SHEV-Mitteilungen
Betreff: [SHEV] Lesenswert: Text von Prof. Dr. Struck und Kommentar eines Lehrers dazu !
Von: Astrid Schulz
Datum: 14. Apr 2012 11:53
Hallo zusammen,
anbei ein Zeitungsbericht aus der OHA vom 12.4.12 ist nicht im Internet abrufbar.
Prof. Dr. Struck ist ein Befürworter der Gemeinschaftsschulen und ist der Auffassung: Schulen müssen mehr Wert auf Können als auf Wissen legen. Ob man damit allen Kindern gerecht wird? Spätestens bei Studienbeginn und Arbeitsplatzsuche zeigt sich dann, ob diese Aussage wirklich zutrifft.
Lehrerinnen werden zu Managern der Materialbeschaffung, zu sog. Lerncoaches ausgebildet auch hier stellt sich die Frage, ob man damit jedem Kind gerecht wird.
Struck sieht Bezugspersonen außerhalb der Familie als sehr wichtig an nur: diese Bezugsperson muß sich ein Kind mit vielen anderen teilen. Wieviel Zeit bleibt dann für den einzelnen ?
Ein Lehrer eines Gymnasiums schickte eine Antwort dazu.
Viele Grüße
Astrid Schulz-Evers
Schleswig-Holsteinischer Elternverein e.V.
http://www.elternverein-sh.de
http://www.gemeinschaftsschule-aktuell.de
http://www.g9jetzt.de
Schulen müssen mehr Wert auf Können als auf Wissen legen
12.4.12
BILDUNG AKTUELL
55 Prozent der deutschen Eltern wünschen für ihr Kind das Abitur, In Hamburg schaffen das schon 50,6 Prozent aller Schüler, Doch an deutschen Schulen liegt noch immer vieles im Argen. Eine Million Unterrichtsstunden fallen in Deutschland pro Jahr aus, 500 000 Schüler schwänzen regelmäßig die Schule. Deutschland und Österreich haben von allen 42 vergleichbaren Industrieländern besondere wenig Ganztagsschulen und mit vier Jahren die kürzeste Grundschulzeit. Und nur Tschechien gibt gemessen am Bruttoinlandsprodukt noch weniger Geld für Bildung aus als Deutschland.
Nun möchte Schleswig-Holstein die Lehrerbildung neu konzipieren, hoffentlich für die künftige und nicht für die jetzige Schule.
Immer noch krankt das deutsche Schulwesen daran, dass seine Schüler jahrhundertelang gehorsam, mit Zensuren und nach Geburtsjahrgängen untergebracht in 45 -Minuten-Takten und frontal ausgerichtet lehrerzentriert unterrichtet wurden. Aber mit dem PISA-Schock des Jahres 2001 ist zum Glück Vieles in Bewegung geraten: Privatschulen schießen wie Pilze aus dem Boden, Ganztagsschulen, ein längeres gemeinsames Lernen, jahrgangsübergreifende Lerngruppen, Teamteaching, Lernbereiche statt Fächer, Kompetenzraster statt Noten, Individualisierung, Rhythmisierung und Inklusion sowie ein stärkeres Einbeziehen der Eltern bestimmen zunehmend den positiven Wandel unserer Schulen. Immer mehr Lehrer haben erkannt, dass infolge der multimedial vernetzten Kinderzimmer junge Menschen , heute kaum noch durch Zuhören lernen, dass sie stattdessen tech-nisch sehr fit sind, dass sie kommunikativer, gerechter und bindungsflexibler sind, vor allem aber mehr denn je gut durch Ausprobieren lernen. Sie haben durch ihr häufiges Computerspielen ein stark ausgebautes Belohnungssystem im ventralen Striatum ihres Hirns, mit dem sie neugieriger, kreativer und flexibler als je zuvor.
