Eine hellsichtige Satire
Die Interna, die Prof. Schrodt (s. Geschichte der Rechtschreibreform) aus der Arbeit der Reformkommission kurz nach der Wende andeutet, lassen ahnen, wie treffend und satirisch genau Werner Guth den dort kungelnden Geist in seinem Büchlein „Schildbürgers Rechtschreibreform …" erfaßt hat.
Daraus die Seite 10:
Heiliger Vater! Aus der Arbeit der Rechtschreibkommission
Mein Vetter Quirinus Quiddenbaum hat einen alten Studienfreund, der jahrelang Mitglied der Rechtschreibkommission war: Damokles Schwertlein. Schwertlein schrieb Quiddenbaum immer wieder mal eindrucksvolle Berichte über den Fortgang der Kommissionsarbeit. Im folgenden Auszüge aus einem Brief vom Januar 1995:
Lieber Quiddenbaum!
Wahrlich, es gibt nichts Anstrengenderes, als sich in der Tugend des Kompromisses zu üben. Ich bin ganz alle. [...]
Da die chinesische Fischtunke Ketsiap als Würzsoße inzwischen fester Bestandteil unserer Eßkultur geworden ist, habe ich mich auf der heutigen Kommissionssitzung für die eindeutschende Schreibweise Ketschap eingesetzt, was auf einen gewissen Beifall stieß. Leider hat sich jedoch Dr. Tropf aus Wanne-Eickel mit Ketschup durchgesetzt, da man das Wort im Ruhrpott so und nicht anders ausspreche. Zwar haben die meisten Kommissionsmitglieder darüber gespottet, aber man brauchte Tropfs Stimme für die Hämorriden, kam ihm also beim Ketschup ein bißchen entgegen. Im Gegensatz zu den Hämorriden, die man integrieren, d.h. erfolgreich schrumpfen konnte, bleibt es jedoch bei der Diarrhö, da Oberstudiendirektor Nasloch aus unerfindlichen Gründen auf der rrh-Schreibung beharrte. Das mußte berücksichtigt werden, da man seine Stimme zur Durchsetzung der Plattitüde von Professor Flachmann benötigte. Für die Plattitüde brachte zwar keiner viel Verständnis auf, aber Flachmanns Stimme wurde benötigt, um die Sperrung der ck-Trennung durchzubringen, die das Hobby von Ministerialdirigent Dr. Hirn-Lohse und nach dessen Meinung das Kernstück einer sinnvollen Reform ist. Man war gezwungen, Hirn-Lohse in diesem Punkt entgegenzukommen, da man seine Stimme zur Abschaffung des Heiligen Vaters benötigte. Die Abschaffung desselben war aber nun erforderlich, da man sonst die Stimme Professor Müllmayers für den Panter, den Delfin und den Tunfisch nicht bekommen hätte, worauf wiederum Regierungsrat Breitkopf mit großer Hartnäckigkeit bestand.
Morgen soll über die allgemeine Freigabe der Kommasetzung beraten werden, um welche Dr. Hassenstrich wie ein Berserker kämpft, nachdem die allgemeine Kleinschreibung von Substantiven, die er früher betrieb, schon lange vom Tisch ist. Seit Monaten ventiliert er hintenherum und bemüht sich um eine Mehrheit für die Beistrichfreiheit. Die Chancen dieses Intriganten stehen nicht schlecht, da man seine Stimme benötigt, um Professor Stemmeißet zu blockieren, der die Dreifachschreibung von Buchstaben verhindern will. Andererseits darf man diesen nicht vergrätzen, da er sonst bei der Abschaffung der Umlaute nicht mitzieht, nachdem er sich schon bei der Abschaffung des ß erfolgreich quergelegt hat, weshalb ihn Dr. phil. habil. Neuntöter nur noch mit Verachtung straft. Daß ihn Neuntöter allerdings absichtlich mit dem Auto habe überfahren wollen, wie Du vielleicht in den Zeitungen gelesen hast, kann ich nicht glauben. Ich denke, das war ein ganz normaler Unfall. [...]
Ich stimme Dir im übrigen völlig zu und gestehe: Ich hätte nicht übel Lust, den ganzen Bettel hinzuschmeißen. Aber ich bleibe in der Kommission, vielleicht läßt sich noch Schlimmeres verhüten.
Herzlichst Dein Schwertlein
Aus Werner Guth:
„Schildbürgers Rechtschreibreform oder aus tiefer Not schreib ich zu dir
1998 Uta Guth Bilstein-Verlag ISBN 3-931398-06-4
|