Nur, wenn die Staats- und Medienmächte dahinterstehen:
Schüler sind eine Macht
Von Christian Füller
Die Bundesländer trauensich nicht, Streiks amFreitag zu stoppen und die Schulpflicht durchzusetzen – notfalls mit Strafarbeiten, Nachsitzen oder Geldbußen. Sie können nämlich nicht garantieren, dass der Unterricht auch stattfindet
Die bisher schärfste Attacke gegen die Konferenz der Kultusminister (KMK) ritt Christian Wulff, als er Ministerpräsident Niedersachsens war. Weil die Schulminister die Rechtschreibreform verbockt hatten, drohte Wulff im Jahr 2004 damit, das Büro der KMK samt Mitarbeitern abzuschaffen. Nun gerät die Kultusministerkonferenz erneut unter Druck – diesmal von unten. *) Es sind die Schülerdemonstrationen fürs Klima. Sie könnten der KMK gefährlicher werden als Wulffs Angriff von oben. Die Schüler folgen dem Vorbild der jungen Schwedin Greta Thunberg und gehen auf die Straße, um gegen die Tatenlosigkeit beim Fieber des Planeten zu demonstrieren. Sie tun das in bester Tradition europäischer Intellektueller seit Émile Zola – die Schüler ergreifen öffentlich das Wort, um an allgemeine Werte zu appellieren, in diesem Fall das Überleben der Erde.
Das bringt viele Beobachter in Rage. Der Protest der Schüler sei dilettantisch, klagt etwa der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Die Kanzlerin sympathisiert mit den Schülern. Und was machen die Kultusminister? Sie pochen darauf, dass die Schulpflicht einzuhalten sei. Allerdings machen sie – bislang – kaum Anstalten, ihr Gebot durchzusetzen. Bevor man über die Kultusministerkonferenz politisch urteilt, lohnt ein Blick auf ihre eigentümliche Konstruktion. Die KMK gründete sich 1947. Sie ist damit älter als das Grundgesetz und zieht daraus viel von ihrem Selbstbewusstsein. Freilich ist ihre Legitimierung durchaus schwach. Niemand wählt die Mitglieder der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Sie sind eigentlich dazu bestimmt, die Bildungspolitik ihres jeweiligen Landes zu gestalten.
Die Abstimmung mit anderen Bundesländern ist prinzipiell sinnvoll, aber sie geschieht in aller Regel ohne Rückbindung durch die Parlamente der Bundesländer. Im Grunde regiert und reguliert die KMK das Bildungswesen also auf der Grundlage von einstimmigen Verabredungen – und Misstrauen. Wollte ein Land ausscheren, würde es riskieren, dass die anderen Bundesländer seine Schulabschlüsse nicht mehr anerkennen, letztlich also seine Schüler nicht mehr aufnehmen. Als wäre das, beim föderalen Chaos, für die Bürger noch eine Drohung!
Genau diesen wackligen Verabredungscharakter stellen die Schüler mit ihren Demos nun auf die Probe. Ohne es übrigens zu wissen. Kaum ein Bürger versteht den Mechanismus der KMK, wie sollten die Schüler also ahnen, wie schmerzhaft die Stelle ist, auf die sie Woche für Woche klopfen...
Weiter bei welt.de 26.3.2018
*) Nein, schon 1998 waren die Kultusminister durch den Volksentscheid in Schleswig-Holstein unter Druck geraten. Das dreiste Politikerpack hat das mißachtet, ermutigt durch die Verfassungsrichter, die entgegen dem Dogma der KMK eine einheitliche Rechtschreibung nicht für erforderlich hielten – und eine Reform für zulässig erklärten, weil schon im Kaiserreich reformiert worden sei. Die Schüler waren meist dagegen. Um die abtrünnigen Zeitungen einzufangen, wurde auf Anregung der falschen Doktorin Schavan der „Rat für Rechtschreibung“ geschaffen, der als „Kompromiß“ die 95 Prozent ss-„Reform“ beibehielt und von den restlichen 5 Prozent 2 Prozent Trennschreibung zurücknahm und 2 Prozent noch verschlimmbesserte: leid tun > Leid tun > leidtun. Albernheiten wie „behände Gämsen“ blieben.
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