Wie gute Schulen in der Zukunft auszusehen haben, müssen wir uns nicht ausdenken, es gibt sie bereits überall in Deutschland: Die Neue-Max-Brauer-Stadtteilschule in Hamburg, die Freiherr-vom-Stein-Gemeinschaftsschule in Neumünster und viele andere mehr. Sie haben gemeinsam, dass sie durchweg von einer mutigen Frau über 50 geführt werden (manchmal auch von einem Mann), dass sie jahrgangsübergreifende Lernfamilien haben oder dass sie bis zur Klasse 8 keine Noten geben. Auch entscheiden hier die Schüler selbst, wann sie was wie und mit wem in welcher Körperposition lernen. Außerdem werden Fächer durch Lebenszusammenhänge ersetzt, dass Theaterspielen und Musikmachen zur Steigerung des lernfördernden Selbstwertgefühls im Mittelpunkt gestellt und der Unterricht durch Erfahrungen von Menschen aus dem „wirklichen Leben angereichert. Am wichtigsten ist diesen Schulen aber, dass sie nur selten in die Lehrpläne gucken. Vieles machen, was eigentlich nicht vorgesehen ist, und dass sie mehr Wert auf Können als auf Wissen legen.
„Wenn Kinder mit ganz vielen Materialien jahrgangsübergreifend lernen, sind sie alle permanent am Handeln und damit am Lernen.“
Prof. Dr Peter Struck
Erziehungswissenschaftler
Solange die deutschen Lehrer noch die höchste Unterrichtswochenstundenzahl und die dicksten Lehrpläne von ganz Europa in einer gleichzeitig vorherrschenden Halbtagsschule haben, die weder für die Schüler noch für die Lehrer Lebensmittelpunkt zu sein vermag, hält ihre Kraft weder für ein langes Berufsleben, noch lernen die Schüler genug. Und wenn man dann immer noch Kinder nach Geburtsjahrgängen sortiert, erreichen Lehrer mit einer frontalen Gleichbehandlung allenfalls die Mitte der Leistungsbandbreite, denn das obere Leistungsdrittel kann das meiste schon, und das untere versteht es nicht. Wenn hingegen Kinder mit ganz vielen Materialien jahrgangsübergreifend voneinander lernen, sind sie alle permanent am Handeln und damit am Lernen. Die Lehrer sind währenddessen freigesetzt, um sich einzelnen Kindern, die etwas noch nicht verstanden oder die ein Verhaltensproblem haben, zuzuwenden. Die Universitäten Münster, Bielefeld, Dortmund, Bremen und Hamburg bilden daher die künftigen Lehrer schon längst zu Managern der Materialbeschaffung, zu sogenannten Lerncoaches, aus.
Entwicklungspsychologen sagen uns: Schulen, die mit Klasse 4 enden, können nicht richtig gut werden, weil ihre Lehrer keine Verantwortung bis zum Abitur übernehmen müssen. Schulen hingegen, die erst mit Klasse 5 beginnen, können ebenso wenig richtig gut werden, weil es für das neue effiziente Lernen längst viel zu spät ist. In keinem Alter brauchen Kinder so dringend zwei umfassend mit ihnen zusammenwirkende Bezugspersonen außerhalb der Familie zwischen dem achten und zwölften Lebensjahr; vorher sind hoffentlich die Eltern da,.und nachher auch eher nicht, weil dann die Gleichaltrigen zunehmend die Bezugspersonenrolle übernehmen. Aber genau dann, wenn sie am allernötigsten zwei außerfamiliäre erwachsene Bezugspersonen, also zwei Klassenlehrer (am besten eine Frau und einen Mann) brauchen, nämlich im Alter von zehn Jahren, reißen wir sie von (diesen weg und teilen sie auf verschiedene Schulformen auf. Das ist sein dumm!
Der Autor: Prof. Dr. Peter Struck ist Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg. Im Primus Verlag, Darmstadt, ist sein mit Ingo Würtl verfasstes Buch „Lehrer der Zukunft Vom Pauker zum Coach (auch als Hörbuch) erschienen.
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