die in diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen worden ist, betrifft die Reform quantitativ, abgesehen von der Änderung der bisherigen ß-Schreibung, nur 0,5 vom Hundert des Wortschatzes. Aber auch qualitativ halten sich die Neuregelung und ihre Folgen für die schriftliche Kommunikation in engen Grenzen. Nach den Eindrücken, die der Senat in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, besteht kein Anlaß, die von der Einschätzungsprärogative des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur getragene Prognose in Frage zu stellen, auf der Grundlage der neuen Rechtschreibregeln lasse sich das richtige Schreiben der deutschen Sprache leichter erlernen. Dies gilt auch dann, wenn mit den Beschwerdeführern und einem Teil der in der mündlichen Verhandlung gehörten Sprachwissenschaftler davon ausgegangen wird, daß den Vorteilen der Reform auch Nachteile, etwa Erschwernisse im Teilbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, gegenüberstehen. Unabhängig davon werden Schriftbild und Lesbarkeit von Texten durch die neuen Regeln und Schreibweisen kaum, zumindest nicht in dem Maße beeinträchtigt, daß darunter ernstlich Verständlichkeit und Verständigung litten. Schriftliche Kommunikation ist deshalb weiterhin möglich, und zwar auch zwischen Altschreibern, die in ihren Texten unverändert die traditionelle Schreibung verwenden, und Neuschreibern, die den reformierten Schreibweisen folgen. In der mündlichen Verhandlung haben das im Grunde auch die Kritiker der Rechtschreibreform nicht bestritten.
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Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, daß die Beschwerdeführer gehindert wären, ihre Kinder, nachdem diese sich die neue Schreibung angeeignet haben, auch mit den traditionellen Schreibweisen vertraut zu machen, ihnen eigene Bücher zum Lesen zu geben und sie an die klassische Literatur in deren ursprünglicher Schreibweise heranzuführen. Da die Unterschiede zwischen herkömmlicher und neuer Rechtschreibung die Lesbarkeit alter wie neuer Texte praktisch nicht beeinträchtigen, kann auch nicht angenommen werden, daß eine auf diesen Unterschieden beruhende Hemmschwelle für Kinder, die Bücher ihrer Eltern zu lesen, nennenswert ins Gewicht fällt. Die Gefahr einer Verunsicherung der Kinder durch die verschiedenen Schreibweisen erscheint ebenfalls als eher gering. Verwechslungen, die im Einzelfall infolge der Konfrontation mit älteren Texten trotzdem unterlaufen, bleiben auch in der Schule auf lange Zeit folgenlos, weil dort bis mindestens Ende Juli 2005 bei schriftlichen Leistungsnachweisen bisherige Schreibweisen nicht als Fehler, sondern lediglich als überholt gekennzeichnet werden. Es ist deshalb auch nicht ersichtlich, daß das Interesse der Eltern an möglichst guten Leistungsnachweisen ihrer Kinder durch die neue Schreibung beeinträchtigt wird.
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Daß die Beschwerdeführer bei der Hausaufgabenbetreuung ihrer Kinder nicht mehr wie bisher allein auf ihr in der Schule erlerntes Schreibwissen zurückgreifen können, sondern sich dabei auf die neue Rechtschreibung einlassen müssen, berührt ihr Erziehungsrecht angesichts des geringen Umfangs der Reform und ihrer Auswirkungen ebenfalls nicht derart schwer, daß sich daraus die Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Fundierung der Rechtschreibreform herleiten ließe. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht erkennbar, inwieweit die elterliche Autorität darunter leiden könnte, daß in der Schule Rechtschreibregeln gelehrt werden, von denen das elterliche Schreibverhalten abweicht. Zum einen ist auch hier zu berücksichtigen, daß die Verwendung der traditionellen Schreibweisen im Schulunterricht bis mindestens Ende Juli 2005 nicht als Fehler gewertet werden wird. Zum anderen bleibt abzuwarten, inwieweit sich in den kommenden Jahren die neue Schreibweise auch bei den Eltern durchsetzen wird. Außerdem entspricht es allgemeiner Erfahrung, daß Wissen und Können von Eltern im Prozeß der Fortentwicklung und Erneuerung von Unterrichtsgegenständen und -inhalten häufig nicht mit dem Schritt halten können, was ihren Kindern in der Schule aktuell gelehrt wird. Eine Autoritätseinbuße der Eltern in der Folge der Rechtschreibreform ist daher bei lebensnaher Betrachtung nicht zu besorgen. ...<<
... und so weiter. Meine Meinung dazu habe ich schon oft geschrieben: Auch Verfassungsrichter und Deutschlehrer sollen für die Fehler haften, die sie vorsätzlich in Dienstausübung begehen. Damit kann durch verringerte Pensionen- und Gehälterzahlung vom RS„R“-Schaden wieder etwas hereingespart werden, wodurch künftige Staatsdienerjahrgänge sicherlich zu sorgsamerer Dienstausübung ermuntert werden.
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Detlef Lindenthal
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